Bambi, Hamster und Nerz: SARS-Cov-2 unter Tieren

In Hongkong hat sich ein Zoohandlungsmitarbeiter bei einem Nager angesteckt. Nun sorgen sich US-Behörden, weil viele Rehe und Hirsche positiv getestet werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 67 Kommentare lesen

Guckt unschuldig, kann aber Corona haben.

(Bild: Kim Green on Unsplash)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Rainer Kurlemann

Als ein Mitarbeiter eines Zoogeschäftes in Hongkong am 15. Januar 2022 positiv auf Corona getestet wurde, waren die Behörden ratlos. Der letzte COVID-19-Fall in der Metropole lag bereits drei Monate zurück, und der 23-jährige Verkäufer war nicht im Ausland gewesen. Zwei Tage später wurden drei weitere Corona-Fälle gemeldet, die alle in einer Familie auftraten. Mutter und Tochter waren Kunden im Zoogeschäft gewesen.

Forschende der Universität Hongkong haben den Zusammenhang aufgeklärt. Die drei Infizierten haben sich bei den Hamstern angesteckt, die im Geschäft verkauft wurden. Den Beweis für diese Vermutung lieferte eine detaillierte Gen-Analyse. Die Viren-DNA in den Speichelproben der drei infizierten Menschen und der Nagetiere sind im Wesentlichen identisch. Es handelt sich um die Delta-Variante in einer Form, die überwiegend in Europa zirkulierte. Die Hamster stammten aus Europa. Das Zoogeschäft hatte sie aus den Niederlanden über einen Großhändler importiert, der auch andere Geschäfte in Hongkong beliefert hatte.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Am Anfang der Pandemie hatten sich zwei niederländische Mitarbeiter einer Pelzfarm bei ihren Nerzen angesteckt. Die Hamster-Infektion in Hongkong ist nun die zweite nachgewiesene Übertragung des SARS-CoV-2 von Tieren auf den Menschen. Klar ist, dass das Virus sich am besten und schnellsten von Mensch zu Mensch verbreitet: Dennoch besteht die Möglichkeit, dass Tiere Auslöser einer Corona-Infektion sein können. Die Hongkonger Forschenden haben auch das weitere Angebot des Zoohandels untersucht: Hamster, Kaninchen, Meerschweinchen, Chinchillas und Mäuse, die ebenfalls zur Lieferung an den Großhändler gehörten. Sie konnten aber nur bei den Hamstern eine Infektion nachweisen, bei den Zwerghamstern gab es keine positiven Coronafälle. Etwa ein Drittel der Hamster war akut infiziert, ein weiteres Drittel hatte Antikörper im Blut, die als Zeichen einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung gelten. Völlig unklar bleibt aber, wie und wo sich die Hamster mit der Delta-Variante des Virus angesteckt haben.

Auch in den USA wächst die Angst vor Tieren als stilles Reservoir für das Coronavirus. Mit besonderem Augenmerk beobachten die Wissenschaftler den Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus), eine frei lebende Wildtierart, die in Nord-, Mittel- und Südamerika weit verbreitet ist. Experten schätzen, dass 30 Millionen Weißwedelhirsche in den USA leben. Viele von ihnen sind vermutlich mit Corona infiziert. Ein Forscherteam der Pennsylvania State University hat im US-Staat Iowa Speichelproben von 283 Tieren analysiert – fast die Hälfte davon war Corona-positiv. Das Team um Vivek Kapur vermutet, dass sich die Hirsche bei Menschen angesteckt haben. Bei der genetischen Sequenzierung der Virus-Genome von 94 Proben wurden mehrere Linien entdeckt, die den gleichzeitig beim Menschen auftretenden viralen Genotypen entsprechen.

Die Forschenden deuten die genetischen Profile so, dass sich die Hirsche mehrfach bei Menschen angesteckt haben und das Virus in der Wildpopulation von Tier zu Tier übertragen wurde. Die Hirsche sind gesellige Herdentiere und leben im intensiven Kontakt miteinander.

Die hohen Infektionsquoten der Tiere in Iowa wurden zwar erst Anfang Februar 2022 in einem Fachmagazin publiziert. Doch die Forschenden aus Pennsylvania hatten ihre Probennahme bereits Anfang Januar 2021 beendet. Erste Berichte von ihren Ergebnissen haben eine Welle von Untersuchungen in der USA und Kanada ausgelöst. Die zusätzlichen Befunde der Wissenschaft bestätigen landauf, landab die Vermutungen. Das Coronavirus hat sich flächendeckend in den Hirschherden ausgebreitet.

In mehreren Bundesstaaten haben die Behörden bei mehr als der Hälfte der Tiere Antikörper gegen SARS-CoV-2 gefunden, oder die Tiere hatten gar eine akute Infektion. Ein Züchter in Texas musste erfahren, dass 95 Prozent seiner Hirsche Corona gehabt hatten oder aktuell durchmachten. Offenkundig scheint das Virus die Tiere nur selten krankzumachen, denn Berichte von Züchtern über erkrankte Tiere gibt es kaum.

Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) sammelt Meldungen zur Übertragung von Corona-Viren von Menschen auf Tiere. Bisher gebe es keine Anzeichen, dass SARS-CoV-2 während der Zirkulation in den Hirschherden neue Mutationen gebildet habe, die gefährlich sein könnten, berichtet die OIE. Sie fordert aber dazu auf, die Tiere weiterhin zu beobachten. Nicht nur amerikanische Hirsche scheinen empfänglich für Corona, auch Rentiere können sich vermutlich infizieren. Die Experten schließen nicht aus, dass sich der Mensch wieder beim Tier anstecken könnte. Noch gibt es aber keine belegten Corona-Infektionen, die auf den Kontakt mit Hirschen zurückgehen.

Wenn die Hirsche das Virus von Tier zu Tier weitergeben, wird es nicht mehr möglich, diesen Übertragungsweg in einem wildlebenden Bestand zu begrenzen. In den Nerzfarmen in den Niederlanden und später auch in Dänemark wurden alle Tiere der Zuchtbetriebe gekeult. Die dänischen Züchter traf es dabei besonders schwer. Ihre 18 Millionen Nerze wurden getötet, um zu verhindern, dass sich das Virus weiterverbreitet. Auch die Behörden in Hongkong haben die Tötung von Kleintieren angekündigt, die nach dem 20. Dezember importiert wurden. Die Nerzzucht ist in den Niederlanden und in Dänemark wegen des Risikos einer Re-Infektion des Menschen noch immer verboten.

Die Nager stecken sich schnell an. Nach Angaben der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wurde das Virus in 400 Nerzzuchtbetrieben in acht Ländern der EU nachgewiesen. Doch es beschränkt sich nicht auf die Zuchtbetriebe. US-ForscherInnen haben SARS-CoV-2 auch in wildlebenden Nerzen gefunden. Nicht nur Fledermäuse fungieren also als Wirt für das Coronavirus. Auch Nerze und Hirsche bilden ein Reservoir, in dem es sich weiter verbreiten und möglicherweise auch mutieren kann.

(jle)