Was war. Was wird.
Wo hört die Freiheit auf, wo fängt das Brot an? Bei Newt Gingrich, den Panzerknackern und Franz-Josef Strauß, oder erst bei Otto-Katalogen und ID-Cards? Hal Faber aber versucht sich an einer Antwort.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** "Die Menschen suchen nicht die Freiheit, sondern sie suchen jemanden, der ihnen Brot gibt." Das sagt in der Nach-Erzählung von Iwan Karamasoff der Großinquisitor zum wiederkehrenden Jesus. Aufgeschrieben wurde das Ganze von Fjodor Dostojewskij, der heute 180 Jahre alt geworden wäre. Der Mann erkannte, dass das Leben Narkotisation braucht. Schenken wir uns die Geschichten aus dem Nähkästchen christlicher Prediger, die gerne zu einfachen Bildern greifen. Jesus wurde vom Inquisitor schließlich nur pro forma verhaftet, wie die WTO-Gegner, dann konnte er gehen.
*** Doch wo hört die Freiheit auf, wo fängt das Brot an? In den USA tobt eine seltsame Diskussion um einen Personalausweis. Er wird als Eingriff in die Privatsphäre von denen befehdet, die ohne Probleme ein Dutzend Kredit- und Kundenkarten aus der Tasche ziehen können. Dass all diese Daten in einem grossen Payback-System zusammen fließen können, stört derweil niemanden. Aber die ID, die eindeutige Nummer, ist fest in der US-Tradition auf der Seite des Bösen verwurzelt. Da werden wir ganz sentimental, auch wenn bei uns ID-Gewöhnten die Maßnahmen etwas anders aussehen. Die schwarzen schweren Jungs, die Chicos Malos, eben die rundlichen Herren in hautengen roten Pullovern mit eindeutiger ID-Nummer, bei uns Panzerknacker genannt, feierten in dieser Woche ihren 50. Geburtstag. Besonders schmeichelhaft fielen die Würdigungen der "dümmsten Gaunerbande der Welt" aber nicht aus. Doch Counterinsurgency ist alles! Man muss doch eher den Hut ziehen vor der reifen schauspielerischen Leistung dieser Geheimpolizei, die Dagobert Duck davon abhält, sich ähnlich wie Bill Gates in die Politik zu mischen. Und: In jedem Hacker steckt ein kleiner Junge, der, einmal groß geworden, bei den Dicken mitmachen will. Urgs, den richtigen Dicken latürnich -- doch alors, www.obelix.de funzt nicht, nur der Partner. Das stimmt doch schwergestreift traurig.
*** Abnehmen! Drahtig und wendig sein, das ist der nächste TOP. In dem Buch "Der flexible Mensch" beschreibt Richard Sennett den Homo Davosiensis und sieht ihn am medienwirksamsten in Bill Gates verkörpert. Sein königlicher Auftritt am Hofstaat von Davos brachte Sennett auf die Idee vom fragmentierten Herrscher, der sich ständig von der eigenen Vergangenheit lösen kann. Gates macht es nichts aus, mit seinen Produkten wie PenWindows drei oder vier Mal Nieten zu ziehen, weil es das fünfte oder sechste Mal klappen wird. Nun wird der Homo Davosiensis vom Homo Newyorkensis abgelöst, wenn das Weltwirtschaftsforum von Davos nahe an den Ground Zero rückt. Was ein Geschenk des Forum-Inhabers Klaus Schwab für seinen Buddy Michael Bloomberg ist, der nunmehr neuer Bürgermeister von New York wurde.
*** Bloomberg, Bloomberg, hm. Bei Bloomberg als Nachfolger von Rudolph Giuliani muss ich an eine andere ehemalige Gallionsfigur der US-Republikaner denken: Newt Gingrich. Lange nichts mehr gehört von dem Kerl, der mit einem Contract with America die US-Gesellschaft von rechts revolutionieren wollte, damit 1995 Mann des Jahres beim Time Magazine sowie zum Favoriten aller nationalistischen Bobos und sich ihrer Wurzel entsorgender Wired-Leser wurde, dann aber über eine simple Steuer-Geschichte stolperte. Ja, das waren noch Zeiten, als die Bobos nicht nur diese Kolumne zu beherrschen schienen, sondern der Welt eine neue Wirtschaft aufdrückten -- ob sie wollte oder nicht. Heute vermissen wir sie schmerzlich. Nicht nur, weil sie immer für einen dummen Spruch gut waren, sondern auch, weil sie mehr leisteten (und leisten), als die heutige miese Stimmung an den Börsen ihnen zugestehen will. Seien wir also wie immer in dieser Kolumne antizyklisch und lassen wir sie hochleben, unsere Bobos. Möget ihr in Frieden vor euch hin werkeln und uns vielleicht einmal als Wiedergänger beglücken, PR-Flaks eingeschlossen. Hans Eichel dürfte euch auch nicht böse sein, waren eure Zeiten doch von hoffnungsvolleren Aussichten für seinen Haushalt geprägt.
*** Auch wenn man trotz allem den rechten Eiferer Giuliani sympathischer finden mag als den drögen Milliarden-Scheffler Bloomberg: Die Rückkehr von Gingrich muss man sich ja nicht gleich wünschen. Mancher Amerikaner mag aber angesichts eines Präsidenten George W. Bush, dem Einflüsterer, die schon sein Vater beschäftigte, Worte und Wörter einprügeln müssen, einen republikanischen Politiker zurückwünschen, der eigenständig zu formulieren und in Interviews sinnvolle Antworten zu geben vermochte -- und möglicherweise auf Terrorattacken noch eine andere Antwort gefunden hätte, als die Intelligenz nur bei den Bomben zu suchen. Dieser Wiedergängerwunsch ist aber nun gefährlich -- da würde man sich in Deutschland dann angesichts Schröder, Struck, Scharping den seligen Herbert Wehner zurückwünschen, und angesichts von Merz und Merkel den dicken Strauß -- nein, nicht den Max, der durch seltsame Festplattengeschichten als Kinderhintern berühmt wurde, sondern seinen Vater Franz-Josef. Huch, hab ich das jetzt geschrieben? Das passiert, wenn ein SPD-Bundesinnenminister sich mit diversen Otto-Katalogen Lob vom bayerischen Beckstein einhandelt.
