Geld spielt keine Rolle

Der Kohleausstieg wird teuer, ohne dass klar ist, wieviel er überhaupt bringt. Dabei ginge es auch anders.

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Beim Kohleausstieg will die Regierung nach guter bundesrepublikanischer Sitte einen Konflikt mit viel Geld zuschütten. Laut Öko-Institut sind die Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber um rund zwei Milliarden Euro zu hoch – unter anderem deshalb, weil viele Kohlekraftwerke ohnehin zunehmend unrentabel werden und abgeschaltet würden.

Hoffen wir, dass das viele Geld wenigstens eine Investition in den sozialen Frieden ist – und dass wir dafür auch tatsächlich eine substanzielle Minderung der Treibhausgase bekommen. Dies ist keineswegs selbstverständlich, denn die Kohlekommission hat sich auf Restlaufzeiten statt auf feste Strom- oder CO2-Budgets verständigt.

Restlaufzeiten bedeuten, dass eine bestimmte Kraftwerksleistung schrittweise vom Netz genommen wird. Wieviel Strom die Betreiber mit der verbliebenen Leistung produzieren, ist ihre Sache.

Restbudgets bedeuten, dass die Betreiber nur noch eine bestimmte Menge Strom beziehungsweise Emissionen produzieren dürfen. Wann und mit welchen Kraftwerken, bleibt ihnen überlassen.

Der Vorteil der Laufzeiten: Es lässt sich genauer planen, wann welche Kraftwerke vom Netz gehen. Das ist hilfreich für die Versorgungssicherheit und die soziale Abfederung. Außerdem gibt es einen genau definierten Ausstiegstermin. Professor Barbara Praetorius, Volkswirtin und Politikwissenschaftlerin an der HTW Berlin und ehemaliges Mitglied der Kohlekommission, argumentiert: „Es war für die Umweltseite wichtig, dass Kraftwerke wirklich geschlossen sind und (nach den Erfahrungen des ersten Atomausstiegs) nicht einfach wieder verlängert werden können.“

Der Nachteil der Restlaufzeiten: Es lässt sich kaum bestimmen, welche absoluten CO2-Einsparungen zu erwarten sind. Wenn ein paar Kraftwerke abgeschaltet werden, laufen die anderen halt mehr. Kaum ein Block ist nämlich derzeit zu mehr als 50 Prozent ausgelastet, wie man hier für Braunkohle und hier für Steinkohle sehen kann. Rein rechnerisch könnte man also ziemlich viele Kraftwerke abschalten, ohne eine Tonne CO2 einzusparen.

Restlaufzeiten seien „bequemer“, meint Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW. „Da kann man nicht so schnell ausrechnen, dass wir das Pariser Klimaschutzabkommen nicht schaffen.“ Und Barbara Praetorius ergänzt: „Dass der von uns empfohlene Ausstiegspfad nun zwar auf dem Papier in Gigawatt penibel eingehalten wird, aber bei deutlich schlechterer Klimabilanz (weil Braunkohle länger läuft, muss Steinkohle mit Ausnahme von Datteln schneller raus – das hatten wir so nicht empfohlen), finde ich sehr kritisch.“

Das wäre mit Restbudgets, ob in Megawattstunden oder in Tonnen CO2, nicht passiert. Zudem bieten sie den Kraftwerksbetreibern mehr Flexibilität. Diese müssen dann nicht selbst das Risiko tragen, dass ihre Kraftwerke wegen schlechter Marktlage oder Wartungsarbeiten nicht produzieren können.

Warum also hat sich die Kohlekommission trotzdem für die Restlaufzeiten entschieden? „Wir haben das mit der Reststrommengenoption versucht, sind aber damit zu einem relativ frühen Zeitpunkt krachend gescheitert“, mailt mir Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik am Ökoinstitut und ehemaliges Mitglied der Kohlekommission. Ähnlich äußert sich auch Greenpeace: „Für die stark vertretene Seite der Kohlelobby in der Kohlekommission war ein CO2-Budgetansatz oder ein Ansatz über Reststrommengen ein rotes Tuch.“ Der Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch (SPD) erklärt: „Die Zuweisung von Reststrommengen als Stilllegungsinstrument wie auch die Übertragbarkeit von Laufzeiten haben in der Diskussion offenbar nicht überzeugt. Dieses Instrument hätte zwar den Kraftwerksbetreibern mehr Flexibilität gegeben, hätte aber gleichzeitig die Planungssicherheit für den Strukturwandel gesenkt.“

Barbara Praetorius verweist zudem auf ein rechtliches Gutachten der Juristen Thomas Schomerus und Gregor Franßen. Es favorisiert insgesamt die Restlaufzeiten, obwohl das aus den vorgebrachten Argumenten – zumindest nicht für mich ersichtlich – hervorgeht.

Dabei lassen sich Befristungen und Rest-Budgets durchaus miteinander verbinden: Es ließen sich zeitlich und räumlich gestaffelte Budgets festsetzen, mit denen die Kraftwerksbetreiber dann machen können, was sie wollen. Auch diese Variante spielt das Gutachten durch und befindet: Restbudgets könnten „in Kombination mit Restlaufzeiten eine unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit wünschenswerte (…) Flexibilisierung der Kohleausstiegsregulation fördern.“

Das klingt doch nach einem guten Kompromiss, auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber. Doch beschlossen wird nun wohl etwas anderes, was weder aus wirtschaftlicher noch aus ökologischer Sicht sonderlich überzeugend ist. Die Brüche, die man am Verhandlungstisch offenbar nicht kitten konnte, werden nun mit Milliarden zugekleistert. Geld spielt offenbar plötzlich keine Rolle mehr.

(grh)