Missing Link: Autonomes Fahren – ja, wo fahren sie denn? (Teil 1)

Das Verkehrsministerium arbeitet an einem Gesetz für das vollautomatisierte Fahren, die deutschen Hersteller verabschieden sich derweil von dieser Perspektive.

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Im Verkehrsministerium wird derzeit an einer Novelle der Straßenverkehrsordnung gearbeitet, die dem autonomen Fahren einen tüchtigen Schub zu geben verspricht: Es geht um die gesetzliche Regelung von Stufe 4 des autonomen Fahrens ("vollautomatisiert"), die z.B. der VDA einem gängigen Stufenmodell entsprechend definiert als "kein Fahrer erforderlich im spezifischen Anwendungsfall". Erstmals werden in Deutschland von Seiten der Politik Anwendungsszenarien wie der Betrieb unbemannter Taxi-Flotten der Weg geebnet.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Sollte das Gesetz wie geplant Mitte 2021 verabschiedet werden, wäre das gleichzeitig eine Weltpremiere. "Mit diesem Gesetz ist Deutschland weltweit führend", meint Dr. Benedikt Wolfers, der auf Regulierung des Automobilsektors spezialisiert ist. Das hört sich nach einer guten Nachricht an für die Autoindustrie, bekommt sie doch regulatorische Schützenhilfe aus dem Hause Scheuer. Jubelreaktionen bleiben jedoch aus, im Gegenteil sieht es eher so aus, als würden die heimischen Autobauer gar nicht mitspielen wollen oder können.

Szenenwechsel. Während in Berlin an Level 4 gearbeitet wird, wurde in Stuttgart zum elften Male die neue S-Klasse präsentiert, mit der Daimler wie gewohnt versucht automobile Standards zu setzen. Als die erste S-Klasse von Mercedes Ende 1978 vorgestellt wurde, begann auch die Ära der Fahrassistenzsysteme: Erstmals konnte in der Baureihe 116 das von Bosch entwickelte Antiblockiersystem (ABS) als Sonderausstattung für schlappe 2.217,60 DM geordert werden. Heute ist ABS Standard in allen Fahrzeugen in der EU. Nach diesem Schema führt die Autoindustrie seit jeher technische Neuerungen ein: erst als Sonderausstattung in der Oberklasse, dann schrittweise in allen anderen Fahrzeugklassen.

Man durfte also auch diesmal gespannt sein, sind doch schon für das Einstiegsmodell stolze 93.438 Euro fällig. Die Ingenieure haben sich wieder tolle Sachen einfallen lassen, so z.B. versenkbare Türgriffe, die den Luftwiderstand reduzieren (Viel hat es nicht genutzt – selbst das sparsamste Modell emittiert stolze 180 g CO2 nach NEFZ, auch ein elektrisches Modell sucht man vergebens). Dafür soll mit dem integrierten, aber erst 2021 freigeschalteten "Drive Pilot" autonomes Fahren auf Stufe 3 ("hochautomatisiert") möglich sein. Das Fahrzeug kann also bald in bestimmten Situationen komplett Längs- und Querführung übernehmen und über längere Zeit selbstständig fahren.

Es gelten allerdings eine Reihe an Einschränkungen: Nur im Stau, nur unterhalb von 60 km/h, nicht bei "unbarmherzigem Wetter" (sprich: Regen), nur außerhalb von Baustellen, nicht im Tunnel… Nur wenn alle diese Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind, kann der Fahrer die Hände vom Lenkrad, den Fuß vom Pedal und die Augen von der Straße nehmen. Selbst dann muss der Fahrer nach wie vor jederzeit übernahmebereit sein, darf nicht schlafen oder dergleichen.

Nicht gerade elektrisierende Neuigkeiten aus Untertürkheim, Teslas Autopilot kann das zudem schon länger. Der notorisch großspurige Elon Musk verkündet zwar kürzlich, mit dem neuesten Autopilot-Update sei es soweit mit "Full Self-Driving-Systems" auf Stufe 5. Liest man jedoch das Kleingedruckte, erweist sich auch das letzte Update von Teslas "Autopilot" als werblich aufgepepptes Level 3: "Es kann im schlimmsten Fall das Falsche tun. Sie müssen also immer Ihre Hände am Lenkrad halten und besonders auf die Straße achten."