Vernetzte Register: Bundestag macht die Steuer-ID zur Bürgernummer

Das Parlament hat die Steuer-ID als übergreifendes "Ordnungsmerkmal" und Personenkennziffer etwa für Melde- und Fahrzeugregister gesetzlich festgeschrieben.

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(Bild: In Green/Shutterstock.com)

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Nach einer hitzigen Debatte beschloss der Bundestag am Donnerstag einen Gesetzentwurf, mit dem die Steuer-ID als Bürgernummer in die öffentliche Verwaltung eingeführt wird. Die Kennung kann damit künftig als übergreifendes Ordnungsmerkmal und Personenkennzeichen in gut 50 besonders relevanten Datenbanken von Bund und Ländern inklusive der Fahrzeug- und Melderegister genutzt werden. Für die Initiative stimmten die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD, die Opposition war geschlossen dagegen.

Die Registermodernisierung soll über eine Art übergreifende Suchmaske erfolgen. Um den gewünschten Datensatz anhand von Basisdaten wie Name und Anschrift in unterschiedlichen staatlichen Verzeichnissen finden zu können, ist eine Personenkennziffer nötig. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hatte hier empfohlen, auf die Steuer-ID aufzusetzen und diese "um die für ein registerübergreifendes Identitätsmanagement" nötigen Elemente zu ergänzen. Sie erhielt dafür einen Big Brother Award.

Die Abgeordneten erachten das Vorhaben als wichtigen Schritt, um das Onlinezugangsgesetz (OZG) umzusetzen und mehr Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Wesentliche Voraussetzung dafür sei, dass Daten und Nachweise elektronisch übermittelt werden könnten. Dies solle nicht immer wieder neu geschehen, sondern im Einklang mit EU-Vorgaben "once only". Dabei müssten Personenverwechslungen ausgeschlossen und die betroffenen Bürger im E-Government eindeutig identifiziert werden können.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, andere Forscher, Sachverständige bei einer parlamentarischen Anhörung und die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern brachten massive verfassungsrechtliche Einwände gegen die Initiative vor. Der Bundesrat hält damit die Nutzbarkeit der Steuer-ID insgesamt für gefährdet.

Die Bundesregierung sah hingegen schon mit ihrem Entwurf das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewahrt. Sie verwies auf das "4-Corner-Modell". Demnach sollen Daten nicht zwischen Behörden direkt getauscht, sondern über einen Mittelsmann fließen. Über ein "Datencockpit" werde es zudem für die Bürger nachvollziehbar, welche Behörde wann aus welchem Grund auf welche Informationen zugegriffen habe.

Schwarz-Rot fügte über einen Änderungsantrag weitere Sicherungen ein. Die Verarbeitung der Identifikationsnummer ist demnach nur "zu Verarbeitungen zur Erbringung von Verwaltungsleistungen" nach dem OZG "auf Grund von Rechtsvorschriften oder mit Einwilligung der betroffenen Person sowie zum Zwecke eines registerbasierten Zensus" zulässig. Der Bundestag soll zudem durch ein formelles Gesetz entscheiden, ob weitere Register die ID verarbeiten dürfen oder die Verarbeitungsbefugnis bei anderen aufzuheben ist.

Aus der Liste der für eine virtuelle Vernetzung vorgesehenen Datenbanken gestrichen haben die Abgeordneten das Schuldnerverzeichnis, das Insolvenzregister, das Rechtsdienstleisterregister, das Liegenschaftskataster sowie Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern.

Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch eine Verordnung die Anzahl und die Abgrenzung der Sektoren zu bestimmen, in denen Daten zusammengeführt werden dürfen. Dies habe so zu erfolgen, "dass das Risiko, bezogen auf die einzelne Person ein vollständiges Persönlichkeitsprofil durch Datenübermittlungen innerhalb eines Bereichs zu erstellen, wirksam begrenzt wird". Ein übergreifendes Schattenbild wird damit aber nicht ausgeschlossen. Allein der geplante Bereich "Soziales" soll von der Rente über die Krankenversicherung bis zur Jugendhilfe reichen.

Die einmaligen Umstellungsaufwände der betroffenen Behörden schätzt die Regierung auf "insgesamt bis zu 300 Millionen Euro". Dazu sollen Umsetzungskosten in den ersten vier Jahren von rund 108 Millionen Euro kommen.

"Wir stellen die Weichen für die bürgerfreundliche Verwaltung", betonte Marc Henrichmann (CDU). Endlich müssten keine langen Formulare mehr ausgefüllt werden, langes Warten auf Amtsstuben habe ein Ende. "Der Datenschutz macht uns kaputt", habe er jüngst erst wieder bei Unternehmergesprächen gehört. Es bringe daher nichts, wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren. Die Standards aus dem Volkszählungsurteil von 1983 gegen Profilbildung seien aus der Zeit gefallen, ergänzte Henrichmanns Parteikollege Philipp Amthor. Er warte entspannt auf ein "Wiedersehen in Karlsruhe".

"Wir brauchen die vollständige Digitalisierung von Datenbeständen" und den Austausch von Behördeninformationen, meinte Thomas Hitschler (SPD). Durch das Nebeneinander von 220 Registern in Deutschland komme es zu viel zu vielen Datenerhebungen und Verwechslungen. Über die ID habe man lange diskutiert, denn "auch bei uns schlagen bei diesem Thema zwei Herzen in einer Brust". Daher gebe es nun eine klare gesetzliche Begrenzung auf die Zweckbestimmung für Verwaltungsdienstleistungen.

Die Steuer-ID sollte auch schon nur für Steuerangelegenheiten eingeführt werden, hielt Manuel Höferlin (FDP) dagegen. Solche Zweckbestimmungen seien leicht zu brechen. Der Liberale plädierte für die Nutzung bereichsspezifischer Identifier: "Das einzige, was man mit der Steuer-ID gewinnt, ist Zeit." Unter diesem Druck riskiere die Koalition erneut, vor dem Bundesverfassungsgericht zu enden.

"Ich hab's satt", platzte der Linken Petra Pau der Kragen: Spätestens seit 2001 beschlössen Mehrheiten im hohen Haus "deutlich grundrechtswidrige Gesetze", die in Karlsruhe wieder kassiert würden. Der Überwachungsrahmen werde trotzdem immer weiter gespannt. Das Bundesverfassungsgericht habe aber den Datenschutz auf Verfassungsrang gehoben, nicht den Datenzugriff.

"Der Datenschutz schützt die Menschenwürde", hieb Konstantin von Notz in die gleiche Kerbe: Wer so borniert daherrede wie Henrichmann, könne nur verfassungswidrige Gesetze fabrizieren. Diese kachelten in Karlsruhe vor die Wand und IT-Großprojekte scheiterten. Nun baue Schwarz-Rot das wichtige Gesetz erneut auf sandigem Boden. Würde es gestoppt, "haben wir ein Kosten- und Zeitproblem biblischen Ausmaßes". Dies sei ein zu hoher Preis für diese "Huschi-Aktion".

"Dieses Gesetz ist ein direkter Anschlag auf unsere Grundrechte", wetterte Michael Espendiller (AfD). Der Mensch werde reduziert auf einen Datensatz, die Freiheit sterbe scheibchenweise. Bürgerrechtler der Humanistischen Union befürchten, dass der Mensch mit dem Vorhaben gläsern werde: "Es gibt kein Halten mehr, dass der Staat jederzeit auf alle verfügbaren persönlichen Daten zugreift und sie miteinander verknüpft. Genau dies habe das Bundesverfassungsgericht mit dem Volkszählungsurteil verhindern wollen.

(mho)