Klimasünder vor Gericht

Klimabedingte Wetterextreme häufen sich. Nun arbeiten Rechtsexperten und Forscher daran, die Treibhausgas-Emittenten auf Schadenersatz zu verklagen.

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Klimasünder vor Gericht

(Bild: Miguel Porlan)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wolfgang Richter

In den letzten Jahren hat die sogenannte Attributionsforschung nicht nur die Klimawissenschaft revolutioniert, sondern hat auch direkte Folgen für den Klimaschutz: Sie schließt das letzte Glied in der Beweiskette, um Unternehmen für ihre Klimaschäden haftbar zu machen. Chevron, Gazprom, ExxonMobil, BP und Shell, aber auch RWE und die Ruhrkohle AG müssten dann zahlen. Im Raum stehen Beträge in Milliardenhöhe für Schäden und Todesopfer durch Wirbelstürme, Waldbrände, Hitze, Dürren oder Starkregen. Das berichtet das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 7/2020 (jetzt im gut sortierten Zeitschriftenhandel).

TR 7/2020

"Wir stellen die Klimawissenschaft quasi vom Kopf auf die Füße", sagt Friederike Otto, Physikerin und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Umweltveränderungen an der Universität Oxford. Sie ist Mitinitiatorin der Initiative World Weather Attribution. 2017 konnte sie nachweisen, dass der Klimawandel die damaligen Hitzewellen am Mittelmeer vermutlich 100-mal wahrscheinlicher gemacht hat, mindestens jedoch zehnmal wahrscheinlicher. Für die Gluthitze im letzten Juli in Westeuropa hat sie errechnet: 10- bis 100-mal so wahrscheinlich durch den Klimawandel.

Für eine durchgehende Beweiskette besorgen sich die Wissenschaftler so viele historische Wetterdaten wie möglich. Damit überprüfen sie, welche Klimamodelle das reale Wettergeschehen der vergangenen 120 Jahre am besten abbilden können. Mit diesen Modellen simulieren sie nun das Wettergeschehen über den Zeitraum hinaus, aus dem die realen Wetterdaten stammen. Über viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zeigt sich, wie häufig große Ausschläge nach oben oder unten sind, also die extremen Ereignisse, auf die es die Attributionsforscher abgesehen haben. Erst seit ein paar Jahren stehen die Rechenkapazitäten für solche langen Modellläufe zur Verfügung.

Nun kommt der eigentliche Trick: Die Klimamodelle lassen sich auch so einstellen, dass sie genau die gleiche Welt simulieren, nur ohne den menschengemachten Anstieg der Treibhausgase. Auch für diese "kontrafaktische Welt" lässt sich die Häufigkeit von Extremereignissen berechnen. Aus dem Vergleich beider Szenarien kann man feststellen, wie stark der Klimawandel dazu beigetragen hat, dass ein konkretes Ereignis tatsächlich eingetreten ist.

Richard Heede, der Gründer des Climate Accountability Institute in den USA, hat dazu eine klare Meinung. "In allen Ländern der Welt gilt die Regel, dass Firmen für die Unbedenklichkeit ihrer Produkte bei bestimmungsgemäßem Gebrauch verantwortlich sind. Entstehen trotzdem Schäden, müssen sie dafür haften", sagt er. Vor über 15 Jahren begann er, die Treibhausgasemissionen der Fossilindustrie seit dem Jahr 1882 bis heute zurückzuverfolgen. Diese Knochenarbeit in staubigen Archiven hat eine Rangliste der Emissionen ergeben, die durch verschiedene Peer-Review-Studien inzwischen als abgesichert gilt. An deren Spitze stehen die großen Ölfirmen wie Saudi Aramco oder Chevron.

Es bleibt nun die Frage, ob die Hersteller von fossilen Brennstoffen für deren Emissionen verantwortlich sind, oder die Nutzer, bei Erdölkonzernen also die Autofahrer. Heede rechnet wegen der von ihm angenommenen Produkthaftung auch jeden weltweit gefahrenen Kilometer mit Chevron-Kraftstoff diesem Unternehmen zu.

Aber kann ein Unternehmen für etwas haftbar gemacht werden, das nicht nur erlaubt ist, sondern – etwa durch den Emissionshandel – sogar von staatlicher Seite kontrolliert wird? Tatsächlich beinhaltet das deutsche Emissionsschutzgesetz einen Passus, der explizit klarstellt, dass auch bei vorhandener Genehmigung private Schadenersatzansprüche aufgrund von Emissionen nicht ausgeschlossen sind.

Trotzdem ist längst nicht sicher, ob sich Gerichte bei einem Klimaprozess aufgrund von Attributionsstudien von der individuellen Verantwortung eines Unternehmens überzeugen ließen. "Schon bei den Prozessen um die Waldschäden in den 80er-Jahren hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass allgemeine Luftverunreinigungen nicht einzelnen Emittenten zugeordnet werden können", sagt der Rechtsanwalt Alexandros Chatzinerantzis von der Kanzlei Linklaters in Frankfurt am Main, der die großen Player der Energiewirtschaft in Prozessen vertritt. Ungeklärt sei außerdem die Frage, ob man die Emissionen von Treibhausgasen über Jahrzehnte aufsummieren könne, wenn die Verjährungszeit von Schadenersatzansprüchen im deutschen Zivilrecht drei Jahre betrage.

(grh)