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Was war. Was wird. Vom Leben im Museum für den Cyberspace.

Was nicht alles weltfremd sein soll. Die Zukunft aber ist nicht Neuland, sondern mindestens mit autofreien Städten und mehr gesegnet, zukünftelt Hal Faber.

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Was war. Was wird. Vom Leben im Museum für den Cyberspace.

Ja, ja, früher war die Zukunft auch zukünftiger, so wie früher alles nicht besser, aber früher war.

(Bild: Lisa M Fritz / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Nach Fridayse for Future kommen immer die Sundays for gestern. Deutschland, du Land der Windräder und Autobahnen, du Land, in dem autofreie Innenstädte nicht geplant werden, weil sie weltfremd sind, du bekommst Besseres. Nach den schnellen Analogrechnern, unter denen sich die wenigsten etwas vorstellen können, werden drehbare Eiffeltürme mit Windschaufeln gebaut, mit Transmissionsriemen, wie man sie ausgerechnet von den mächtigen Braunkohle-Förderanlagen kennt. Das alles freilich nur, sofern die Agentur für Sprunginnovationen geeignete Plätzchen für die Windkraken findet. Verströmt dieser Vorschlag "den Geruch technischer Machbarkeitsphantasien aus den Sechzigern und Siebzigern", wie ein skeptischer Kollege urteilte? Nun, zumindest vom Zeitfenster her liegt er nicht so verkehrt, wenn man an die Ideen der Gezeiten-, Wind- und Wellenalagen denkt, die sich die Industriearbeiter von Lucas Aerospace ausgedacht haben und die Mike Cooley sammelte und im Namen des Gesamtbetriebsrates präsentierte. Sogar ein Hybrid-Plugin-Automotor findet sich unter den Vorschlägen, auch Elektroantriebe aller Art. Soviel zur Vergangenheit, wir haben dafür einen grünen Ministerpräsidenten, der mit seinen Autofirmen im Ländle kuschelt und von Verbrenner-Autos schwärmt.

Nun ja, "autofrei" alleine reicht natürlich nicht. Aber es wäre schon mal ein schöner Anfang, sich das vorzunehmen. Und dann Städte entsprechend umzuorganisieren. Den massenhaft freiwerdenden Raum etwa sinnvoll für die Bewohner der Städte zu nutzen.

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

*** Keine Wochenschau, kein Heise-Newsticker ist ohne die Mitarbeit und das Mitleid der Heise-Leser denkbar und so ist die Mitfreude groß, wenn eines der klugen Gedichte des Poeten Mike Cooley vom Foristen Mov Faltin gekonnt übersetzt wurde und sich wesentlich besser liest und verstehen lässt als die erste deutsche Übersetzung des Gedichtes. Verströmt euch, ihr klugen Gedanken! Va, pansiero!

*** Der deutsche Bundestag hat die Experten gerufen, sie kamen, sahen und produzierten vorläufige Ergebnisse: Gleich drei Zusammenfassungen wurden in dieser Woche von der Expertengruppe künstliche Intelligenz als PDF-Dateien veröffentlicht, nämlich KI und Medien, KI und Mobilität sowie KI und Arbeit. Dickes Lob gibt es für die KI, wenn "KI-gesteuerte Empfehlungs- und Filtersysteme neue Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger [bieten], sich an politischen Diskussionen zu beteiligen", jedenfalls im unterstützenswerten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, während andererseits vor "Risiken hinsichtlich stark personalisierter Informationsräume, die vornehmlich auf das gezielte Platzieren verhaltensbasierter Werbung ausgerichtet sind". Hier tut KI nicht gut, man sehe sich nur die Werbung auf heise online an. Eins zeigen die gesammelten Veröffentlichungen zur Künstlichen Intelligenz ganz deutlich: Wir brauchen ein KI-Museum, die Sache wird alt und ehrwürdig, von SHRDLU über Eliza Doolittle bis Alexa Jedermensch. Die gute Nachricht: Wir bekommen ein KI-Museum und zwar in Bonn, wo KI frühzeitig eingesetzt wurde, etwa beim Fertigkomponieren von Beethoven oder bei der Farbverteilung von Gummibärchen in Tüten. Es hat schon seinen Sinn, wenn die Hans Riegel-Stiftung Geld für das KI-Museum gibt. Haribo macht alle froh, wenn ein "zentraler Erlebnisort für die Vermittlung der Künstlichen Intelligenz" geschaffen wird.

*** Bleiben wir bei den Wundertaten der Künstlichen Intelligenz. Das neueste Buch von William Gibson ist da. Der Science Fiction "Agency" spielt in einem Paralleluniversum, in dem eine KI zum Wahlsieg von Hillary Clinton führte und Trump den Wahlkampf krachend verlor. Parallel zum Buch gibt es die üblichen werblichen Interviews mit dem Autor, meistens hinter einer Paywall. Der Mann, der vor 40 Jahren den Begriff Cyberspace in die Welt setzte, ist heute der Meinung, dass wir in dem Cyberspace leben und er in uns. Wir alle sind miteinander durchdrungen, durch Smartphone, Internet of Things und Auto-Assistenzsysteme. Der Begriff Cyberspace ist für Gibson antiquiert und fast archaisch: "Wir brauchen im Grunde kein Wort dafür, denn viele von uns sind auf die eine oder andere Weise sowieso fast ununterbrochen dort." Dafür steht Gibson der künstlichen Intelligenz aufgeschlossen gegenüber. Er glaubt, dass es menschliche Bewusstseine mit sehr hoher Rechenleistung geben wird – und glaubt an den Satz, den Mike Cooley so formulierte: "Wir erschaffen Apparate, und dann erschaffen sie uns." Gibson formuliert es so: "Ich glaube, wir sind relativ unfähig zu erkennen, wie unsere Werkzeuge uns formen. Sobald eine Technologie allgegenwärtig ist, nehmen wir sie als völlig selbstverständlich hin."

