SPD-Digitalsprecher: Wir brauchen einen Kulturwandel in der Verwaltung

Jens Zimmermann im c't-Interview über Probleme bei der Digitalisierung, das riesige Potenzial für Einsparungen und sichere digitale Identitäten.

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, Bild: Thomas Kuhlenbeck

(Bild: Thapana Onphalai/Shutterstock.com)

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Jens Zimmermann sitzt seit 2013 für die SPD im Bundestag. Seit 2018 ist er digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er hat für die SPD das Digitalkapitel im Koalitionsvertrag verhandelt. Im Interview mit c’t spricht er darüber, wie die Ampel-Parteien mehr Tempo in die Digitalisierung der Verwaltung bringen wollen, über Probleme, die es dabei zu überwinden gilt, und wie agil Gesetzgebung generell sein kann.

c’t: Die Frist, die das Onlinezugangsgesetz (OZG) für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen setzt, läuft Ende 2022 ab. Und es ist abzusehen, dass sie nicht eingehalten wird. Was würden Sie anders machen, wenn Sie sich noch mal nach 2017 zurückversetzen könnten, als das Gesetz beschlossen wurde?

Zimmermann: Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre es besser gewesen, top-down viel mehr konkrete Vorgaben zu machen und Prozesse gnadenlos zu standardisieren. Aber wir leben selbst gewählt in einem föderalen Staat und da haben die 16 Bundesländer eine Menge mitzureden. Zudem gibt es die kommunale Selbstverwaltung.

Jens Zimmermann ist der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.

(Bild: Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa)

c’t: Dennoch: Paragraf 6 des OZG sieht vor, dass der Bund durchaus mehr Vorgaben machen kann. War die Bundesregierung nicht mutig genug?

Zimmermann: Ich glaube, bei neuen Leistungen und neuen Prozessen sollten wir in Zukunft mehr Gebrauch davon machen. Am Ende muss die Bundesregierung aber mit den 16 Landesregierungen und den Kommunen zusammenarbeiten.

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c’t: Für die Kommunen ist die Finanzierung ein wichtiges Thema. Viele von ihnen sagen: „Der Bund und die Länder haben uns das OZG aufgedrückt, wollen dafür aber nicht bezahlen.“ Erst in der Pandemie mit dem Konjunkturpaket kam der Bund auf die Idee, den Kommunen drei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Hätte man das nicht viel früher machen können?

Zimmermann: Der Bund hat sich die Digitalisierung ja nicht ausgedacht, um die Kommunen zu ärgern. Natürlich müssen sie erst einmal investieren. Aber wenn ich mir anschaue, wie viele manuelle Tätigkeiten heute in der örtlichen Verwaltung immer noch durchgeführt werden, dann steckt in der Digitalisierung ja auch ein riesiges Potenzial für Einsparungen. Zudem versucht der Bund, die Kommunen zu unterstützen, wo immer es geht. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die Konjunkturmittel fortgeschrieben werden.

c’t: Wie sollte die Finanzierung aus Ihrer Sicht zukünftig aussehen?

»Der Bund hat sich die Digitalisierung ja nicht ausgedacht, um die Kommunen zu ärgern.«

Zimmermann: Es wird noch Verhandlungen darüber geben. Ich setze aber auch stark auf das Einer-für-alle-Prinzip, auf die Standardisierung. Wenn 5000 Kommunen in Deutschland gemeinsam einen Dienst nutzen, dann lassen sich aus meiner Sicht auch die Weiterentwicklung und der Support organisieren.

c’t: Warum sollen Kommunen eigentlich Anwendungen für Leistungen entwickeln, die bundesweit geregelt sind, etwa die Kfz-Anmeldung oder der Antrag für den Personalausweis? Ist es für solche Anwendungen nicht sinnvoller, wenn der Bund sie als einheitlichen Clouddienst bereitstellt?

Zimmermann: Grundsätzlich bin ich dafür offen, dass der Bund Leistungen, die er erbringen kann, auch erbringt. Es ist aber mitunter komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Ein Prozess für die Beantragung von Personalausweisen etwa muss auf die Meldedaten der lokalen Einwohnermeldeämter zugreifen können.

c’t: Abgesehen von der Finanzierung: Wie wollen Sie das OZG noch weiterentwickeln?

