Kommentar: Fusionsforschung ist keine Geldverschwendung

Die Grünen wollen der Fusionsforschung den Saft abdrehen. Sonderlich klug ist das nicht.

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(Bild: NASA)

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Kinder, wie die Zeit vergeht! Als kleines Kontrastprogramm zu Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen habe ich mir vor kurzem eine Aufzeichnung der "Elefantenrunde" zur Bundestagswahl 1987 angesehen. Damals lieferte sich Jutta Ditfurth, seinerzeit eine von drei Bundesvorsitzenden der Grünen, Redeschlachten mit Franz Josef Strauß: Ditfurth warf Strauß vor, ein hervorragender Vertreter der Atomindustrie zu sein, während Strauß konterte, die Grünen wären verkappte Terroristen, weil sie sich nicht von Menschen distanzierten, die Strommasten umsägen. Ein Argument, das Ditfurth tatsächlich in Bedrängnis brachte, denn die Grünen betrachteten das Umsägen von Strommasten damals tatsächlich als legitimen Widerstand gegen den Atomstaat.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Widerstand. Strommasten umsägen. Wie subversiv. Heutzutage geht es um die Regierungsverantwortung. Nicht mehr um den Kampf, sondern um die Gestaltung. Kampf ist ja auch gar nicht mehr nötig, denn die Grünen werden nicht müde zu betonen, dass Ökologie und Ökonomie eigentlich gar kein Gegensatz sind und erklären Dir schneller die Vorzüge von Marktmechanismen als man Gaspreis buchstabieren kann. Alle haben schließlich nur ein Ziel: Die Welt zu retten, und sie arbeiten Hand in Hand daran, den Klimawandel zu stoppen.

Die alte Radikalität der Grünen schimmert nur noch manchmal durch. Zum Beispiel, wenn es um Fusionsenergie geht. Die halten die Grünen für ein "Milliardengrab" an Forschungsgeldern. Bereits 2010 hatten sie gefordert, die deutschen Gelder für das internationale Forschungsprojekt ITER stoppen. Und an dieser Forderung halten sie fest: Noch 2019 veröffentlichten sie Gutachten, in dem der Physiker Michael Dittmar argumentiert, die bisherige Planung für den ITER-Reaktor beruhe auf einer "gigantischen Fehlberechnung" und die bisher bekannten Daten ließen den Schluss zu, dass aus Fusion "während der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts" kein Strom produziert wird. Und selbst wenn das doch gelänge, legte der Grüne Anton Hofreiter kürzlich nach, käme die Fusionsenergie viel zu spät, um den Klimawandel zu stoppen – man müsse die entsprechenden Forschungsgelder daher unbedingt umwidmen.

Den Traum von der Fusionsenergie ausgerechnet am Beispiel des ITER-Projektes als gescheitert "entlarven" zu wollen, ist allerdings gewagt. ITER war schon immer mindestens genausoviel Industrieförderung wie Großforschung. Soll heißen: Die Kostensteigerung und die Verzögerungen beim Zeitplan haben nur sehr wenig mit Plasmaphysik zu tun. Und die technischen Fortschritte Dutzender Unternehmen auf diesem Gebiet schlicht unter den Tisch fallen zu lassen, ist unredlich.

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Ich sage es ja nur äußerst ungern, aber an dieser Stelle wünsche ich mir, dass die alten Anti-Atom-Reflexe der Grünen am Technik-Optimismus und dem Mantra von der "Technologieoffenheit" ihrer Verhandlungspartner abprallen. Denn diese Art von engstirnigem Fundamentalismus braucht kein Mensch. Der Klimawandel ist ein hartes, politisches, wirtschaftliches und auch technisches Problem. Darauf zu vertrauen, dass allein der Ausbau erneuerbarer Energie das Problem schon lösen wird, heißt, den Suchraum für mögliche Lösungen unnötig zu beschränken. Vielleicht wäre es sinnvoller, denjenigen, für die der Klimawandel nur ein gigantisches Geschäft ist, ein bisschen mehr auf die Finger zu schauen, statt sich an den Gespenstern der Vergangenheit abzuarbeiten.

(wst)