Was war. Was wird.
Manche sehen im Web eine neuartige Intelligenz entstehen, andere sehen sie dort untergehen. Die neuesten Entwicklungen jedenfalls lassen das Schicksal Carl von Ossietzkys aktueller denn je erscheinen, meint Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Diese Woche begann ganz lustig mit einer Meldung der Firma Websense und der Business Software Alliance (BSA), die gar Schauerliches vom Anstieg der Softwarepiraterie zu berichten wussten. Die Softwarepiraterie im Internet steige um 240 Prozent, wurde da verkündet: "Laut Websense, führendem Hersteller von Employee Internet Management (EIM) Software, ist die Zahl der Websites, die Raubkopien von Software und Hackerinformationen anbieten, innerhalb von nur einem Jahr auf 5.400 gestiegen. Dies entspricht 800.000 einzelnen Internetseiten beziehungsweise einer Steigerung um 240 Prozent. So zählten laut dem Online-Dienstleister Wordtracker einschlägige Begriffe wie 'Sex' und 'MP3' zu den fünfzehn am häufigsten in Suchmaschinen eingegebenen Begriffen." Damit haben wir vielleicht den ersten greifbaren Beweis dafür, dass sich im Internet eine eigenständige Intelligenz entwickeln kann, wie es George Whitesides gerade in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verkündete: "Wenn wir wirklich die Entstehung von neuartiger Intelligenz erleben werden, dann wohl zuerst im World Wide Web." Wahrscheinlich ist alles eine Frage der Zeugung: Man gebe Sex und MP3 als Suchbegriffe ein, die dann eine noch näher zu erforschende Schweinerei machen und huppdiwupp steigt sie, die Zahl der Websites mit Hackerinformationen, die wiederum die Softwarepiraterie anschieben. Ein ganz wunderbares, unerforschtes Feuchtbiotop tut sich hier auf.
*** Forscher, die bereits für ihre Entdeckungen geehrt wurden, haben für Cisco ihre tiefen Einsichten ausgesprochen. 71 lebende Nobelpreisträger mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren wurden befragt, wie das Internet die Welt in den nächsten 20 Jahren verändert. 89 Prozent von ihnen benutzen einen Computer und 93 Prozent glauben, dass das Internet die grenzüberschreitende Kommunikation verbessert. Wer hätte das gedacht? Leider haben die für Cisco fragenden Marktforscher von Princeton Survey Research nicht mitgeteilt, wie das "repräsentative Panel" der 71 enstanden ist, was die zwei Drittel der anderen noch lebenden Nobel-Preisträger ausschloss? Vielleicht Softwarepiraterie? MP3? Sex? Halt, das Fazit der Studie sei nachgetragen: E-Learning wird das bevorzugte Ausbildungswerkzeug der Zukunft, für alle, die es auf einen Nobelpreis abgesehen haben. Wenn es nicht ganz so nobel sein soll, genügt auch ein Preis im zweiten Teil des Furby-Wettbewerbs, eh?
*** Was Furby-Geister und E-Learning anbelangt: Harry Potter hat im Kino gerade sein Novizen-Jahr auf Hogwarts begonnen. Die Mischung aus Internet-Technik ("Eulen"), Zauberei ("Cola") und dem dumpfen Klima englischer Internate hat viele Fans, ich bin keiner. Daher, gegen Hogwarts und den einsetzenden Strom unsinniger Reitbesen: "Camelot rulez!"
*** Bleiben wir ein bisschen in der Luft, ohne Quidditch. Im Jahre 1929 erschien in der Zeitschrift Weltbühne ein Artikel mit dem Titel "Windiges aus der deutschen Luftfahrt". In ihm wurde beschrieben, wie sich das entwaffnete Deutschland mit vielen Tricks aufmacht, wieder zu den Waffen zu greifen. Für diesen Artikel wurde der Herausgeber des Blattes, Carl von Ossietzky, heute vor 70 Jahren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In einer Rede zur Umbenennung einer nordwestdeutschen Universität sagte der Festredner: "Wir haben Anfang dieses Jahres erlebt, wie Krieg plötzlich wieder gesellschaftsfähig gemacht wurde, wie das Ja zum Krieg geradezu zum Kriterium demokratischer Gesinnung gemacht wurde. Auf einmal hatten Hunderttausende von Toten als gerechter Preis für die Bestrafung eines gewiss skrupellosen Diktators zu gelten, eben weil die USA und andere den Golfkrieg für unausweichlich erklärt hatten und weil daran, nach der Auffassung vieler auch in den Medien, Kritik nicht erlaubt sein soll."