Zimmermann: Wir haben zwei Stoßrichtungen. Zum einen müssen die Prozesse, die bis zum 31. 12. nicht fertig sind, weitergeführt werden. Dafür braucht es eine Rechtsgrundlage. Zum anderen schauen wir auch: Was können wir ändern? Was können wir on top machen? Dazu gehört zum Beispiel, dass wir die Schriftform-Erfordernisse für gewisse Dinge abschaffen wollen. Vor allem aber müssen wir das Thema der digitalen Identitäten lösen.

c’t: Wie stehen Sie zum elektronischen Personalausweis? Glauben Sie, dass das die Identitätslösung für die Zukunft ist, die Bürger und Verwaltungen digital zusammenbringt?

Zimmermann: Es kann zumindest ein Teil der Lösung sein, weil es ja ein elektronisches Identitätsmerkmal ist, das jeder von uns schon hat — auch wenn nur eine Minderheit die Online-Ausweisfunktion jemals genutzt hat. Wo wir aus meiner Sicht aber eigentlich hin müssen, ist, dass wir den Ausweis oder eine andere sichere Identität auf die Smartphones bekommen. Wenn das nicht einfach zu nutzen ist, dann nutzen es die Leute auch nicht.

c’t: Der Personalausweis soll ja als „Smart eID“ aufs Smartphone kommen. Es ist aber ziemlich sicher, dass das nur bei einem Teil der Handymodelle funktionieren wird. Und eine Alternative, das ID Wallet, ist in kürzester Zeit von Sicherheitsforschern zerpflückt worden. Wie konkret also wollen Sie die digitale Identität aufs Smartphone bekommen?

Zimmermann: Die Frage, vor der man dieses Problem meiner Meinung nach betrachten muss, lautet: Welches Sicherheitsniveau benötige ich für welche Aufgabe und welche technischen Voraussetzungen brauche ich für das jeweilige Sicherheitsniveau? Für das höchste Sicherheitsniveau wird es erst mal wahrscheinlich nur den elektronischen Personalausweis und die Smart eID geben. Aber das sind die Anwendungen, die den kleinsten Teil ausmachen. Für andere Anwendungen genügt es vielleicht, das ID Wallet in gut zu machen. Das Ganze muss auch nicht auf einer Blockchain basieren, nur weil das fancy klingt.

c’t: Noch mal zur Weiterentwicklung des OZG: Viele Leistungen sind nur vom Bürger bis zum Eingangsserver der Verwaltung gedacht. Dort müssen Daten dann häufig wieder ausgedruckt oder von Hand abgetippt werden. Viele Leistungen könnten auch antragslos erbracht werden. Planen Sie, die Digitalisierung in diese Richtung weiterzuentwickeln?

Zimmermann: Das ist definitiv unser Ziel, vorrangig im sozialen Bereich. Unsere Vision ist, dass man bei offensichtlichen Prozessen davon wegkommt, einen Antrag stellen zu müssen, sondern proaktiv Leistungen angeboten bekommt.

Mein Beispiel ist ja immer, wenn ein Kind geboren wird. Sobald es einen Namen hat, dann wird es beim Standesamt eingetragen und damit könnte man eigentlich sehr viele Prozesse anstoßen, angefangen vom Kindergeld bis zu steuerlichen Einstufungen und so weiter.

All das wäre eigentlich automatisiert möglich. Aber wir reden über unterschiedlichste Datenbanken, die heute nicht oder nur schlecht vernetzt sind und auch zum Teil nicht vernetzt sein dürfen. Und das hinzukriegen – Stichwort Registermodernisierung – ist mit Sicherheit ein zentraler Faktor.

c’t: Wir haben ja gerade eine Umfrage unter den Kommunen gemacht. Fast alle betreiben De-Mail-Postfächer, viele haben aber noch nie eine De-Mail bekommen. Die Telekom ist aus De-Mail ausgestiegen. Sollte der Bund Ihrer Meinung nach noch Ressourcen in De-Mail stecken?

Zimmermann: Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt. Nein, da sollten keine Kapazitäten mehr reinfließen, das Pferd ist tot. De-Mail ist ein Beispiel dafür, wie Politiker ein Projekt kaputt gemacht haben, indem sie bereits in der Gründungsphase das Vertrauen in es zerstört haben.

Bundesregierung, Ministerien und auch Abgeordnete müssen einfach lernen, wie wichtig bei all diesen Themen Vertrauen ist. Die Ironie an der Geschichte ist, dass Menschen deshalb nicht auf PGP gewechselt sind, um Mails zu verschlüsseln, sondern stattdessen unverschlüsselte Mails senden.

c’t: Wie bekommt man eigentlich mehr digitales Know-how in die Verwaltungen? Wir haben kürzlich mit der Aktivistin Lilith Wittmann gesprochen, die die Bundesverwaltung aus eigener Erfahrung kennt und sagt, dort fehle es an interner Kompetenz. Wie wollen Sie das ändern?

