Meinung: VW mit dem E-Auto ID.3 auf gefährlichem Sparkurs

VW spart im Innenraum des für den Konzern so wichtigen ID.3 bis an die Schmerzgrenze. Das könnte den Konzern noch teuer zu stehen kommen. Ein Kommentar

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VW ID.3

Es hätte VW einen vergleichsweise überschaubaren Betrag gekostet, den ID.3 mit einem Innenraum auszustatten, der oberflächlich beeindruckt. Diese Chance haben die Verantwortlichen leichtfertig vertan.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Stand:
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Martin Franz
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Rückblende: Wir schreiben das Jahr 1997. Die Konkurrenz hätte gewarnt sein können, nachdem Volkswagen die gefühlte Qualität beim kurz zuvor erfolgten Modellwechsel des VW Passat auf ein Level gehoben hatte, das die meisten Mitspieler etwas hemdsärmelig wirken ließ. Doch als man in Köln und Rüsselsheim die ersten Bilder des VW Golf 4 gesehen hatte, verfielen die Verantwortlichen erst in Schockstarre, anschließend in hektische Betriebsamkeit – der zweite Opel Astra wurde um ein halbes Jahr verschoben, um zumindest ein wenig am Anschein nachbessern zu können.

Was Volkswagen an oberflächlichem Glanz geschaffen hatte, ließ sich jedoch nicht so einfach nachbauen. Neben optischen Spielereien wie klarverglasten Streuscheiben, geringen Spaltmaßen oder auch der blau-roten Illuminierung des Kombiinstrumentes gehörte dazu vor allem eine bis dato in dieser Klasse ungewohnt feine Auskleidung des Innenraums. Im Erstkontakt wirkte der vierte Golf sehr viel hochwertiger als die Konkurrenz. Dass dieser Umstand Erwartungen an Qualität und Haltbarkeit weckte, die das Auto dann nicht an jeder Stelle einlöste, gehört zur Wahrheit natürlich ebenso dazu.

Etwas mehr als 20 Jahre später liegen die Rahmenbedingungen in jeglicher Hinsicht komplett anders. Volkswagen hat mit seinem Abgasbetrug, der oftmals als Schummelei schöngeredet wird, einen Flächenbrand ausgelöst, den der noch immer marktmächtige Konzern mit aller Gewalt austreten will. Dazu hat man sich entschieden, die Umstellung auf Elektromobilität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln voranzutreiben. Als dieser Plan festgezurrt wurde, war das eine mutige Entscheidung, denn die Zulassungszahlen von E-Autos waren durchaus nicht ermutigend.

Dennoch hat sich der schwere Industrietanker Volkswagen in Bewegung gesetzt und, gemessen in industriellen Maßstäben, in unglaublich kurzer Zeit eine Plattform für Elektroautos geschaffen, auf der in den kommenden Jahren unzählige Konzernmodelle aufbauen werden. Das bisschen Verpackung, sprich das, was der Kunde an der Oberfläche sieht, ist in der Fahrzeugentwicklung nur Beiwerk.

Bei dem Entwicklungstempo, an dem sich Volkswagen versucht hat, sind Kollateralschäden vermutlich kaum zu vermeiden. Doch der Start des ersten Autos auf dieser Basis verlief derart holprig, dass Konzernchef Herbert Diess fast final gestolpert wäre. Er entkam der kompletten Entmachtung nur knapp, musste dafür aber einen Teil seiner Entscheidungsgewalt abgeben. Daran war nicht nur der rumpelige Anlauf des ID.3 Schuld, sondern auch der unglückliche Beginn des Golf 8 – noch immer das wichtigste Standbein des Konzerns. Im übertragenen Sinne: Hat dieses Erfolgsmodell Symptome einer leichten Erkältung, droht dem Gesamtunternehmen eine schwere Grippe. Dementsprechend verschnupft reagiert man hinter den Kulissen in Wolfsburg, wenn es beim Golf nicht wie geplant läuft.

Der Golf ist für VW der Träger, der viel Last stemmen muss. Nun kann man trefflich darüber streiten, ob das klug ist und perspektivisch so bleiben wird. Fakt ist, dass der Konzern mit dieser Strategie in der Vergangenheit durchaus nicht schlecht gefahren ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu kühn, was VW der treuen Golf-Kundschaft vorgesetzt hat. Das entknopfte Bediensystem polarisiert, was bei einem so eminent wichtigen Massenmodell ein erstaunliches Wagnis ist. Mindestens ebenso so verblüffend ist die haptische Entfeinerung, die VW mit dem Modellwechsel ganz offen zur Schau trägt.

Dabei lag gerade darin eine Kompetenz von Volkswagen: Dinge an der Oberfläche hochwertig erscheinen zu lassen. Es ist brutal, was VW mit dem Golf 8 diesbezüglich abliefert. Ein Mazda 3 (Test) wirkt in dieser Hinsicht wesentlich geschickter zusammengestellt, und er ist nicht der einzige Konkurrent, bei dem das so ist. VW geht hier gewissermaßen den umgedrehten Weg wie im Jahr 1997.

Große Hoffnungen verbindet Volkswagen mit dem ID.3. Man hat derart viel investiert, dass ein Flop dramatisch für die Wolfsburger Kassenlage wäre. Das ist nicht zu erwarten, doch im Erstkontakt fragt man sich, ob VW mit dem Investieren nicht ein bisschen zu früh aufgehört hat. Damit ist nicht etwa die peinliche Software-Panne oder die Verarbeitungsmängel gemeint. Beides kann einem überstürzten Produktionsanlauf zugeschrieben werden. Ich glaube, dass Volkswagen diese Mängel relativ rasch abstellen kann und wird, so ärgerlich sie für die ersten Kunden auch sind.

Was sich nicht ganz so einfach kurieren lässt, ist die oberflächliche Güte. Der Golf hat in seiner neuesten Auflage gegenüber dem Vorgänger diesbezüglich schon für jeden ersichtlich abgebaut. Der für den Konzern so wichtige ID.3 unterbietet ihn nochmals in einem Maße, dass sich manch einer fragen wird, ob VW nur noch an die Aktionäre denkt. Nahezu alles im Innenraum erweckt den Anschein, man habe mit roher Gewalt versucht, das Basismodell unter die Marke von 30.000 Euro zu drücken. Ob das geglückt ist, wird sich noch herausstellen, denn der günstigste ID.3 soll erst Mitte 2021 starten.