*** Hach, das wäre doch was gewesen. Auf die Drohung von Facebook, sich aus Europa zurückzuziehen, gab es viel Feedback, meistens in der leicht enervierten Form, dass dann auch schnell durchzuziehen. Es gibt schließlich Alternativen im Fediverse. Aber dann ist es doch bei einer Drohung geblieben, zu wertvoll sind die europäischen User für den Konzern. Da investiert man lieber in die eigene Lobbyarbeit, um das rauhe europäische Klima etwas kalifornischer zu machen. Dribbdebach hat sich indes auch etwas Widerstand gezeigt, als in dieser Woche eine Art Facebook-Aufsichtsrat gegründet wurde, jedoch nicht durch Facebook. Vielmehr haben sich bekannte Facebook-Kritikerinnen und -Kritiker zusammengeschlossen, weil Facebook mit dem längst selbst angekündigten Gremium lange auf sich warten lässt. Der Unmut ist auch in den USA gewachsen, wo Facebook eifrig beim Wahlkampf der Unterstützer von Donald Trump mitmischt. Da werden schon mal Anzeigen mit Aussagen über Kontrahent Joe Biden akzeptiert, die die eigenen Factchecker selbst widerlegt haben. So lesen wir von Zuckerberg, dass er als "auffälligster Oligarch der Welt" seine Nähe zu Trump für korrupte wirtschaftliche Vorurteile nutzt, und das von jemandem, der als Schimpfkanone des Silicon Valleys seit längerem durch die Lande zieht. Wer es jetzt ganz schaurig haben will, kann sich noch die Netflix-Dokumentation The Social Dilemma angucken, eine Hitparade der Angst.

*** Vor vierzig Jahren erschütterte eine rechte Terrorwelle Deutschland. Es begann mit einem Anschlag auf das Oktoberfest. Doch von diesem anderen deutschen Herbst ist wenig in Erinnerung geblieben. Damals war Wahlkampf, den Strauß und die CSU mit besonders harten Bandagen gegen Links führten. An diesem Wochenende wird es einige Gedenkminuten für die 20 Toten und 200 Verletzten geben, bei dem sicher auch die über 100 rechtsextremen Polizisten genannt werden, die in Nordrhein-Westfalen ermittelt wurden. Auch von rechtsextremen Soldaten wird die Rede sein, wenn ein neuer Chef oder eine Chefin beim militärischen Abschirmdienst vorgestellt wird. Schließlich wollte der alte Chef lange nichts von einem rechtsextremen Netzwerk bei der Truppe wissen. Dann aber geht es schnell zur Tagesordnung über: Zählen wir die Einzelfälle.

*** "Ich kenne keine unschuldige Revolution. Ich kenne keine Unschuld, die sie nicht versuchen wird." Nun ist auch Rossana Rossanda tot, die "Tochter des 20. Jahrhunderts", die nie behauptete, unschuldig zu sein, sich immer verantwortlich fühlte, sogar für den Dogmatismus des PCI, das Scheitern der italienischen Aufstände von 68, gar für die Gräuel des real existierenden Sozialismus. Und die doch immer darauf bestand, an der Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft festzuhalten. Vielleicht war sie darin revolutionärer und auch anarchistischer, als sie sich selbst eingestand. Es sind Menschen wie Rossana Rossanda, deren Fehlen uns noch lange schmerzhaft bewusst sein wird.

Apropos korrupte wirtschaftliche Vorteile durch Social Media: Für Alexander Nix ist die Rolle des Edel-Analysten vorerst nicht verfügbar. Der ehemalige Chef von Cambridge Analytica darf in Großbritannien sieben Jahre lang keine Firma mehr leiten oder besitzen. Mit diesem Urteil zieht die Regierung von Boris Johnson die Konsequenzen aus der Tatsache, dass die verschiedenen Firmen von Nix unethische Dienste im Angebot hatte, vom einfachen Nudging von Internet-Surfern bis zum Wahlbetrug durch "shady political services".

Derweil stiftet ein anderes britisches Verfahren viel Verwirrung. Die Rede ist von dem Verfahren zur Auslieferung von Julian Assange an die USA. Da wurden zuletzt verschiedene Gutachter zur mentalen Gesundheit des Wikileaks-Gründers befragt, in einer Weise, die den Schutz der Privatsphäre souverän ignorierte. Eine Aussage irritierte dabei besonders. Ihr zufolge soll Assange nur deshalb auf die Krankenstation des Gefängnis Belmarsh verlegt worden sein, damit Mithäftlinge keine Aufnahmen von ihm aufzeichnen und verkaufen konnten. Sollte dies zutreffen, wäre dies der nächste Skandal am skandalösen Verlauf der Verhandlungen. Am Freitag ließ die Vorsitzende Richterin durchblicken, dass sie das Urteil zur Auslieferung oder Nicht-Auslieferung von Assange erst im Januar 2021 fällen wird, um den Fall aus dem US-Wahlkampf herauszuhalten. So lang wird Assange in Sicherungsverwahrung bleiben. Das ist gleich der nächste Skandal.

Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

(Bild: I. Salci / Shutterstock.com)

(jk)