Corona: Apotheker und Laborärzte sehen Schnelltests skeptisch

Die neue Corona-Strategie von Gesundheitsminister Jens Spahn, wonach alle Bürger einen Anspruch auf Antigen-Schnelltests erhalten sollen, führt zu viel Kritik.

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(Bild: Miguel Alegre / Shutterstock.com)

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Experten aus dem Gesundheitswesen und aus Kommunen halten den Plan von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für eine erweiterte nationale Corona-Teststrategie für wenig durchdacht. Der Vorsitzende des Berufsverbands der Deutschen Laborärzte (BDL), Andreas Bobrowski, warnte vor dem vorgesehenen Ausbau von Schnelltests: "Die Gefahr ist größer als der Nutzen", erklärte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Neben der geringeren Aussagekraft sei das größte Problem eine unzulängliche Probenentnahme durch nicht ausreichend geschultes Personal.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfehle die Entnahme von Proben tief in der Nase und im Rachenraum. "Das kann man nicht in ein, zwei Stunden lernen", meint der Lübecker Mediziner. "Am besten macht man das in Arztpraxen, sonst kann das Ergebnis schnell falsch sein." Die Ausweitung auf Apotheken könne schwierig werden, da diese ihren Kunden nicht wehtun wollten: "Leider gilt: Beim Nasenabstrich müssen einem die Tränen kommen, im Rachen muss der Würgereiz ausgelöst werden."

Bobrowski lehnt daher auch die geplanten Laientests für Zuhause ab, für die der Kunde einen Euro draufzahlen soll. Niemand wolle sich oder den Kindern vor der Schule weh tun: "Aber die Bequemlichkeit können wir uns nicht leisten, wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen."

Ein weiteres Problem drohe laut dem BDL, da positive Ergebnisse von Selbsttests nicht an die Gesundheitsämter gemeldet werden könnten und die Quarantäne ausbleibe. Dadurch gehe der Überblick über das Infektionsgeschehen verloren. Der Vorwurf, die Laborärzte fürchteten um ihr Geschäft, sei falsch. Mehr positive Schnelltests zögen auch mehr PCR-Tests im Labor nach sich, die als verlässlicher gelten.

"Ich habe den Eindruck, dass nun versucht wird, Zeit zu überbrücken", witterte Bobrowski hinter dem Vorhaben Spahns gegenüber der Welt auch ein Ablenkungsmanöver. Es fehlten Impfstoffe, da es mit der Beschaffung nicht richtig hingehauen habe, das Impftempo sei daher zu langsam.

Vom 1. März an "sollen alle Bürger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden können", hatte Spahn am Dienstag angekündigt. "Die Kommunen können ihre Testzentren oder Apotheken mit solchen Angeboten beauftragen", erläuterte der CDU-Politiker. Auch Laien-Selbsttests etwa per Gurgel- oder Spuckprobe sollten nach ihrer "bald erwarteten Zulassung" durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für alle zugänglich sein.

Coronavirus und Heimarbeit

Alles, was das Infektionsrisiko verringere, sei gut, kommentierte Frank Jaschkowski, Geschäftsführer der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, die Initiative gegenüber dem NDR. Das Vorhaben sei aber so nicht umsetzbar: "Das ist letztendlich auch eine Personalfrage." Wenn Mitarbeiter in Apotheken "nebenbei" noch testen sollten, "stoßen sie an ihre Grenzen". Viele der Einrichtungen hätten auch keine separaten Räume und Schutzausrüstung, um die Tests angemessen durchführen zu können. Bisher machten erst 15 bis 20 Prozent der Apotheken von der Option Gebrauch, entsprechende Diagnosen anzubieten.

Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dämpfte gegenüber der Funke-Mediengruppe Erwartungen, vom kommenden Monat an "stünden überall für alle Schnelltests in großer Zahl zur Verfügung". Der Impfstart habe gezeigt, dass die Organisation der Abgabe medizinischer Stoffe "für viele Millionen Menschen gleichzeitig eine Mammutaufgabe darstellt". Ein "stufenweises Vorgehen" wäre daher sinnvoll. Generell seien mehr Schnelltests aber ein Hoffnungssignal für Öffnungsperspektiven etwa für Schulen, Kitas, den Einzelhandel, Kultur, Hotels und Gaststätten.

Spahn verteidigte seinen Vorstoß am Mittwoch. Anfang März dürfte die Nachfrage zwar sehr groß sein, räumte er ein. Neben Apotheken kämen aber auch Testzentren und Arztpraxen für Schnelltests infrage. Um ein Chaos zum Auftakt zu vermeiden, sollten Interessenten deren Terminsysteme nutzen. Bei einem positiven Ergebnis könne man den Betroffenen einen anschließenden PCR-Test nur eindrücklich nahelegen, kontrollierbar sei dies aber nicht.

Ob das Vorweisen eines negativen Resultats künftig als Bedingung dafür gemacht werden dürfe, um nach dem Lockern des Lockdowns Theater, Restaurants, Schwimmhallen oder Konzerte besuchen zu können, erklärte der Minister als Sache der Veranstalter. Er erinnerte daran, dass es in allen Bereichen der kritischen Infrastruktur wie der Energieversorgung, Gesundheit, Medien und Kultur, IT sowie Staat und Verwaltung schon jetzt möglich sei, Schnelltests über Hersteller, den Großhandel und Apotheken zu beziehen sowie mit geschultem Personal durchzuführen.

Der Chef des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH), Martin Walger, gab sich gegenüber der FAZ entspannt, dass die Branche den zu erwartenden Nachfrageboom stemmen könne. Bei der Ausgabe von Schnelltests an Pflegeheime und Krankenhäuser, die bisher schon von der nationalen Corona-Teststrategie erfasst sind, habe es zwar anfangs geknirscht. Daran sei aber die Distribution schuld gewesen, nicht die Produktion. Die Lieferung an Testzentren, Labore, Apotheken oder Ärzte laufe reibungslos und lasse sich hochskalieren.

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Hergestellt werden die Schnelltests vor allem in Fernost. Für Deutschland haben das Gesundheits- und das Wirtschaftsministerium ein eigenes Förderprogramm aufgelegt. Zuversichtlich angesichts der steigenden Nachfrage ist etwa der Schweizer Konzern Roche. Seit Januar sei eine Entspannung der allgemeinen Versorgungslage mit Antigen-Schnelltests zu beobachten, erklärte eine Sprecherin der Welt. Die Kapazitäten der Branche seien insgesamt gestiegen. Roche produziere derzeit – mit Partnern im Ausland wie Bionsensor aus Südkorea – über 100 Millionen der Kits im Monat.

Deutschland hat sich Berichten zufolge in Rahmenverträgen zunächst 50 bis 60 Millionen Schnelltests pro Monat gesichert. Der Bund zahlt dafür neun Euro je Test und noch einmal soviel für die Durchführung und die Bestätigung. Die Kosten für den Steuerzahler belaufen sich allein damit auf rund eine Milliarde Euro im Monat.

(olb)