US-Coronavirus-Forscher: "Haben nie ein Supervirus geschaffen"

Seite 2: Die Technik wird immer günstiger

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Sie hatten allerdings eine Reverse-Genetics-Technik entwickelt, die es Ihnen ermöglicht hat, diese Viren allein anhand der genetischen Sequenz zu synthetisieren.

Ja, aber zu dieser Zeit waren die Kosten für die DNA-Synthese sehr hoch – etwa ein Dollar pro Base [ein DNA-Buchstabe]. Die Synthese eines Coronavirus-Genoms konnte also 30.000 Dollar kosten. Und wir hatten nur die Spike-Sequenz. Allein die Synthese des 4000 Nukleotide umfassenden Spike-Gens kostete also 4.000 Dollar. Dann schleusten wir den authentischen SHC014-Spike in ein replikationskompetentes Backbone ein: einen an die Maus angepassten SARS-Stamm. Das Virus war lebensfähig – und wir entdeckten, dass es sich in menschlichen Zellen vermehren konnte.

Ist das also Gain-of-Function-Forschung? Nun, der Ausgangsstamm des SARS-Coronavirus konnte sich recht effizient in primären menschlichen Zellen replizieren. Die Chimäre konnte auch die Infektion menschlicher Zellen erreichen, aber nicht besser als das Ausgangsvirus. Wir haben also keine Funktion hinzugewonnen, sondern eine Funktion beibehalten. Außerdem war die Chimäre in Mäusen im Vergleich zum mausadaptierten Ausgangsvirus abgeschwächt, so dass dies sogar als Funktionsverlust zu werten wäre.

Einer der Vorwürfe gegen die Gain-of-Function-Forschung – einschließlich dieser Studie – lautet, dass die Arbeit wenig praktischen Wert hat. Würden Sie dem zustimmen?

Nun, 2016 hatten wir mit Hilfe von Chimären und Reverse Genetics genügend SARS-ähnliche Coronaviren mit hohem Risiko identifiziert, um Medikamente mit breit angelegter Wirkung gegen Coronaviren identifizieren und testen zu können. Wir erkannten Remdesivir als das erste breit angelegte antivirale Medikament, das gegen alle bekannten Coronaviren wirkt – und veröffentlichten dazu 2017. Es wurde sofort in Studien am Menschen eingesetzt und wurde das erste von der FDA zugelassene Medikament zur Behandlung von COVID-19-Infektionen weltweit. Ein zweites Medikament mit der Bezeichnung EIDD-2801 oder Molnupiravir erwies sich ebenfalls als wirksam gegen alle bekannten Coronaviren vor der Pandemie im Jahr 2020 und erwies sich dann im März 2020 als wirksam gegen SARS-CoV-2.

Daher bin ich also anderer Meinung. Ich würde die Kritiker fragen, ob sie vor der Pandemie irgendwelche breit wirkenden Coronavirus-Medikamente entdeckt haben. Können sie auf Unterlagen aus ihren Labors verweisen, die einen strategischen Ansatz zur Entwicklung wirksamer Pan-Coronavirus-Medikamente darstellen? Und die sich dann als wirksam gegen unbekannte, neu auftretende Pandemieviren erwiesen haben?

Leider konnte Remdesivir nur durch eine intravenöse Injektion verabreicht werden. Wir waren auf dem Weg zu einer oralen Darreichungsform, aber dann kam die COVID-19-Pandemie. Ich wünschte wirklich, wir hätten schon früh ein Medikament auf oraler Basis gehabt. Das wäre die entscheidende Neuerung, die sowohl den Infizierten in den Entwicklungsländern als auch den Bürgern in den USA helfen würde. Molnupiravir ist ein orales Medikament, das in Phase-3-Studien eine schnelle Kontrolle der Virusinfektion gezeigt hat. Es wurde für eine Notfallzulassung in Indien in Betracht gezogen. Schließlich unterstützte unsere Arbeit auch politische Entscheidungen auf US-Bundesebene, die dann der Grundlagen- und Anwendungsforschung zu Coronaviren Priorität einräumten.

Und was ist mit Impfstoffen?

Zwischen 2018 und 2019 nahm das Vaccine Research Center an den NIH Kontakt mit uns auf, um mit der Erprobung eines auf Boten-RNA basierenden Impfstoffs gegen MERS-CoV [ein Coronavirus, das sich von Kamelen auf Menschen überträgt, Anm. d. Red.] zu beginnen. MERS-CoV ist seit 2012 ein ständiges Problem mit einer Sterblichkeitsrate von 35 % und hat somit ein echtes Potenzial für eine globale Gesundheitsbedrohung.

Anfang 2020 verfügten wir über eine enorme Menge an Daten, die zeigten, dass diese mRNA-Spike-Impfstoffe in dem von uns entwickelten Mausmodell wirklich wirksam vor einer tödlichen MERS-CoV-Infektion schützen. Wenn sie gegen den ursprünglichen SARS-Stamm von 2003 gerichtet wurden, waren sie ebenfalls sehr wirksam. So wurde es den NIH möglich, mRNA-basierte Impfstoffe als sichere und robuste Plattform gegen SARS-CoV-2 zu betrachten und ihnen eine hohe Priorität einzuräumen.

