Niemand surft im White Space: Ungenutzte TV-Frequenzen bleiben ungenutzt

Microsofts Airband sollte Millionen Amerikanern endlich Breitband-Internet bringen. Geworden ist daraus nichts. Statt Millionen Nutzer gibt es Dutzende.

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Fernsehantenne

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
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Von TV-Sendern nicht genutzte Funkfrequenzen dynamisch für Breitband-Internetzugang zu nutzen war eine verlockende Idee. Insbesondere Microsoft und Google haben sich einst für dieses "TV White Space" genannte Verfahren eingesetzt. Der Erfolg ist ausgeblieben. Während Google seine Schnittstellen vor drei Jahren leise eingestellt hat, verlautbarte Microsoft noch im Dezember 1,5 Millionen Nutzer seiner "Airband Initiative" den USA. Der TV-Senderverband NAB hat das überprüft und nur 300 White-Space-Geräte gefunden.

Das sind 500 Geräte weniger als vor vier Jahren. Diese Informationen bezieht NAB aus White-Space-Datenbanken, in denen sich Basisstationen und Endgeräte registrieren müssen, bevor sie senden dürfen. Die Datenbanken verraten nämlich, auf welchen Frequenzen wie stark gesendet werden darf. Da die Funksignale unter bestimmten atmosphärischen Bedingungen sehr weit reichen können, und TV-Sender auf diesen Frequenzen Vorrang haben, können sich die erlaubten Kanäle jederzeit ändern.

Zunächst herrschte in den USA lange Streit über Internet via TV-Frequenzen. Es werde "amerikanische Brancheninnovationen stimulieren und Verbrauchern in bislang ungeahnter Weise zugutekommen", stellte Microsoft 2007 in Aussicht. Das wirkte. 2008 öffnete die US-Regulierungsbehörde den "Weißen Raum", überwiegend im 700-MHz-Band. 2009 nahm Microsofts Airband den Betrieb im Dorf Claudville, Virginia, auf.

Die für kommerziellen Betrieb notwendigen Datenbanken lizenzierte die FCC allerdings erst 2011. Damit gab der US-Regulierer dann wirklich den Startschuss zur Eroberung des "Weißen Raums". Niedrige zweistellige Mbit-Raten wären seither möglich, abhängig von der Entfernung zur Basisstation und der Verfügbarkeit ungestörter Frequenzen. Direkte Sichtverbindung ist nicht erforderlich.

Ein einheitlicher Standard für die Funktechnik fehlt, weshalb Geräte unterschiedlicher Hersteller in der Regel nicht mit einander kompatibel sind. Microsoft nennt seinen Ansatz "Airband" und setzt dabei auf Hardware der Firma Adaptrum. Sie nimmt dafür Anleihen am WLAN-Standard 802.11af, aber natürlich auf völlig anderen Frequenzen.

2012 ging das erste kommerzielle White-Space-Funknetz in Betrieb. Die Stadt Wilmington in North Carolina vernetzte Überwachungskameras, Lichtschalter und eine Mülldeponie mit relativ niedrigen Bitraten. Die damals genutzten Halb-Duplex-Funkgeräte bietet der Hersteller heute nicht mehr an. Ein weiteres Jahr später, 2013, versuchte es der kalifornische Microsoft-Partner Cal.net mit dem ersten Angebot für Privatkunden.

2015 hielten Deutschlands Grüne es für eine gute Idee, über brachliegende TV-Frequenzen dem "schnellen Internet für alle" näherzukommen. Im selben Jahr schlug die FCC vor, einen 6 MHz breiten Funkkanal exklusiv für White Space zu reservieren, woraus aber nichts wurde. Während Google sich leise zurückzog, wählte Microsoft den Weg nach vorne: 2017 beantragte der Konzern sogar drei exklusive Kanäle bei der US-Regulierungsbehörde FCC, gebührenfrei. Bis Juli 2022 wollte Microsoft drei Millionen Amerikaner und 40 Millionen Menschen weltweit über White Space online bringen.

Den Anfang machte ein Microsoft-Projekt in zwei Countys des US-Staates Virginia: In Schulen errichtete ein Microsoft-Partner Basisstationen, die Internet in die Häuser der Schüler und Lehrer funken sollten. Noch im Jahr 2017 sollten 3000 Schüler in 1000 Haushalten davon profitieren.

Danach wurde es still, bis Microsoft im September 2020 mit neuen Daten überraschte: "In den USA hat die Airband-Initiative fortlaufende Projekte in 25 Staaten und Territorien, mit Pilotprojekten in weiteren Staaten, und hat Breitband-Zugang zu 1,5 Millionen Menschen in ländlichen, zuvor unversorgten Gebieten gebracht", schrieb der Konzern, "Das Programm hat außerdem Breitbandzugang zu mehr als 14 Millionen Menschen in ländlichen Gebieten weltweit gebracht."

Das wäre ja schon fast die Hälfte der für Juli nächsten Jahres gesetzten Ziele. Doch wo sind diese Millionen White Space User? heise online hat Microsoft Mittwochabend um Auskunft gebeten. Den verbliebenen Datenbanken sind die User nicht bekannt, sagt die NAB (National Association of Broadcasters). Vielleicht meint Microsoft, dass 1,5 Millionen Menschen an ihrem Wohnsitz mitmachen könnten, wenn sie denn wollten.

Von Microsofts Schulprojekt in Virginia ist offenbar nichts übrig: In den beiden Countys ist kein einziges White-Space-Gerät verzeichnet. Ja im ganzen US-Staat Virginia stehen nur zwei Geräte in der Datenbank, hat die NAB eruiert. Sie sind so weit von einander entfernt, dass sie nicht mit einander in Verbindung stehen können. Mit wem sie funken möchten, bleibt ein Rätsel. Wahrscheinlich handelt es sich um Datenbankleichen. Microsofts Urprojekt in Claudville ist also ebenfalls Geschichte.

Microsoft-Partner Cal.net ist inzwischen auf Nokias CBRS (Citizens Broadband Radio Service) umgestiegen, das auf höheren Frequenzen vielfach höhere Datenraten verspricht. Auf der Homepage cal.net prangt zwar noch ein Link zu "Microsoft/Airband Consortium", führt jedoch ins Leere. Auch aus Wilmington war schon lange nichts mehr über das White-Space-Netz zu hören.

US-weit hat die NAB gerade einmal 300 eventuell aktive White-Space-Geräte in den Datenbanken gefunden, Basisstationen und Endgeräte zusammengerechnet. Der TV-Verband feixt: "Die Zahl der Eingaben Microsofts und seiner Partner bei der FCC wird die Zahl funktionierender White-Space-Geräte im Land jede Minute überschreiten."

(ds)