Druckvoll auf zwei Schwingen: Bimota Tesi H2

Legendäres Konzept und technische Sonderwege: Kawasaki will Ingenieurskompetenz zeigen und baut mit Bimota eine Kleinserie. Jede Tesi H2 kostet 64.000 Euro.

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Unter Druck und auf Schwingen: Bimota Tesi H2

(Bild: Kawasaki)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Nach dem überraschenden Joint Venture zwischen Kawasaki und Bimota im vergangenen Jahr folgt nun die erste Frucht der Zusammenarbeit. Die Bimota Tesi H2 fährt mit Achsschenkellenkung und 231-PS-Kompressormotor. Das exklusive Bike wird in einer Auflage von 250 Stück hergestellt und kostet 64.000 Euro.

Der Bau von Motorrädern mit Radnabenlenkung hat bei Bimota eine lange Tradition. Schon 1990 brachte die italienische Edelmarke die Tesi 1D heraus, damals noch von einem Ducati-Zweizylinder angetrieben. Doch nicht nur der hohe Preis von 52.000 Mark, sondern auch die ungewöhnliche Technik verhinderte eine größere Verbreitung, nur 127 Exemplare verließen im ersten Jahr das Werk in Rimini. Auch die Nachfolgemodelle der 1D (die noch teurer waren) sowie die Tesi 2D (ab 2005) und die Tesi 3D (ab 2007) schafften es nicht, die Motorradwelt von den durchaus vorhandenen Vorteilen einer Radnabenlenkung zu überzeugen. So verhindert die Bremsmomentabstützung der geschobenen Schwinge weitestgehend das Eintauchen der Front beim Bremsen. Dank dieses fahrwerks-immanenten "Anti Dive System" liegt das Motorrad ruhiger auf der Straße. Auf das Bimota-Lenksystem hält Guiseppe Morri – er ist das "mo" im Namen Bimota – ein Patent.

Bimota ging 2000 in die Insolvenz und auch seit der Wiederauferstehung ein Jahr später taumelte die kleine Firma immer am Rande des finanziellen Abgrunds. Erst durch den überraschenden Einstieg von Kawasaki 2019 steht die Finanzierung auf soliden Füßen. Der milliardenschwere japanische Konzern Kawasaki Heavy Industries hat für seine Beteiligung von 49,9 Prozent an Bimota einen nicht bezifferten siebenstelligen Betrag bezahlt, für die Japaner ein sehr günstiges Geschäft. Die Beweggründe sind nicht so wirklich klar, möglicherweise möchte Kawasaki zukünftig eine eigene Modellschiene mit dem Label Bimota versehen. Man verlor keine Zeit und entwickelte gleich das erste Prestigeobjekt.

Bimota Tesi H2 (15 Bilder)

Bimota und Kawasaki bringen die erste Frucht ihres Joint Ventures auf den Markt. Die Bimota Tesi H2 wird von einem 231 PS starken Kompressor-Motor angetrieben und bietet eine Radnabenlenkung.

Die Bimota Tesi H2 fährt mit dem ein Liter großen Reihenvierzylinder der Kawasaki Ninja H2. Er leiste dank Kompressoraufladung 231 PS und 141 Nm Drehmoment. Damit ist er zurzeit der stärkste Serienmotor auf dem Markt, zumindest, was die Leistung angeht. Eine Triumph Rocket 3 (Test) ist mit ihren mit 221 Nm Drehmoment noch deutlich kräftiger, während die Tesi "nur" 141 Nm erreicht.

Auch wenn sie der Ninja H2 entfernt ähnelt, ist die Bimota Tesi H2 ist eine komplette Neuentwicklung und hat mit der Power-Kawasaki, abgesehen vom Motor, nichts zu tun. Alleine schon wegen der Radnabenlenkung musste ein neuer Rahmen konstruiert werden. Statt eines Gitterrohrrahmens aus Stahl trägt ein Aluminiumrahmen den integrierten Motor. Nicht nur hinten, sondern auch vorn führt je eine Schwinge aus Aluminium das Rad. Die vordere Radnabe wird per Schubstreben gelenkt, der Schwingendrehpunkt sitzt direkt vor dem Motor. Beide semi-aktiven Federelemente stammen von Öhlins und können in Vorspannung und Dämfung elektrisch verstellt werden. Die beiden Federbeine sitzen nebeneinander hinter dem Motor.