Kürzlich haben wir eine Arbeit veröffentlicht, die zeigt, dass chimärische Multiplex-Spike-mRNA-Impfstoffe vor allen bekannten SARS-ähnlichen Virusinfektionen bei Mäusen schützen. Die weltweiten Bemühungen um die Entwicklung von Impfstoffen gegen alle Sarbecoviren [Sarbecoviren sind die Untergattung, zu der SARS und SARS-CoV-2 gehören, Anm. d. Red.] werden die Manipulation von Viren erfordern, wie sie in der Veröffentlichung von 2015 beschrieben wurden. Wer also behauptet, dass die Arbeit von 2015 nicht gerechtfertigt war, verkennt die Infrastruktur, die zur Entwicklung von Therapeutika und Impfstoffen für COVID-19 und künftige Coronaviren notwendig ist.

Die Arbeit hat nur dann einen Wert, wenn der Nutzen das Risiko überwiegt. Gibt es Sicherheitsstandards, die angewendet werden sollten, um solche Risiken zu minimieren?

Sicherlich. Wir arbeiten bei uns mit dem Standard "BSL-3 plus". Die Mindestanforderungen bei BSL-3 wären eine N95-Maske, Augenschutz, Handschuhe und ein Laborkittel, aber wir tragen tatsächlich undurchlässige Tyvek-Anzüge, Schürzen und Füßlinge und sind doppelt angezogen. Unser Personal trägt Masken mit PAPR-Technik [aktive luftreinigende Atemschutzgeräte], die dem Mitarbeiter eine HEPA-gefilterte Luft zuführen. Wir führen nicht nur alle Forschungsarbeiten in einer biologischen Sicherheitseinheit durch, sondern auch in einer Unterdruckanlage, die über zahlreiche redundante Funktionen und Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Jeder Mitarbeiter steckt in seinem eigenen Sicherheitsanzug.

Außerdem führen wir regelmäßig Notfallübungen mit den örtlichen Ersthelfern durch. Wir arbeiten auch mit unserem örtlichen Krankenhaus zusammen. Bei vielen Laborinfektionen wird nie bekannt, was die Infektion ausgelöst hat. Die Menschen werden einfach krank. Man muss also medizinische Überwachungspläne aufstellen, um die Leute zu Hause schnell unter Quarantäne zu stellen, sicherstellen, dass sie Masken tragen und regelmäßig mit einem Arzt auf dem Campus in Kontakt sind.

Sind die von Ihnen beschriebenen Methoden Standard für andere Einrichtungen in den USA und international?

Nein, das glaube ich nicht. An den einzelnen Orten gibt es unterschiedliche Stufen von BSL-3-Sicherheitsmaßnahmen, Betriebssicherheit und Schutzausrüstung. Einiges davon hängt davon ab, wie viel Geld vorhanden ist und an welchen Krankheitserregern in der Einrichtung geforscht wird. Eine N95-Maske ist viel billiger als ein PAPR-System.

Auf internationaler Ebene haben die USA keinen Einfluss darauf, welche Biosicherheit etwa in Laboren in China oder in irgendeinem anderen souveränen Staat eingesetzt wird, geht es nun Coronaviren, Nipah, Hendra oder Ebola.

Das Wuhan Institute of Virology soll chimäre Coronaviren hergestellt haben – mit ähnlichen Techniken wie Sie. Ist das korrekt?

Ich möchte hier klarstellen, dass wir nie einen unserer molekularen Klone oder chimäre Viren nach China geschickt haben. Sie haben ihren eigenen molekularen Klon entwickelt, der auf WIV1 basiert, einem Fledermaus-Coronavirus. In dieses Backbone (Grundgerüst) fügten sie die Spike-Gene anderer Fledermaus-Coronaviren ein, um herauszufinden, wie gut die Spike-Gene dieser Stämme die Infektion menschlicher Zellen erleichtern.

Würden Sie denn das als Gain-of-Function-Forschung bezeichnen?

Ein Ausschuss der NIH entscheidet über solche wissenschaftlichen Arbeiten. Die Regeln für Gain-of-Function-Forschung konzentrieren sich auf Viren mit pandemischem Potenzial und auf Experimente, die die Übertragbarkeit oder Pathogenese von SARS-, MERS- und Vogelgrippestämmen beim Menschen erleichtern könnten. WIV1 unterscheidet sich zu etwa 10 Prozent von SARS. Einige argumentieren, dass der Begriff "SARS-Coronavirus" per Definition alles umfasst, was zur Gattung der Sarbecoronaviren gehört. Nach dieser Definition würden die Chinesen Gain-of-Function-Experimente nach der Definition durchführen, je nachdem, wie sich die Chimäre verhält. Andere argumentieren, dass SARS und WIV1 unterschiedlich sind und die Experimente daher nicht unter diese Definition fallen. Die CDC betrachten SARS und WIV1 zweifellos als unterschiedliche Viren. Nur das SARS-Coronavirus von 2003 ist ein sogenannter Select Agent, der unter besonderer Beobachtung steht. Letztlich entscheidet ein Ausschuss der NIH darüber, was ein Gain-of-Function-Experiment ist und was nicht. [Allerdings natürlich nur für US-Forschung, Anm. d. Red.]