Zimmermann: Das ist definitiv ein Thema. Alle öffentlichen Arbeitgeber stehen ja in direkter Konkurrenz mit Wirtschaft und Wissenschaft um die ohnehin viel zu knappen Beschäftigten im IT-Sektor. Und deswegen ist es wichtig, in die Weiterbildung zu investieren und damit auf einen Kulturwandel hinzuarbeiten. Ich glaube, der Kulturwandel ist fast noch wichtiger als die eigentliche Kompetenz.

c’t: Frau Wittmann sagte, auch die Entscheidungsstrukturen seien hinderlich: Auf niederen Ebenen arbeiteten mitunter bereits Leute, die sich auskennen und gute Lösungsansätze haben. Und je weiter man nach oben geht in der Hierarchie, desto politischer wird es und desto häufiger findet man Juristen vor, die nicht unbedingt wissen, womit sie es zu tun haben. Wie sehen Sie das?

Zimmermann: Wir haben in vielen Entscheiderpositionen noch Leute, die keine Digital Natives sind. Es ist unser Ziel, Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung zu qualifizieren und auch ein entsprechendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

c’t: Müsste die Verwaltung nicht auch bessere Gehälter zahlen, um IT-Experten für sich zu gewinnen?

Zimmermann: Das sehe ich auch so. Und wir haben auch in den Koalitionsverhandlungen darüber gesprochen. Ein Verhandler aus einer Landesregierung sagte dort, seine besten Leute hätte er nach Besoldungsrecht eigentlich gar nicht einstellen dürfen. Deswegen wollen wir die doch sehr starren Möglichkeiten von Eingruppierung und Besoldung auf jeden Fall flexibler gestalten.

c’t: Im Koalitionsvertrag hat die neue Regierung einen Digitalcheck vorgesehen. Erhoffen Sie sich damit, agiler zu werden?

Zimmermann: Der Digitalcheck soll vor allem präventiv dafür sorgen, dass Gesetze digitale Grundsätze berücksichtigen. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren gab es das Problem, dass chinesische Anbieter auf großen Marktplätzen wie Amazon Produkte verkauft und keine Umsatzsteuer abgeführt haben. Dann haben wir gesagt, das geht so nicht, alle Anbieter auf Plattformen wie Amazon und eBay brauchen Umsatzsteuernachweise. Dafür haben wir das Umsatzsteuergesetz geändert.

Allerdings haben wir in der Gesetzesänderung keine sinnvolle Schnittstelle definiert, über die die Umsatzsteuernachweise an das zuständige Finanzamt gemeldet werden sollen. Daher trudelten viele der Meldungen als Fax oder PDF beim Finanzamt ein, die sich nicht gut auswerten lassen. Besser wäre es gewesen, vorzugeben, dass Plattformen ab einer gewissen Größe ein API bereitstellen und Händler ihre Umsatzsteuernachweise in eine Datenbank eintragen müssen.

c’t: Der Gesetzgebungsprozess ist strukturell eher konservativ: Es dauert oft Jahre, Gesetze zu formulieren und die sollen dann ja auch lange Bestand haben. Die digitale Welt dagegen ist viel agiler. Wird die Politik also immer hinterherhinken?

Zimmermann: Das wird sich kaum verhindern lassen. Das Web 3.0 und NFTs etwa sollte ich als Gesetzgeber schon genau im Auge behalten. Gleichzeitig weiß ich aber auch noch nicht, wie sich der Markt dort entwickelt. Und wir wollen als Gesetzgeber Innovation und Entwicklung auch nicht immer direkt abwürgen.

Wir müssen stattdessen in der Gesetzgebung für den digitalen Bereich wirkungsvolle Grundsätze verankern. Auf EU-Ebene arbeiten wir ja derzeit am Digital Services Act, dem Nachfolger der E-Commerce-Richtlinie. Die ist uralt, hat aber das Prinzip „Notice and Take Down“ festgeschrieben (Anm. d. Red.: Provider bleiben frei von der Haftung gehosteter Inhalte, wenn sie den Zugang dazu schnellstmöglich entfernen oder deaktivieren, sobald sie Kenntnis von deren rechtswidrigem Charakter erlangen). Das ist für ganz viele Themen der Anbieterhaftung ein wichtiger Grundsatz, auch für solche, die viel später entstanden sind.

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(jo)