Die Verkleidung aus Kohlefaserlaminat wurde betont aggressiv gestaltet. Unter den beiden schmalen Scheinwerfern stehen zwei Winglets seitlich, die den Anpressdruck bei hohen Geschwindigkeiten verstärken sollen. Auch der Heckrahmen und das hochragende Heck sowie diverse Anbauteile sind aus leichtem Kohlefaserlaminat, dazu kommen diverse Teile aus gefrästem Aluminium, die Felgen bestehen aus geschmiedetem Aluminium. Das alles soll das Trockengewicht der Bimota Tesi H2 auf angeblich 207 Kilogramm reduzieren. Ob das einer Überprüfung auf der Waage standhält, bleibt fraglich. Die Kawasaki Ninja H2 wiegt als Carbon-Version mit vollem Tank immerhin 238 Kilogramm.

Wie es sich für ein italienisches Motorrad gehört, kommen die Bremsen von Brembo. Am Vorderrad wirken gefräste Bremszangen auf die beiden 330 Millimeter große Bremsscheiben. Die Bremszangen sitzen wegen der Radnabenlenkung oberhalb des Achsschenkels. Die Auspuffanlage wurde von der Kawasaki H2 übernommen. Mit den beiden übereinander liegenden Endschalldämpfern wirkt sie geradezu monströs, dahinter wirkt sogar der 200 Millimeter breite Hinterreifen vergleichsweise schmächtig.

Die Tesi H2 dürfte sämtliche elektronischen Assistenzsysteme der Kawasaki Ninja H2 bekommen haben. Dank einer sechsachsigen "Inertial Measurement Unit" (IMU) von Bosch wären damit unter anderem Kurven-ABS und mehrstufige Schlupfregelung an Bord, sowie ein Quickshifter und eine Anti-Hopping-Kupplung. Bei der irren Motorleistung ist das auch dringend geboten.

Überwacht und eingestellt werden die Parameter der Fahrdynamikregelungen über ein TFT-Display im Cockpit. Die Drehzahl wird hingegen ganz traditionell analog mit einem Zeiger ausgegeben. Passagierbeförderung ist auf der Tesi H2 nicht vorgesehen, denn ein Soziussitz existiert auf dem knappen Heck nicht. Die Stummellenker zwingen den Fahrer in eine sportliche Sitzposition auf dem 840 Millimeter hohen Sitzkissen. So schützt ihn die kuppelförmigen Scheibe besser, wenn bei 299 km/h der Sturm tost. Mehr wird der Tacho nie anzeigen wegen der freiwilligen Selbstbeschränkung der Motorradhersteller keine Bikes zu bauen, die schneller fahren.

Die Tesi H2 ist wohl vor allem ein Prestigeobjekt von Bimota und Kawasaki. Es soll demonstrieren, was sie technisch können, bevor sie günstigere Modelle ohne außergewöhnliche Features wie Radnabenlenkung und Kompressoraufladung nachschieben. Eigentlich sollten die ersten Bimota Tesi H2 bereits ausgeliefert worden sein, aber der Lockdown während der Covid-19-Pandemie hat dies verhindert. Dennoch kann der Überflieger mit der Radnabenlenkung ab sofort geordert werden. Die Auslieferung beginnt am 1. Oktober und die Produktion des Edelbikes ist auf 250 Exemplare begrenzt. Aber viele Kaufwillige dürften beim Preis zurückzucken, die Tesi H2 kostet in Italien 64.000 Euro. Ob sie in Deutschland etwas billiger angeboten wird, da Italien eine Mehrwertsteuer von 22 Prozent erhebt, ist noch nicht bekannt.