Abgesehen von den Definitionsfragen wissen wir inzwischen, dass die Arbeiten am Wuhan Institute of Virology unter BSL-2-Bedingungen durchgeführt wurden, was eine viel niedrigere Sicherheitsstufe ist als das von Ihnen verwendete "BSL-3 plus". [Das WIV verfügt als erstes chinesischen Labor auch über die viel sichere BSL-4-Technik, verwendete sie bei der SARS-Forschung aber offenbar nicht, Anm. d. Red.]

In der Vergangenheit haben die Chinesen einen großen Teil ihrer Fledermaus-Coronavirus-Forschung unter BSL-2-Bedingungen durchgeführt. Natürlich sind die Sicherheitsstandards bei BSL-2 anders als bei BSL-3 – und im Labor erworbene Infektionen treten bei BSL-2 viel häufiger auf. Außerdem gibt es bei BSL-2 viel weniger Überwachung.

In diesem Jahr erklärte eine gemeinsame Kommission der WHO und Chinas, es sei "äußerst unwahrscheinlich", dass ein Laborunfall SARS-CoV-2 verursacht habe. Später unterzeichneten Sie jedoch zusammen mit anderen führenden Wissenschaftlern einen Brief, in dem eine gründliche Untersuchung aller möglichen Auslöser der Pandemie gefordert wurde. Wie kam es dazu?

Einer der Gründe, warum ich den Brief in "Science" unterzeichnet habe, war, dass im WHO-Bericht nicht wirklich erörtert wird, wie im WIV-Labor gearbeitet wurde oder welche Daten das Expertengremium geprüft hat, um zu dem Schluss zu kommen, dass es "äußerst unwahrscheinlich" sei, dass ein Laborausbruch oder eine Infektion im Labor die Ursache der Pandemie war.

Es muss einfach anerkannt werden, dass eine Laborinfektion unter BSL-2-Betriebsbedingungen stattgefunden haben könnte. Bislang unbekannte Viren aus Guano oder Maulabstrichen von Fledermäusen könnten sich vermehrt haben oder mit anderen Viren rekombinieren, so dass neue Stämme mit einzigartigen und unvorhersehbaren biologischen Eigenschaften entstehen. [Das WIV hat die größte Sammlung an Fledermausviren weltweit, Anm. d. Red.]

Und wenn all diese Forschungen unter BSL-2 durchgeführt werden, stellen sich einige Fragen, die geklärt werden müssten. Wie sind die Standards im BSL-2-Bereich geregelt? Welche Schulungsunterlagen des Personals gab es? Gibt es eine Vorgeschichte von Infektionen im Labor und wie wurden sie untersucht und abgestellt? Welche Biosicherheitsverfahren wurden entwickelt, um solche Ereignisse zu verhindern?

Da die Mitarbeiter mitten in der Gesellschaft leben, werden sie sich natürlich auch mit Krankheitserregern aus der Gesellschaft infizieren. Atemwegsinfektionen treten häufig auf. Niemand ist davon ausgenommen. Welche Biosicherheitsverfahren werden am WIV eingesetzt, um mit diesen Komplikationen umzugehen? Werden Mitarbeiter, die Fieber bekommen, zuhause mit N95-Masken unter Quarantäne gestellt? Oder arbeiten sie weiter im Labor? Welche Verfahren gibt es zum Schutz der Umgebung oder der örtlichen Krankenhäuser, wenn eine exponierte Person aus dem WIV erkrankt? Nutzen die Mitarbeiter den öffentlichen Nahverkehr?

Dies sind nur einige der Fragen, die in dem WHO-Dokument hätten beantwortet werden müssen, um verwertbare Daten für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer im Labor erworbenen Infektion zu liefern.

Hätten man diese Experimente in einem BSL-2-Labor durchführen dürfen?

Ich würde das nicht tun. Allerdings lege ich nicht die Standard für die Vereinigten Staaten oder ein anderes Land fest. Von diesen und anderen SARS-ähnlichen Fledermausviren, die in menschliche Zellen eindringen können, geht aber definitiv ein gewisses Risiko aus.

Wir wissen auch, dass Menschen, die in der Nähe von Fledermaushöhlen leben, positiv auf Antikörper gegen SARS-ähnliche Fledermausviren getestet wurden, so dass einige dieser Viren eindeutig Menschen infizieren können. Wir wissen zwar nicht, ob sie tatsächlich eine schwere Krankheit verursachen oder von Mensch zu Mensch übertragen werden können, aber bei der Arbeit mit diesen Krankheitserregern ist erhöhte Vorsicht geboten.