Nationale Wasserstoffstrategie: Tafelwasser oder Champagner der Energiewende?

Vor einem guten Jahr hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Kritiker monieren, dass der Zug noch kein Tempo aufgenommen hat.

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(Bild: petrmalinak/Shutterstock.com)

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Wasserstoff soll der Heilsbringer in der Energiewende werden. Was nicht direkt oder ausreichend bequem elektrifiziert werden kann, soll mit Wasserstoff angetrieben werden. Dementsprechend misst die deutsche Bundesregierung Wasserstoff eine bedeutende Rolle in der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft zu. Unsere Artikelserie will die Pläne der Bundesregierung genauer unter die Lupe nehmen und konkrete Anwendungsbereiche – insbesondere im KFZ-Bereich – beleuchten. Was technisch möglich ist, soll auch auf Effizienz und Skalierbarkeit abgeklopft werden.

Saubere Energie ist ein alter Traum der Menschheit. Wasserstoff könnte ihn erfüllen, denn er könnte die Industrie, Flugzeuge und Züge antreiben sowie eventuell sogar den Verbrennungsmotor retten, ohne die Umwelt und das Klima zu verpesten: Das chemische Element H beziehungsweise der auf der Erde normalerweise vorkommende molekulare Stoff H2 hinterlässt bei der Verbrennung nur Wasser, kein CO₂ oder andere klimaschädliche Gase. Die Bundesregierung hat ihrer am 10. Juni 2020 verabschiedeten Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) so auch den vielversprechenden Untertitel "Schlüsselelement der Energiewende" spendiert.

Deutschland könnte bei dieser Evolution eine Schlüsselrolle spielen. Technologisch liegt die hiesige Industrie beim Erschließen der Potenziale von Wasserstoff weltweit ziemlich weit vorn. Allerdings schlummerte der von Wissenschaftlern schon lange hofierte Hoffnungsträger auch über Jahrzehnte hinweg einen Dornröschenschlaf. Zu billig und verlockend war das Verbrennen von Öl, Erdgas und anderer fossiler Rohstoffe.

Die Wasserstoff-Zukunft

Dazu kommt, dass die bisher in der Industrie eingesetzten Lösungen alles andere als sauber sind. Allein Betreiber chemischer Fabriken nutzen hierzulande jährlich knapp zwei Millionen Tonnen sogenannten grauen Wasserstoffs. Dieser wird aus fossilen Brennstoffen produziert. Meist wird dabei in Raffinerien Erdgas unter Hitze per "Dampfreformierung" in Wasserstoff und CO₂ umgewandelt. Generell liegt H2 immer gebunden vor, vor allem in Form von Wasser (H20). Um die begehrte Substanz herzustellen, muss das Wasserstoffmolekül abgespalten werden. Das gelingt nur in einem energieintensiven Prozess, sodass H2 als leicht förderbares Wundermittel ausscheidet.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Strategie das Ziel gesetzt, Deutschland beim Einsatz von Wasserstoff als klimafreundlichen Energieträger global zum Vorreiter zu machen. Sie will einen "kohärenten Handlungsrahmen für die künftige Erzeugung, den Transport, die Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff und damit für entsprechende Innovationen und Investitionen" schaffen. Auf 28 Seiten steckt sie dafür ihre Linie ab und formuliert 38 Maßnahmen zur Umsetzung.

"Eine erfolgreiche Energiewende bedeutet die Kombination von Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit mit innovativem und intelligentem Klimaschutz", beschreibt die Exekutive die Voraussetzungen. Dafür seien alternative Optionen zu den derzeit noch verwendeten fossilen, vor allem gasförmigen und flüssigen Energieträgern nötig. Wasserstoff bekomme "hier eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende".

Das Potenzial von H2 legen die Autoren der NWS in diesem Lichte verständlich dar. Wasserstoff könne "angebotsorientiert und flexibel erneuerbare Energien speichern und einen Beitrag zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage leisten", schreiben sie. "Bei verschiedenen chemischen und industriellen Prozessen ist Wasserstoff schon heute unabdingbar. Als Ausgangsbasis wird er zum Beispiel für die Herstellung von Ammoniak benötigt." Künftig solle hier der bereits verwendete fossil erzeugte Wasserstoff ersetzt werden.

Wasserstoff könne ferner weitere Produktionsprozesse in der Industrie dekarbonisieren, für die nach derzeitigem Stand der Technik keine anderen Verfahren zum Vermeiden von CO₂-Emissionen zur Verfügung stehen, heißt es. So sei für eine treibhausgasneutrale Erzeugung etwa von Primärstahl der Einsatz von H2 als Ersatz für Steinkohlenkoks derzeit der technologisch vielversprechendste Ansatz. Bestimmte industrielle CO₂-Quellen wie prozessbedingte Ausstöße der Zementindustrie ließen sich langfristig nur mithilfe von Wasserstoff klimaneutral gestalten. So könnten abgefangene industrielle CO₂-Emissionen mit Wasserstoff in verwertbare Chemikalien umgewandelt werden.