Electrical Stand-off: Das Autorennen Pikes Peak wird elektrisch

Es gibt kein Autorennen, das amerikanischer ist als der Pikes Peak. Ausgerechnet hier dominieren mittlerweile die Elektroautos. Zu Recht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 216 Kommentare lesen

Ohne in der Höhe kurzatmig zu werden werfen sich die Elektroautos mit voller Kraft aus jeder Kurve.

(Bild: VW)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der es um spannende automobile Vorkämpfer geht, die drohen in Vergessenheit zu geraten. Denn meist war ihr Mut nicht von Erfolg gekrönt.

Teil 1: Der Blitz, den niemand wollte: Audi duo, erster Hybrid auf dem Markt

Teil 2: Nichts war Roger: General Motors erstes Elektroauto EV1

Teil 3: Das Gegenteil von Diesel: Volvo V60 Diesel-Plug-In-Hybrid

Teil 4: Applaus den Gründervätern: Mitsubishi i-MiEV, Peugeot iOn & Citroën C-Zero

Teil 5: Bastlerhit für Liebhaber: Tesla Roadster

Teil 6: Vergaloppiert: BMW Hydrogen 7

Teil 7: Das Blatt, das wendet: Nissan Leaf

Teil 8: Noch eine Premiere: Peugeot 3008 HYbrid4

Teil 9: Deutschland war gestern: Toyota Mirai

Vor Colorado Springs geben die Rocky Mountains langsam auf. Doch in einem letzten geologischen Kraftakt schoss noch einmal der Pikes Peak in die Höhe. 4301 Meter, um genau zu sein. Wer dort wandern geht, dem schlägt die amerikanische Landschaft mit kitschiger Opulenz alles entgegen, was schön und wahr ist an diesem Land. Es ist der vielleicht amerikanischste Berg, den es gibt. Auch, weil es eine durchgehend asphaltierte Straße hinauf zu einem Parkplatz mit Snackbar und Souvenirshop gibt.

Vor allem aber, weil hier die Wiege des friedlichen Patriotismus liegt. Denn die Legende von Pikes Peak geht zurück bis ins Jahr 1893. Damals machte Katharine Lee Bates, ihres Zeichens Englischlehrerin, mit ihrer Klasse einen Ausflug. Ein Präriewagen brachte sie nahe an den Gipfel heran. Nur die letzten Meter mussten per Esel zurückgelegt werden. Müde sei sie gewesen, schrieb sie über den Ausflug. Aber dann habe sie die Aussicht erblickt: "All the wonder of America seemed displayed there, with the sea-like expanse."

Derart euphorisiert verfasste sie das Gedicht "America the Beautiful". Bis heute ist es – mit später komponierter Melodie – eine inoffizielle Nationalhymne der USA. Als Lied wird es vor Sportveranstaltungen und bei Versammlungen vorgetragen. Viele Künstler – darunter auch Elvis Presley und Ray Charles – haben den Song bereits interpretiert. Auf dem Gipfel des Pikes Peak ist der Text in eine Gedenktafel gemeißelt.

Derart patriotisch und emotional aufgeladen durfte natürlich ein Autorennen nicht fehlen. Aber nicht irgendeines, sondern ein amerikanisches. Der Pikes Peak Hillclimb, der seit dem Jahr 1916 ausgetragen wird. Es ist simpel. Die Strecke ist 19,99 Kilometer lang, hat allerdings 156 Kurven und es müssen 1439 Höhenmeter gemacht werden (dazu später mehr). Der Nervenkitzel des Rennens liegt darin, dass jeder Starter nur einen Versuch hat. Eine Kugel im Lauf. Ein Schuss. Treffen oder verlieren. Der Mexican-Stand-off des Motorsports.

Der Pikes Peak wird elektrisch (4 Bilder)

Der Sieg der Elektroautos und deren Rekorde beim Pikes Peak Hillclimb waren abzusehen. Zu klare Vorteile genießt das Konzept beim Bergrennen in Colorado.


Eine Ausgangslage wie geschaffen für Heldensagen, historische Duelle und Rekordjagden. Besonders erwähnenswert ist natürlich die Schlacht aus dem Jahr 1987. Walter Röhrl im Audi Sport quattro besiegt Ari Vatanen im Peugeot 205 T16. Der Finne kam jedoch ein Jahr später wieder, um einen Rekord aufzustellen. Oder die amerikanische Familie Unser, deren Mitglieder seit 1926 am Hillclimb teilnehmen.

Insgesamt zwölf Personen aus der Familie Unser befuhren schon den Berg. 1934 siegt Louis Unser zum ersten Mal. Er holte noch acht weitere Siege. Rekordhalter ist aber Bobby Unser, der insgesamt 13 Titel sammelte. Mit Jeri Unser nahm in den 1990ern auch eine Dame der Dynastie am Rennen teil. Eine PS-getriebene Familiengeschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

Kern des Pikes Peak Hillclimb sind die Rekorde. Es gibt unterschiedliche Klassen für diverse Fahrzeuge und Antriebe. Doch das wichtigste ist die Gesamtzeit. Die zählt. Darauf schaut jeder. Und die Zeiten wurden mit den Jahren immer besser. Das liegt zum einen an den immer stärkeren Autos, aber auch daran, dass mittlerweile die gesamte Strecke asphaltiert ist. Röhrl und Vatanen duellierten sich noch auf Schotter.

Für die Freunde dieser Rekordjagd hielten die vergangenen Jahre einige Überraschungen parat. Das Jahr 2013 ist ein guter Startpunkt. Damals pulverisierte Sébastien Loeb mit einem Peugeot 208 T16 den bestehenden Rekord. Mehr als eineinhalb Minuten nahm er dem bisherigen Rekordhalter ab. Loeb brauchte 8:13.878 Minuten. Doch ein paar Sekunden hinter ihm braute sich bereits eine Revolution zusammen.

Nobuhiro Tajima benötigte in einem Elektroauto 9:46.530 Minuten. Noch im Vorjahr hätte er mit dieser Zeit das Gesamtklassement gewonnen. Das passierte dann im Jahr 2015. Im elektrischen "e0 PP03" (sechs Motoren mit insgesamt 1368 PS) gewann Rhys Millen das Gesamtklassement. Im Jahr 2018 war dann Volkswagen dran. Romain Dumas am Steuer eines VW ID. R brauchte nur 7:57.148 Minuten um mit dem Elektroauto auf den Gipfel zu kommen. Ein neuer Allzeitrekord.

Elektroautos sind beim Pikes Peak Hillclimb mittlerweile die schlauere Wahl. Weil das Drehmoment bereits ab der ersten Umdrehung anliegt, gleicht das Rausbeschleunigen aus den 156 Kurven einer Naturgewalt. Dazu kommt, dass Verbrennungsmotoren wegen der enormen Höhe gegen Ende des Rennens rund dreißig Prozent an Leistung einbüßen. Elektroautos nicht.

Eines der amerikanischsten Rennen der Welt wird mittlerweile von Elektroautos dominiert. Katharine Lee Bates hätte das wahrscheinlich gefallen. Bei lautlosen Autos lässt sich die Aussicht besser genießen.

(fpi)