Dieselskandal, Datenmissbrauch & Co: EU-weite Sammelklagen kommen

Die EU-Gremien haben sich auf ein Recht etwa für Verbraucherschützer geeinigt, im Namen von Geschädigten gegen Unternehmen vor Gericht ziehen zu können.

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(Bild: ec.europa.eu)

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Durchbruch am späten Montagabend: Vertreter des EU-Parlaments, des Ministerrats und der Kommission haben sich auf die Details für die geplante Möglichkeit EU-weiter Sammelklagen verständigt. Verbraucherschutzorganisationen und Verbände sollen demnach künftig in allen Mitgliedsstaaten gegen unlautere Geschäftspraktiken etwa in den Bereichen Umwelt-, Gesundheits- und Datenschutz sowie Telekommunikation und Tourismus vor Gericht ziehen und etwa Ansprüche auf Schadensersatz einklagen können.

Die Abgeordneten setzten unter anderem durch, dass auch Flug- und Zugpassagiere ihre Rechte auf dem neuen Weg zivilrechtlich besser durchsetzen dürfen. Dies dürfte vielen Verbrauchern vor allem in der Corona-Krise angesichts vieler abgesagter Reisen zupass kommen. Die Regierungsvertreter der EU-Länder hatten sich hier zunächst quergelegt.

Die EU-Kommission hatte die Initiative 2018 im Rahmen ihres "New Deals" für Verbraucher auf den Weg gebracht. Sie reagierte damit vor allem auf den Dieselskandal. Die klageberechtigten Institutionen, die im Gegensatz zu den USA nicht selbst auf Gewinn ausgerichtet sein dürfen, sollten demnach etwa auch Rechte auf Rückzahlung, Preisnachlass, Ersatz oder Reparatur erstreiten können. Eine "Klageindustrie" wollte die Brüsseler Regierungsinstanz vermeiden.

Nach dem nun gefundenen Kompromiss muss jeder Mitgliedsstaat mindestens eine qualifizierte Einrichtung benennen, die befugt ist und die finanziellen Ressourcen dafür hat, Unterlassungs- und Rechtsmittelklagen im Namen von Verbrauchergruppen einzuleiten. Gerichte oder Verwaltungsbehörden können offensichtlich unbegründete Fälle zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Verfahrens im Einklang mit nationalen Bestimmungen abweisen. Die Kommission soll prüfen, ob ein europäischer Bürgerbeauftragter für kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren eingesetzt werden sollte, der sich mit grenzüberschreitenden repräsentativen Klagen auf EU-Ebene befasst.

Um eine mehrere Länder umfassende Initiative starten zu können, müssen berechtigte Organe eine einjährige Tätigkeit zum Schutz der Verbraucherinteressen nachweisen und einen gemeinnützigen Charakter haben. Sie sollen sicherstellen, dass sie von Dritten unabhängig sind, deren wirtschaftliche Interessen denen der Verbraucher entgegenstehen.

Für nationale Klagen müssen die Mitgliedstaaten geeignete Kriterien festlegen, die mit den Zielen der Richtlinie vereinbar sind. Dabei kann es sich um die gleichen Vorgaben handeln wie für grenzüberschreitende Klagen. Das von den Volksvertretern eingeführte Prinzip, wonach der Verlierer zahlen muss, soll gewährleisten, dass die unterlegene Seite die Kosten des Verfahrens der erfolgreichen Partei trägt. Generell zielt das Vorhaben auf eine bessere Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts ab. Es soll helfen, illegale Geschäftspraktiken effektiver zu unterbinden.

Die Übereinkunft muss noch das Plenum des Parlaments sowie eine offizielle Ratssitzung passieren, was aber mit dem Deal als Formsache gilt. Der Berichterstatter der Abgeordneten, Geoffroy Didier von der konservativen EVP-Fraktion, sprach von einer guten erzielten Balance zwischen Verbraucherschutz und Rechtssicherheit für Unternehmen. "Vertrösten und Hinhaltetaktik bei abgesagten Flügen und in Umweltfragen zahlen sich zukünftig nicht mehr aus", freute sich die Grüne Anna Cavazzini.

In Deutschland gibt es bereits das Instrument der Musterfeststellungsklage, bei der im ersten Schritt mindestens zehn, später 50 geschädigte Verbraucher mitmachen müssen. Bekannt ist vor allem das Vorgehen von Verbraucherschützern auf Basis dieses Instruments gegen VW nach der Dieselaffäre. Gewinne etwa aus Datenmissbrauch lassen sich über das Werkzeug bislang hierzulande nicht abschöpfen, sodass Reformbedarf besteht.

(jk)