Militärdrohnen: Warum der Schwarm noch weit weg ist

Zahlreiche Kamikaze-Drohnen aus Russland greifen die Ukraine an. Doch der Angriff mit koordinierten Schwärmen wie in Filmen steht in der Realität noch aus.

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(Bild: Shutterstock/Phoenixns)

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Boris Hänßler
Inhaltsverzeichnis

Die Kamikaze-Drohnen des Typs Shahed 136 aus Iran sind keine Hightech-Waffen. Sie fliegen verhältnismäßig langsam, sind recht laut und kostengünstig und benutzen störanfällige GPS-System. Doch Schaden richten sie dennoch an, wie die jüngsten Einsätze durch russisches Kommando auf ukrainische Gebiete zeigen. Dort griff eine große Anzahl solcher Drohnen an, verschiedene Medien berichten gar von "Schwärmen". Doch wie weit ist die Technologie für koordinierte Drohnen-Schwärme überhaupt?


Anlässlich der aktuellen Einsätze von Drohnen im Ukraine-Krieg veröffentlichen wir diesen Hintergund-Artikel über den technologischen Stand von Militärdrohnen an dieser Stelle erneut. Ursprünglich erschien der Text unter dem Titel "Das ist kein Schwarm" in der gedruckten Ausgabe 8/2021 von MIT Technology Review (als pdf im heise shop bestellen).


Einem Bericht des UN-Sicherheitsrats zufolge hat eine Militärdrohne der libyschen Regierung möglicherweise bereits im März 2020 eine fragwürdige Pioniertat begangen: Zum ersten Mal griff eine autonome Drohne (Unmanned Air Vehicle, UAV) ohne direkten Eingriff von außen einen Menschen an. Der Quadcopter Kargu-2 des türkischen Militärtechnikunternehmens STM soll auf sich zurückziehende Soldaten des libyschen oppositionellen Generals Khalifa Haftar losgegangen sein. Er griff auch Logistikkonvois an. Ob es bei dem Vorfall Tote oder Verletzte gegeben hat, steht nicht in dem Bericht. Die Drohne, die möglicherweise seit Januar 2020 im Einsatz war, soll eine auf maschinellem Lernen basierende Objektklassifizierung verwenden, um selbstständig ihre Ziele zu identifizieren.

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Der Angriff wirft jedoch nicht nur die grundlegende ethische Frage auf, ob wir Maschinen über Leben und Tod entscheiden lassen sollten. Weil die Kargu-Drohne – zumindest laut Herstellerangaben – in einem Schwarm mit bis zu 20 anderen gemeinsam agieren kann, befeuerte der Vorfall auch düstere Warnungen von Militärexperten vor massiven Schwärmen autonomer, bewaffneter Drohnen, die feindliche Streitkräfte allein mit ihrer massiven Überzahl überrennen könnten. Doch wie wahrscheinlich sind solche Szenarien wirklich?

Grundsätzlich gibt es im Militärbereich drei Typen von Drohnen: Taktische Drohnen sind kleine Drohnen, die von Soldaten im Feld transportiert werden. Sie werden meist in urbanem Umfeld eingesetzt, etwa wenn Soldaten Häuser einnehmen. Seit 2018 setzt zum Beispiel die US Navy die taktische Aufklärungsdrohne Nova 2 von Shield AI in geschlossenen Räumen ein. Marines müssten sich ansonsten von Raum zu Raum durchkämpfen, ohne zu wissen, was sie hinter einer Tür erwartet. Eine Nova-2-Drohne erstellt 3D-Karten für mehrstöckige Innen- und Außenbereiche, hebt Tür- und Fenstereingänge hervor und liefert Bilder von einem möglichen Hinterhalt.

Zudem gibt es größere UAVs wie Reaper, die in mittlerer Höhe fliegen und für das bloße Auge bereits vom Boden aus nicht mehr sichtbar sind. Sie werden für Aufklärungs- oder Angriffsmissionen in größeren Bereichen eingesetzt und sind mit Waffen ausgerüstet.

Schließlich sind Langstrecken-Drohnen in der Größe eines Kleinflugzeugs im Einsatz. Sie fliegen oft in der Stratosphäre, ab etwa 15.000 Metern über dem Meeresspiegel. Dort können sie etwa 36 Stunden in der Luft bleiben. Sie dienen der Aufklärung – dabei sind sie flexibler als Satelliten, da sie längere Zeit in einer Region bleiben können. Die Steuerung dieser UAVs ist zwar teilweise automatisiert, aber bisher eben nicht autonom. Die Drohnen werden ferngesteuert – die Daten, die sie liefern, mithilfe einiger Algorithmen von menschlichen Experten am Boden analysiert. Für den Einsatz der Waffen sind – zumindest bisher – noch immer die Drohnenpiloten zuständig.

Das hat allerdings nicht nur ethische, sondern vor allem auch technische Gründe. Denn in dem eingangs zitierten Beispiel hat die Drohne auf ihrer Einsatzposition gelauert, um dann auf "Objekte" zu schießen, die laut ihrer Programmierung als feindlich eingestuft waren. In der Regel sind die Szenarien für den Einsatz autonomer Drohnen aber viel komplexer.

Der Quadcopter Kargu-2 lässt sich bewaffnen. Solch ein Modell soll im März 2020 autonom feindliche Truppen beschossen haben.

(Bild: STM)

Wie schwierig allein die autonome Navigation in Drohnen zu implementieren ist, zeigen zivile Forschungsprojekte wie das von Jörg Böttcher, Professor für Regelungstechnik und Elektrische Messtechnik an der Universität der Bundeswehr München. Böttcher erprobt gemeinsam mit Projektpartnern autonome Drohnenflüge, um dringend benötigte Medikamente oder Blutkonserven an Kliniken zu liefern. Ein Partner ist das Klinikum Ingolstadt. Ein weiterer Partner ist Quantum Systems in Oberpfaffenhofen – ein Start-up, das Drohnen entwickelt, die wie herkömmliche Copter-Drohnen senkrecht starten und landen. In der Luft schwenken sie die Triebwerke um, sodass sie sich wie ein Flugzeug fortbewegen. Die Drohne soll ihre Fracht an einem größeren Klinikum abholen und schnellstmöglich an den Zielort fliegen – und zwar vollständig autonom.