*** Während jedoch diese Zeilen für den großen Zentralrechner zur gefälligen Aufbewahrung vorbereitet werden, bricht ein ganz anderer Damm, denn da spielt eine deutsche Nationalmannschaft gegen die Ukraine Fußball -- und lässt Anhänger wie Gegner weiter im Unklaren. Bis auf die pantheralte TAZ und die Süddeutsche Zeitung will aber niemand etwas davon wissen, was mit der mutigsten Elf der Fussballgeschichte geschah. Natürlich hat es nichts mit Computern zu tun, wenn deutsche Fußballfans dem neuen Spielspaß frönen, der von einschlägigen Magazinen als "fantastisches Echtzeitstrategiespiel" gepriesen wird. "Eine Horde Hooligens steuern ist einfach geil." Merke: Kicken macht blöd.
*** Ach, was sind wir heute wieder geschmacklos. Was die Engländer können, wird bei uns locker überboten: "Kämpfen Sie als einfallsreicher Zivilist mitten in Deutschland gegen hinterhältige Terroranschläge in Ihrer Stadt, oder zeigen Sie als kampferprobter Terrorist der westlichen Welt, was ein echtes Feuerwerk ist!", heißt es bei der Firma SpielDing, die aus aktuellem Anlass ihre Terroristenjagd herausgebracht hat. Natürlich kann man mit dem Thema spaßen. Und man kann sehr wohl ein hübsches Tauschgeschäft daraus machen, für die Kleinen, die alle Pokemon-Karten gesammelt haben und für die Großen, die das lustig finden. Auch das im Terroristen-Spiel propagierte Werfen von Kampfkatzen auf Terroristen ist erlaubt, hat es doch eine gewisse Tradition. Aber SpielDing behauptet: "Noch nie zuvor hat Zivilcourage zeigen so viel Spaß gemacht!" Zivilcourage? Kommt gleich die nächste Online-Demonstration um die Bildschirmecke? Vielleicht ist es einfach so: Klicken macht blöd.
*** Und weil wir hier im Heiseticker sind, in dem sich zwar alle möglichen Leute immer wieder beschweren, was denn "das" mit Computern zu tun habe, die Redaktion aber scheinbar unverdrossen an die Nicht-Beschränktheit des Gesichts- und Interessefelds auch von technisch interessierten Zeitgenossen glaubt, sei auch von meiner Seite mein Scherflein dazu beigetragen und an den Freitag dieser Woche erinnert. Denn der trug das Datum 9. November -- wohl der eigentliche Nationalfeiertag dieses Landes, das sich Deutschland nennt. Nicht nur, weil am 9. November der Hitlerputsch von 1923 in München und die Reichspogromnacht von 1938 war, die in manchen Köpfen immer noch unter dem Euphemismus "Reichskristallnacht" präsent ist. Sondern auch, weil am 9. November der Höhepunkt der Novemberrevolution stattfand und 1918 die erste im gesamten deutschen Staat gültige Republik ausgerufen wurde, und weil am 9. November des Jahres 1989 die Mauer fiel. Und auch deswegen sei an diesen Tag, an diesen Feier-, Erinnerungs- und Trauertag der Deutschen, erinnert, weil am 9. November 2001 die Synagoge in Dresden wieder eröffnet wurde, die am 9. November 1938 vernichtet wurde.
Was wird.
Heute abend wird in Las Vegas die Comdex gestartet. Natürlich wird sie kleiner, leiser, ernster und daher verrückter ausfallen, ganz nach dem NWSSWEW-Mantra, dem "Nichts wird so sein, wie es war", das überall zu hören ist. Dennoch werden viele Rituale eingehalten, werden Preise vergeben, Chilis für Kinder gekocht und bedeutungsschwere Keynotes vorgetragen. Nachdem Apple endlich zerschlagen worden ist, richten sich alle Augen auf Microsoft und sein noch unbekanntes Windows XP. Über Bill Gates und "Sex and the City" ist schon viel geschrieben worden, dass er dabei life eine Musik-DVD brennen will, ist weniger bekannt. Auch ist seine vor Aktienkumpels vertretene These, dass Microsoft ein weiteres, noch unbekannteres System der quelloffenen Softwareproduktion fördert, noch unbekannt. "Der Grund, warum es da Open Source gibt, ist doch, dass wir gekommen sind und gesagt haben, dass es eine Plattform geben muss, die auf Millionen und Abermillionen Maschinen identisch ist." Ehre, wem Ehre gebührt!
Nun, gegen all diese Comdex-Rituale hilft nur Peter Lustig: Abschalten! Aber richtig. Meinen WWWW-Messepreis in Gold fĂĽr Best of Show in der Kategorie AUS holt sich darum vorab (auch das ist typisch, dass die Preise feststehen) die norwegische Firma ICE International fĂĽr ihre Technik, ĂĽber Bluetooth erfasste Telefone wirklich abzuschalten. Ein hĂĽbscher Beitrag gegen den bodenlosen Unsinn vom Always On. (Hal Faber) / (jk)