Kommentar: Ruf nach DSGVO-Lockerung – Corona infiziert Datenschutz?
Das Coronavirus infiziert nicht nur Menschen, sondern auch den Datenschutz. Die DSGVO bleibt dabei auf der Strecke, meint Autor Ulrich Hottelet.
So manchem Gegner der DSGVO kommt die Corona-Krise ganz gelegen, um das lästige Regelwerk endlich aufzuweichen und die Nutzerrechte zurückzudrängen. Dieser Eindruck entsteht unweigerlich, denn Wirtschaftsverbände fordern bereits Lockerungen – und das nicht nur bei der Öffnung von Geschäften, sondern auch mit Verweis auf Corona in der Umsetzung der DSGVO.
Keinen Bock auf Datenschutz
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen: Dieser Druck der Unternehmen und Verbände auf Politik und Aufsichtsbehörden, künftig beim Datenschutz "ein Auge zuzudrücken", wird steigen, insbesondere wenn es zu massiven Umsatzeinbrüchen und einer Pleitewelle kommt. Auch in der Öffentlichkeit wird es dann weniger Rückhalt für Regelungen und behördliche Entscheidungen geben, die gerne als wirtschaftsfeindlich gebrandmarkt werden. Eine ähnliche Diskussion erleben wir bereits im Klimaschutz, wo Wirtschaftsvertreter und Politiker ebenfalls laxere Kriterien fordern.
In den vergangenen Wochen dominierte die Corona-App die Datenschutzdebatte. Über das Für und Wider und das Wie wurde und wird ausgiebig diskutiert – und es wird gestritten. Letztlich haben sich die Befürworter einer dezentralen Lösung durchgesetzt. All das hat gezeigt, dass das Bewusstsein und die Sensibilität für private Daten in der Öffentlichkeit weiterhin ausgeprägt sind und selbst von einer Pandemie nicht marginalisiert wurden.
Doch deren Auswirkungen auf den Datenschutz und die Debatten um ihn bleiben nicht auf die Tracing-App beschränkt. Langfristig wird es diverse Konsequenzen geben, deren Ausmaß vor allem davon abhängt, wie lange die Pandemie dauert und wie hart sie die Wirtschaft beuteln wird. Das wird besonders den betrieblichen Datenschutz (be)treffen.
Außer Kontrolle
Erste Effekte zeigen sich bereits in Baden-Württemberg. Der dortige Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink berichtete auf den Verbandstagen des Berufsverbands der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) im Mai, dass die Zahl der Beschwerden von Bürgern gegen Unternehmen seit der Pandemie stark zurückgegangen seien, die Beschwerden gegen den Staat dagegen sehr zugenommen hätten, insbesondere auch Fragen nach der Datenerhebung durch das Robert Koch-Institut und die Corona-App. Er sagte, dass manche Behörden meinten: "Jetzt ist nicht die Zeit für Datenschutz." Sie halten ihn für hinderlich.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Aufsichtsbehörden momentan geschwächt sind. Vom Homeoffice aus können sie Unternehmen schlechter prüfen. Vor-Ort-Prüfungen wurden ausgesetzt. Dabei ist die Personaldecke ohnehin zu dünn, um die durch die DSGVO verursachte Mehrarbeit zu stemmen.
Weniger Datenschutz in Unternehmen
Auch in den Firmen wird die Umsetzung von Datenschutzmaßnahmen in einer schweren Wirtschaftskrise eine niedrigere Priorität haben. Im allgemeinen Kostensenkungsdruck scheuen sie auch Ausgaben für Datenschutzberater. Man kann außerdem die Prognose wagen, dass sie in solchen Zeiten auf niedrigere Bußgelder und mehr Entgegenkommen seitens der Aufsichtsbehörden hoffen werden.
Innerhalb des Datenschutzes wird sich das Augenmerk voraussichtlich mehr auf die Datensicherheit richten. Denn die Kriminellen nutzen die Corona-Krise aus, um das oft schwach gesicherte Homeoffice anzugreifen. Weniger existentielle Probleme wie zum Beispiel die Datenverwertung durch die Werbeindustrie werden eher in den Hintergrund treten, auch wenn man das angesichts des weit verbreiteten Missbrauchs bedauern mag.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kommt in der Krise also gehörig unter Druck. Es liegt vor allem an einer aktiven und kritischen Öffentlichkeit, dass es nicht zu sehr Schaden nimmt.
(olb)