*** In Rostock derweil, da finden offensichtlich die echten Dramen statt: "Grünen-Spitze ringt um Erhalt der rot-grünen Koalition", heißt das bei den Agenturen, aber längst ist alles klar. Joseph, genannt Joschka, Fischer hat sich durchgesetzt, die wahren Alt-68er in Gestalt von Otto und Joschka haben gewonnen. Eine der letzten spannenden Schlachten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ist geschlagen -- zumindest, wenn man der Aufgeregtheit der politischen Klasse hierzulande glauben mag. Das Ballihoo um den Parteitag der Grünen versteckt andere Schlagzeilen, die es nicht mehr auf die erste Seite der Zeitungen schaffen: Manchen Ländern ist selbst der Otto-Katalog II nicht ausgedehnt genug, da muss nachgelegt werden. Ossietzky würde sich wohl nicht freuen, aber die Gelegenheit nutzen, den verschärften Otto-Katalog zum Anlass eines seiner verschärften Artikel zu nehmen. Was das nun wieder alles mit Computern zu tun hat? Nun, ob der kleine Mann Ossietzky, Nobelpreis hin, Artikel her, ins KZ kam und an den Folgen der Nazi-Behandlung am 4. Mai 1938 starb, das hat mit allem und jedem zu tun, heiße die Angelegenheit nun Computer, Internet oder Otto-Katalog. Denn es dürfte mit dem zu tun haben, was einer, der nicht im KZ landete, aber die angeblichen KZ-Überwinder zur Wahl eines neuen Volks aufforderte, so formulierte: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Gut, der Arturo Ui ist eines der schwächeren Stücke von Bertolt Brecht: Aber unser Bundesinnenminister mag sich noch so sehr gegen implizite Vorwürfe des schrägen Philosophen Peter Sloterdijk verwehren, der Schritt vom Innen- zum Propagandaminister scheint in dieser Zeit nur noch ein kleiner für gewisse Leute. Ob wir damit gleich bei Goebbels landen, wird sich zeigen -- das dürfte nicht nur Ossietzky selig interessieren.
*** Das Ja zum Krieg übrigens als Zeichen demokratischer Gesinnung hat Redner Gerhard Schröder ganz wunderbar aufs Korn genommen. Mittlerweile ist er Kanzler und hat anderes im Sinn. "Nun sehe ich auf Ihrem Schreibtisch das Foto Ihres Vaters und ich denke: So, wie er dasitzt, der Kanzler, der Sohn eines gefallenen Soldaten, weiß er, was er tut": Es ist nicht das erste Mal, dass die Bild-Zeitung Unrecht hat. Doch wieder die alles entscheidende Frage: Was hat das mit Computern zu tun? Nur weil die USA etwas erklärt? Und was ist schon das Internet, wenn nicht eine Sammlung von Spinnern, die Touristen mögen? Wer protestiert, wird als mutmaßlicher Nutzer von Nazisites abgestempelt. Heißlaufende Düsseldorfer Regierungspräsidenten können angesichts solcher Anmerkungen von Behördenseite schon einmal zu Verwirrung bei Internet-Providern führen: Auch wenn die Entschuldigungen recht hohl klingen, ist die Verwirrung immer noch besser als die unbeirrte Geradlinigkeit von Büssow und Schily.
*** "Das ist das Erschütternde an diesem Zustand. Nicht der Faschismus siegt, die anderen passen sich ihm an", schrieb Ossietzky 1932, zitiert von -- wer hätte es gedacht -- Gerhard Schröder. Vielleicht sollte er abends seinen Otto zu Bett bringen und ihm solche Sachen zur Nacht vorlesen. Nicht, dass hier von der Anpassung an den Faschismus die Rede ist. Aber die Anpassung an die USA trägt deutsche Züge der unerfreulichsten Sorte. Aus Deutschland kommt etwa die Aufforderung an eine Schweizer Website, die Werbung für einen Aufbau der zerstörten Buddha-Statuen anstelle des WTC bitte sein zu lassen.
*** Aber ich will friedlich sein. Und mich anderen Themen widmen, auch wenn sie ebenfalls so gar nichts mit Computern zu tun haben. Stattdessen aber will ich loben, loben, loben: Etwa Robbie Williams dafür, dass er den Swing unter den Kiddies wieder hoffähig macht. Obwohl, vielleicht sollte ich auch nicht zu friedlich sein: Wenn dieser britische Musik-Bobo mit der kaltschnäuzigen Nicole Kidman "Something Stupid" säuselt, könnte man glatt zum Fan von Tom Cruise werden: Immerhin hat er sich von Kidman getrennt. Jedoch hätte sich auch Cruise nie mit Leuten wie dem Rat Pack um Frankie Boy eingelassen. Die aber konnten den Swing richtig -- nicht nur den Abklatsch eines Williams. Und wären auf einen George W. Bush nicht hereingefallen.
Was wird.
In den USA will die Firma Apple gegen eine Website vorgehen, auf der Tüftler vorstellen, was man mit einem iPod alles so anstellen kann. Wer so einen Musik-Spieler als Adressbuch missbraucht, verstößt vielleicht gegen das Marketing, doch das sollte keine Firma stören. Apple ist anders, wie immer. Dort beerdigte man schon Newtons stillos mit dem Bulldozer. Nun aber naht die Weihnachtszeit und mit ihr ein Kaufrausch sondergleichen. Längst abgestorbene Bobo-Firmen werden eigens zu dieser Jahreszeit reanimiert. In diesem weihnachtlichen Gewusel kann man punkten und Rabatte erobern, wenn man eine Payback-Card sein Eigen nennt. Nun gibt es Karten, die ähnlich dem iPod die Nutzung etwas anders sehen. Sicher, sie kosten etwas Geld, was in den [nntp://de.soc.datenschutz einschlägigen Usenet-Foren] den Erfindern und Umwidmern schon als schamlose Geschäftemacherei angelastet wurde. Aber: Diese Variante ist die einzige von vielen, bei denen sich Weihnachtsmänner als Kaufhausdetektive outen. Das ist das Vergnügen wert. (Hal Faber) / (jk)