Wasserstoff wird Benzin: Siemens braut Treibstoff aus Wind und Wasser

In Chile baut Siemens Energy ein großes Werk für kommerzielle Produktion klimaneutralen Benzins. Erstabnehmer ist Porsche.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 584 Kommentare lesen
Infografik zur Herstellung von E-Benzin

CO2-neutrales Benzin aus Südamerika für den Green Deal der EU

(Bild: Siemens Energy Brasil Ltda., São Paulo)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torge Löding
Inhaltsverzeichnis

Die Vorbereitung sind abgeschlossen, Engeneering und Fertigstellung der Komponenten haben begonnen. Der erste Spatenstich für das Haru-Oni-Wasserstoff-Projekt soll im Mai geschehen, aber bis zum Start der Großproduktion klimaneutraler Treibstoffe wird es wohl noch ein paar Monate mehr dauern. Im windigen Süden Chiles baut Siemens Energy eine Produktionsanlage für E-Benzin. Sie wird aus Modulen zur CO2-Gewinnung aus der Luft bestehenn sowie einer Elektrolyseeinheit und neben Wassertanks auch aus Geräten für Methanol-Synthese. Über große Windräder soll Windkraft gewonnen werden.

Ein anspruchsvolles Ziel, dennoch gibt sich Siemens optimistisch, dass alles wie geplant klappt. "Der Grund zur Auswahl dieses Standorts sind die hervorragenden klimatischen Bedingungen für die Windenergie und damit einhergehende niedrige Strompreise. Chile hat somit auch im internationalen Vergleich ein sehr hohes Potenzial für die Produktion, den Export und die lokale Nutzung grünen Wasserstoffs", sagte Andreas Eisfelder, Leiter des Siemens-Geschäftsbereichs New Energie Business Lateinamerika, gegenüber heise online.

Von dem Projekt hat der Konzern unter anderem die deutsche Bundesregierung überzeugt. Eine Förderung in Höhe von acht Millionen Euro aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie macht den Baustart in Chile überhaupt erst möglich. Das Projekt entsteht in der Region Magallanes in unmittelbarer Nachbarschaft zu Feuerland.

In der Pilotphase 2022 sollen aus Sturm und Wasser erst einmal 750.000 Liter E-Methanol produziert werden. Kohlenstoff wird aus der Luft gewonnen und mit dem aus Wasser gewonnenen Wasserstoff zu Kohlenwasserstoff gemacht – so entsteht vereinfacht gesagt das E-Methanol. Daraus sollen schon nächstes Jahr 130.000 Liter E-Treibstoff werden.

Andreas Eisfelder ist Head of New Energy Business Latin America bei Siemens Energy

(Bild: Siemens)

Die Kapazität soll in den Folgejahren schnell ausgeweitet werden und einen Beitrag zur Entkarbonisierung des Transportsektors leisten. Natürlich wäre die Energiewende einfacher, würde der Individualverkehr zugunsten eines effizienten und allgemein akzeptierten öffentlichen Personennahverkehrs schrumpfen. Das klimaneutrale Benzin macht sich sicherlich auch im Tank von Bussen und anderen kollektiven Transportmaschinen gut.

Das Hari-Onu-Projekt sieht Siemens als Beitrag zum Green Deal der Europäischen Kommission. Diese hat sich verpflichtet, das Klimaziel der EU für 2030 zu erhöhen, damit Europa im Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent ist.

Die Sektoren Verkehr und Industrie sollen zusammen für 45 Prozent der weltweiten menschengemachten CO₂-Emissionen verantwortlich sein. In diesen Sektoren haben erneuerbare Energiequellen die Emissionen bisher jedoch nur um weniger als acht Prozent reduziert. Die Dekarbonisierung von Verkehr und Industrie ist im Vergleich zum Stromsektor komplexer und kostspieliger.

Deshalb bezieht die EU nun auch den Straßenverkehr und den Gebäudesektor schrittweise in den Emissionshandel ein. Darüber hinaus plant die Kommission, die CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw deutlich zu verschärfen.

Und genau hier setzt das Projekt an: Es nutzt saubere Windenergie, um zunächst grünen Wasserstoff zu produzieren. Mit Porsche hat Siemens einen Partner aus der Automobilindustrie gewonnen. Das E-Benzin geht erst einmal an spezielle Autofreaks. Porsche plan "Einsatz in Fahrzeugen des Motorsports und perspektivisch in den Porsche Experience Centern und bei Fahrzeugen im Bestand", schilderte Eisfelder, "In der Pilotphase werden bereits 2022 etwa 130.000 Liter eFuels erzeugt. In zwei Schritten soll die Kapazität dann bis 2024 auf rund 55 Millionen Liter eFuels und bis 2026 auf rund 550 Millionen Liter eFuels pro Jahr gesteigert werden."

Der Transportweg per Schiff müsse noch weiter dekarbonisiert werden, gibt Eisfelder zu. Er berichtet von Anstrengungen, um e-fuels (grünes Methanol oder e-ammonia) als Treibstoff für Schiffe zu nutzen. Unabhängig davon biete das aus Wind und Wasser gewonnene e-fuel aus Chile bereits heutige die Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck im Vergleich zu konventionellem Benzin um mehr als 90% zu reduzieren. Siemens errechnet, dass die Produktionsmenge 2026 genug sei, damit eine Million Menschen für fast ein Jahr mit ihrem Auto fahren können.

Methanol als Vorprodukt für den Treibstoff ist eine universelle chemische Verbindung, die heute noch aus Kohle und erdgasbasiertem Synthesegas (H₂ und CO) hergestellt wird. Es wird in großen Mengen – mehr als 98 Millionen Tonnen im Jahr 2019 – vor allem als Ausgangsstoff für Chemikalien (80 %) und in kleineren Mengen als Energieträger (20 %) verwendet. Nachhaltig oder "grün" wird es, wenn aus erneuerbarem Wasserstoff entweder biologisches (Bio-Methanol) oder elektrochemisches E-Methanol und CO₂ hergestellt werden, wie bald in Chile.

Die Basis dafür ist einfache Chemie. Das Wasser wird mit Hilfe der Windenergie in Wasserstoff und Sauerstoff aufgesplittet. Der Wasserstoff wird dann versetzt mit CO2, welches in Chile direkt der Luft entzogen und gespeichert wird. Das Ergebnis ist sogenanntes E-Methanol, wobei das "E" für die in der Produktion verwendete "Energie" steht.

Viele Gebiete und ihre Bevölkerung auf der ganzen Welt könnten davon profitieren – darunter Wüstengebiete, die keine grüne Energie aus Biomasse produzieren können, windige Regionen ohne oder mit geringer industrieller Entwicklung sowie erdölexportierende Länder, die nach neuen Geschäftsmöglichkeiten suchen. Länder wie Deutschland werden nicht in der Lage sein, eine Energiewende zu erreichen, die vollständig auf lokalen erneuerbaren Energiequellen basiert. Deshalb sind Projekt auf anderen Kontinenten wie in Chile von strategischer Bedeutung.

Der Name Hari Oni stammt übrigens aus der Sprache der Ureinwohner in Patagonien und bedeutet "Starker Wind". Das soll die Beziehung zu diesem wichtigen Standortfaktor des Projekts darstellen: Die hohe Verfügbarkeit einer schier unerschöpflichen erneuerbaren Primärenergie – Windkraft.

(tol)