Psychologie: Warum Dinge weglassen schlauer ist

Gilt es Probleme zu lösen, fügen die meisten Menschen instinktiv etwas hinzu. Dabei ist Weglassen oft die bessere Lösung, so Verhaltenspsychologe Leidy Klotz.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 66 Kommentare lesen

(Bild: Clemson University)

Stand:
Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Leidy Klotz ist Professor an der University of Virginia und lehrt dort Ingenieurswissenschaften, Architektur und Wirtschaft. Dort hat er auch eine interdisziplinäre Initiative für Verhaltenswissenschaft mitgegründet. Zuvor war er als Bauingenieur und Fußballprofi tätig. Seine Forschungsergebnisse zur Kunst des Weglassens hat er 2021 in "Nature" veröffentlicht.

12 Paragrafen hatte das Erneuerbare-Energien-Gesetz, als es im Jahr 2000 in Kraft trat. Heute hat es 105 Paragrafen. Passiert so etwas nur in Deutschland?

Nein, in den Vereinigten Staaten auch. Die Gesetzgebung hat sich hier seit 1950 etwa versiebzehnfacht, sie wächst also schneller als alles andere.

Es kommen also immer neue Dinge hinzu und niemand entfernt sie jemals wieder.

Ja, das ist ein Teil des Problems. Es gibt natürlich auch gute Regulierung wie den Clean Air Act [1963 in Kraft getretenes US-Gesetz zur Luftreinhaltung]. Aber wir haben herausgefunden: Wenn wir etwas verbessern wollen, ist unser erster Gedanke immer: 'Was können wir hinzufügen?' Es ist zwar nicht unmöglich, auch ans Wegnehmen zu denken – aber es ist schwieriger. Hinzufügen ist so etwas wie die Default-Einstellung unseres Denkens.

Wie haben Sie das herausgefunden?

In unseren Experimenten haben wir Versuchspersonen zum Beispiel ein asymmetrisches Muster an einem Computerbildschirm vorgegeben. Sie sollten es dann symmetrisch machen, indem sie Felder per Mausklick wegnehmen oder hinzufügen. Doch selbst als wir finanzielle Anreize geboten haben, die Aufgabe mit so wenig Klicks wie möglich zu lösen: Die Leute fügten eher drei Felder hinzu als eines wegzuklicken. Eine weitere Aufgabe war es, die Zusammenfassung eines Textes zu verbessern. Wir dachten, die Leute würden die Zusammenfassung eher komprimieren – auch weil es so viele Anleitungen dazu gibt, unnötige Wörter beim Schreiben zu vermeiden. Aber auch hier das Gleiche: Die meisten fügten noch Sätze hinzu. So ging es auch bei Terminplänen. Wir haben Menschen ein grotesk überladenes Programm für eine Tagestour nach Washington DC gegeben – voller Restaurantbesuche, Besichtigungen und Fahrten. Wir haben die Leute gefragt, wie man dieses Besichtigungsprogramm besser machen könnte. Und sie haben immer noch mehr Punkte hineingestopft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Thema zu erforschen? Spielte es dabei eine Rolle, dass Sie auch als Bauingenieur gearbeitet haben?

Ich habe mich immer schon für Design und Minimalismus interessiert. Dabei geht es um dieselbe fundamentale Frage wie bei unseren Experimenten: Wie ändern wir etwas so, dass es ist, wie wir es haben möchten? Zum Beispiel beim Klimawandel, den ich als größte Herausforderung in meiner Karriere betrachte. Wir wissen, wie man ein Null-Energie-Haus baut. Wir wissen, wie man mit weniger CO2-Ausstoß auskommt. Aber ein großes Thema dabei ist immer: Wie kommen wir von diesem Wissen zu Taten? Also habe ich angefangen, mich mit dem Gedankenprozess zu beschäftigen, der uns davon abhält, gute Lösungen umzusetzen. Was sind die mentalen Barrieren dafür? Das konnte ich nie in einem Denkprozess kristallisieren.

Was war dann Ihr Aha-Moment?

Ich habe Lego mit meinem Sohn gespielt. Wir haben eine Brücke mit unterschiedlich hohen Pfeilern gebaut. Also drehe ich mich um, um einen Block zu holen und auf den niedrigeren Pfeiler zu setzen. Und während ich mich umdrehe, hat mein Sohn einfach einen Block vom höheren Pfeiler weggenommen. Und da dachte ich mir: Das ist genau das, was mich interessiert – warum ist unser erster Gedanke immer das Hinzufügen?

Vielleicht deshalb, weil die Folgen schwerer sind, wenn ich etwas brauche, aber nicht habe, als umgekehrt. Ich horte aus diesem Grund zum Beispiel Fahrradteile. Gerade bei alten Fahrrädern erspare ich mir dadurch oft viel Ärger.

Ja, bisher sind wir gut damit gefahren. Im Hinblick auf unsere evolutionären Instinkte war es wohl eine sinnvolle Option, Dinge hinzuzufügen – etwa Essen, wenn Kalorien knapp waren.