Medikamente aus Marienkäfern

Den Pharmaunternehmen fällt es immer schwerer, neue Arzneimittel zu entdecken. Dabei gibt es noch eine nahezu unerschlossene Quelle: Insekten.

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Medikamente aus Marienkäfern

(Bild: Wikipedia / gemeinfrei)

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Marienkäfer entwickeln sich zur wandelnden Apotheke: In einem aktuellen Zweig der Pharmaforschung widmen sich Wissenschaftler derzeit Insekten als mögliche Quellen für neue Wirkstoffe. Insektenwirkstoffe "sind ganz anders aufgebaut als Pflanzensubstrate und ermöglichen so neue pharmakologische Ansätze", sagt Kwang-Zin Lee vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Gießen.

TR 8/2020

Besonders angetan hat es ihm der Asiatische Harlekin-Marienkäfer. "Er produziert über fünfzig verschiedene antimikrobielle Peptide. Das macht ihn zum Rekordhalter unter Insekten." Das Wirkspektrum der Substanzen ist breit. Darunter finden sich Verbindungen, die Tuberkulose-Bakterien abtöten, sowie Substanzen gegen Malaria auslösende Plasmodien.

Aufgefallen ist der Käfer den Gießener Forschern, weil er besonders wehrhaft gegenüber anderen Vertretern seiner Familie ist. Er vernichtet seit Jahrzehnten in Gewächshäusern und Obstgärten täglich Hunderte von Blattläusen und wird in dieser Rolle auch geschätzt. Doch von dort aus haben sich die schwarz gepunkteten Marienkäfer stark ausgebreitet und sind inzwischen zur globalen Bedrohung für den Siebenpunkt-Marienkäfer geworden.

Ihre Überlegenheit basiert auf Abwehrstoffen, die sie versprühen. Besonders eine Substanz fanden die Gießener in größeren Mengen in den Körpersäften der Marienkäfer. Die Wissenschaftler tauften sie Harmonin; abgeleitet von der lateinischen Bezeichnung für den Harlekin-Käfer: Harmonia axyridis. "Die Harmonin-Konzentration in seiner Körperflüssigkeit ist höher als unsere Blutzuckerkonzentration", sagt Lee. Er hofft auf ein neues Malariamittel. "Die meisten bisherigen Malariamittel sind nur gegen bestimmte Stadien der Parasiten aktiv", sagt Lee. "Harmonin aber wirkt gegen alle Plasmodium-Erscheinungsformen."

Noch muss sich zeigen, ob der Wirkstoff tatsächlich Erkrankten hilft. Die Forscher sind gewarnt: Ende der 1990er interessierten sich Forscher und Pharmakonzerne schon einmal für Arzneien aus Insekten. Die Pharmariesen BASF, Schering, Pfizer und Bayer setzten damals auf Insektenforschung. Biotech-Firmen mit so sprechenden Namen wie Entomed, Entocosm oder Evolutec studierten und patentierten zahlreiche Substanzen. Aber spätestens Mitte der 2000er-Jahre verschwanden sie wieder. Die Substanzen waren für damalige Methoden zu komplex, ihre Herstellung viel zu aufwändig. So setzte die Industrie lieber auf künstliche Moleküle, die sich einfacher synthetisieren und untersuchen lassen.

Inzwischen sind die genetischen und analytischen Fähigkeiten allerdings deutlich besser geworden. Mit Methoden wie Crispr scheint es einfacher, die Geheimnisse der Insekten zu entschlüsseln und ihre Wirkstoffe von anderen – industrietauglichen – Organismen wie Bakterien oder Zellkulturen herstellen zu lassen. Bis allerdings ein breites Spektrum an Insekten-Medikamenten in die Apotheken kommt, werde es noch fünf bis zehn Jahre dauern, schätzt Lee.

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(rot)