Studie: Wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann​

Die Deutsche Energie-Agentur empfiehlt eine Strategie mit mehr Energieeffizienz und Kohlendioxid senken, um Treibhausgas-Emissionen netto auf null zu drücken.

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(Bild: VanderWolf Images/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Deutschland hat sich als erste Industrienation fest dazu verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Bis 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen gemäß dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz schrittweise um etwa 68 Prozent gegenüber 2020 auf 118 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert werden. Die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur (dena) hat in den vergangenen 17 Monaten in einer jetzt veröffentlichten Studie analysiert, wie Industrie, Politik und Gesellschaft den Transformationsprozess stemmen können.

Mithilfe von zehn wissenschaftlichen Instituten, mehr als 70 Unternehmen und einem 45-köpfigen Expertenbeirat hat die dena nach eigenen Angaben untersucht, welche Technologiepfade realistisch sind und welche Rahmenbedingungen nötig, um das Ziel für 2045 in Deutschland zu verwirklichen. Im Fokus des Abschlussberichts der Leitstudie "Aufbruch Klimaneutralität" stehen konkrete Lösungssätze und CO2-Reduktionspfade für einzelne Sektoren wie Bau, Verkehr, Industrie und Energieerzeugung.

Anhand eines zentralen Szenarios "Klimaneutralität 100" wollen die Autoren zeigen, wie die Vorgaben für die einzelnen Bereiche bis 2030 und die Netto-Null insbesondere beim CO2-Ausstoß 15 Jahre später erreicht werden können. Sie beschreiben etwa, welche Energieträger und Technologien in welchen Mengen benötigt werden sowie die dafür notwendigen Schritte und Veränderungen. Die Forscher weisen vier Pfade und Varianten auf wie etwa einen höheren Anteil von direkt-elektrischer Nutzung gegenüber einer höheren Quote an gasförmigen oder flüssigen Energieträgern.

Aus technologischer Sicht halten die Verfasser eine Vier-Säulen-Strategie für erforderlich: Alle Verbrauchssektoren müssten die Energieeffizienz erhöhen und so den Stromverbrauch verringern. Dies gelte insbesondere für die Industrie und den Gebäudesektor. Für den umfassenden direkten Einsatz erneuerbarer Energien sei zudem "eine breite und deutlich beschleunigte Elektrifizierung eine Grundvoraussetzung". Neben Strom würden erneuerbare gasförmige und flüssige Energieträger wie Wasserstoff und Rohstoffe benötigt.

Der Energiesektor ist aktuell der größte CO2-Emittent. Reduktionen müssen hier laut der Studie am stärksten und schnellsten erfolgen – und zwar von 308 Millionen. Tonnen CO2-Äquivalenten in 2018 auf 104 Millionen in 2030 und dann sogar auf minus 8 Millionen Tonnen in 2045. Zentral sei dabei, dass sich die erneuerbaren Stromkapazitäten bereits bis 2030 mehr als verdoppeln müssten.

Konkret heißt das: Die installierte Leistung von Solarenergie steigt von 45 Gigawatt (GW) auf 131 GW, Windenergie an Land von 52 GW auf 92 GW. Die Kohleerzeugung werde bis 2030 marktgetrieben kaum noch eine Rolle spielen, meinen die Autoren. Die Nutzung von Erdgas in der Stromerzeugung nehme dagegen bis dahin noch zu. Wasserstoff und E-Fuels, also synthetische Treibstoffe, die mithilfe von Strom aus Wasser und Kohlendioxid produziert werden, spielten in den nächsten zehn Jahren nur eine geringe Rolle.

Der Aufbau entsprechender Infrastruktur und Märkte ist laut der Analyse aber unabdingbar, da die Rückverstromung von grünem Wasserstoff 2045 nach Windkraft und Photovoltaik zur drittwichtigsten Stromerzeugungsquelle werde. Bis 2035 habe der umstrittene blaue, aus fossilem Erdgas gewonnene Wasserstoff eine zumindest geringe Bedeutung, die sich dann aber sukzessive weiter verliere.

Die Industrie folgt an zweiter Stelle der Emissionen. Hier muss der Ausstoß allein bis 2030 um rund 36 Prozent sinken. Nach einer relativen Stagnation in den vergangenen zwei Jahrzehnten bedürfe es bis 2030 einer durchschnittlichen Absenkung von circa 8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, rechnen die Sachverständigen vor. Fast 70 Prozent des Minderungsbeitrags entfielen auf die energetischen Emissionen.

Die stärksten Veränderungen seien in den Branchen Stahl und Chemie nötig. Um hier voranzukommen, brauche es eine transparente Treibhausgasbilanz entlang der Wertschöpfungskette, eine konsequente Kreislaufwirtschaft, eine finanzielle Lenkungswirkung über den CO2-Preis sowie den schnellen Hochlauf emissionsarmer Technologien und Produktionsverfahren. Auch das Ende der EEG-Umlage sei wichtig.

Auf den Verkehrssektor kommt die größte Aufgabe zu: Schon bis 2030 muss der Ausstoß um rund 48 Prozent von rund 164 auf 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sinken. Das stärkste Minuspotenzial gebe es im Individualverkehr, gefolgt von Lkw-Fahrten, heißt es in der Studie. Dabei werde im Pkw-Bereich ein Hochlauf der Elektromobilität auf 9,1 Millionen vollelektrische Fahrzeuge beziehungsweise 14 Millionen inklusive Hybride bis 2030 notwendig sein. Der Ausbau des ÖPNVs müsse intensiviert werden. Wasserstoff werde in diesem Bereich kaum eine Rolle spielen.

Im Gebäudesektor müssen die Emissionen allein bis 2030 um 44 Prozent von rund 120 auf rund 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente runter. Der Großteil der Minderungen entfalle auf Maßnahmen an der Gebäudehülle und technische Anlagen, erwarten die Verfasser. Der Einsatz von Wärmepumpen und der Ausbau der Anschlüsse an Wärmenetze müsse massiv vorangetrieben werden. Der Einsatz klimaneutraler Brennstoffen sollte sich bis 2030 mehr als verdreifachen, bis 2045 vervierfachen.

Siehe dazu auch das Sonderheft "Klimawandel" von Technology Review:

(vbr)