Kommentar: Ausweispflicht fürs Internet - Kontrollzwang statt Problemlösung

Horst Seehofer will, dass sich Nutzer sozialer Netzwerke bei der Anmeldung ausweisen müssen, um Hetzer besser verfolgen zu können. Das löst keine Probleme.

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(Bild: Pixelvario/Shutterstock.com)

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Bundesinnenminister Horst Seehofer lässt seinen Kontrollzwang mal wieder von der Leine. Bei der laufenden Reform des Telekommunikationsgesetzes drängt er unter anderem auf eine Identifizierungspflicht vor allem für Messenger- und E-Mail-Dienste, damit „zur Aufklärung von Straftaten im Einzelfall die Anonymität aufgehoben werden“ könne. Mit anderen Worten: So etwas wie eine Ausweispflicht für wesentliche Teile des Internets. Die SPD ist der Idee offenbar ebenfalls nicht abgeneigt.

Dies wäre ein schwerwiegender Eingriff in die bürgerliche Freiheit. Es ist gutes Recht und völlig legitim, sich in der Öffentlichkeit anonym zu äußern – ob online oder offline. Wer auf einer Demo mitmarschiert, muss sich ja auch nicht vorher namentlich bei einer Behörde anmelden. Gerade Angehörige von Minderheiten dürften angesichts des umgreifenden Hasses und körperlicher Bedrohungen gute Gründe haben, sich nicht persönlich zu exponieren. Zwar sieht Seehofers Vorschlag vor, dass nur Ermittlungsbehörden auf die Daten zugreifen können. Doch die im vergangenen Sommer von hessischen Polizeicomputern ausgegangen Drohbriefe schaffen wenig Vertrauen in diese behördliche Firewall.

Zudem würde das eigentliche Problem – der überbordende Hass, die Pöbeleien und Bedrohungen im Netz – durch solch eine Ausweispflicht gar nicht gelöst. Schon 2016 kam eine Studie der Uni Zürich zum Ergebnis, dass ein „Anonymitätsverbot die gefürchteten ,Shitstorms‘ nicht verhindern, sondern möglicherweise sogar anheizen“ dürfte: „Die Auswertung von mehr als 500.000 sozialpolitischen Kommentaren auf der Plattform www.openpetition.de zwischen 2010 und 2013 ergab, dass die Verfasser von Hasskommentaren, die unter ihrem vollen Namen posten, sogar häufiger sind als anonyme Hasskommentatoren“, schreiben die Forscher.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Das heißt: Viele Online-Hasser hielten es schlicht nicht für nötig, anonym zu sein. Schließlich könnten sie davon ausgehen, dass ihr aggressives Verhalten „kaum je geahndet“ werde.

Die Daten sind zwar fast zehn Jahre alt, aber die Aussage ist nach wie vor aktuell: Die Zentralräte von Juden und Muslimen in Deutschland berichten von immer mehr Hassmails mit Klarnamen und korrekter Adresse. „Das ist eine neue Qualität der Hetze“, sagte Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Mittwoch den Zeitungen Funke-Mediengruppe.

Das eigentliche Problem ist also weniger, die Täter dingfest zu machen, sondern sie zu verfolgen. Wie mühsam es sein kann, gegen Beleidigungen vorzugehen, die ganz ungeniert unter Klarnamen vorgebracht werden, hat unser Autor Christian Honey 2018 in einem Selbstversuch ausprobiert. Spoiler: Schon das Beibringen von Beweisstücken in Form von „Bildschirm-Fotografien“ war mühselig. Wenn sich Horst Seehofer – und seine Länderkollegen – also für die innere Sicherheit verdient machen wollen: Hier gäbe es noch genug zu tun.

(grh)