Batterien in Elektroautos: Feststellung der Restkapazität wird zum Streitfall

Um den Zustand der Batterie nach ein paar Jahren bahnt sich Diskussionsbedarf an. Denn die exakte Feststellung des Energiegehaltes ist nicht definiert.

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Elektroauto Batterie

Welchen Energiegehalt hat eine Batterie in einem E-Auto nach ein paar Jahren? Diese Frage ist derzeit nicht rechtssicher zu beantworten.

(Bild: Audi)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Die Traktionsbatterie ist und bleibt das wertvollste Bauteil eines Elektroautos. Sie verschleißt über die Zeit und durch die Nutzung, also kalendarisch und zyklisch. Der ursprüngliche Energiegehalt kann irgendwann nicht mehr gespeichert und anschließend entnommen werden. Wie viel Batteriekapazität noch vorhanden ist, wird in der Fachsprache als State Of Health bezeichnet – abgekürzt SOH – und in Prozentzahlen bewertet. Der SOH ist entscheidend für die Praxis, weil mit sinkender Kapazität die Reichweite schwindet. Auch der Wiederverkaufswert nimmt mit dem Gesundheitszustand ab. Sowohl für Halter als auch für Verkäufer und Gebrauchtwagenkäufer ist deshalb die Frage wichtig, wie hoch der SOH ist: Sind es noch 93, 84 oder nur noch 69 Prozent der Ausgangskapazität? Das Ergebnis ist alles andere als trivial.

Die Hersteller locken mit langen Garantien für die Batterie. Sechs bis acht, bei Toyota sogar zehn Jahre sind üblich. Als zweites Kriterium kommt noch eine Begrenzung der Laufleistung hinzu – oft werden 160.000 km als Maximum genannt. Innerhalb dieser Grenzen wird garantiert, dass der Energiegehalt der Batterie nicht unter einen bestimmten Wert fällt – beispielsweise 70 Prozent. Wie so oft lohnt sich der Blick in das Kleingedruckte bei vielen Herstellern. Denn wird der versprochene Energiegehalt unterschritten, wird nicht etwa die Batterie komplett getauscht, sondern nur der Wert wieder über die versprochene Marke gehoben. Im Zweifelsfall wird also einfach ein Modul gewechselt, um den Speicher zurück in den zugesicherten Bereich zu bringen.

Um die exakte und rechtsverbindliche Feststellung des SOH bahnt sich ein erhöhter Diskussionsbedarf an. Ein denkbares Szenario aus der nahen Zukunft: Ein Autofahrer stellt über ein OBD-Tool an seinem sieben Jahre alten E-Auto einen SOH von beispielsweise 68 Prozent fest. Der Hersteller garantiert für acht Jahre mindestens 70 Prozent. Ein klarer Garantiefall? Mitnichten: Zeigt das Diagnosesystem beim Händler vor Ort 71 Prozent an, dürfte es eine intensive Debatte mit dem Kunden geben, ob auf Kosten des Herstellers eingegriffen werden muss oder nicht.

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Zumal nicht ausgeschlossen ist, dass der Speicher nur mithilfe eines Softwareupdates wieder in den garantierten Bereich kommt. Die ganze Problematik wird noch deutlich sichtbarer, wenn man den riesigen Gebrauchtwagenmarkt mit einbezieht. Informierte Käufer solcher Autos werden künftig vom Händler einen Zustandsbericht der Batterie einfordern. Soll der auch rechtlich verbindlich sein, muss ein herstellerübergreifendes Prüfverfahren her, auf das sich alle Seiten verlassen können. Eine Einigung darauf ist momentan nicht in Sicht.

Aufladen von Elektroautos

Um festzustellen, wie es um den Zustand der Batterie bestellt ist, werden gerade neue Verfahren etabliert. Ein vielversprechendes Prozedere bereiten derzeit der TÜV Rheinland und der Batteriespezialist Twaice aus München vor. Sie wollen ab Herbst 2022 den Battery Quick Check gemeinsam anbieten. Was der kosten wird, verraten die Beteiligten noch nicht. Für die Untersuchung eines konventionellen Pkws verlangen die üblichen Prüforganisationen zweistellige Preise, und das enthält weit mehr als die für die Hauptuntersuchung relevanten Funktionen. Der TÜV Rheinland und Twaice werden für den Battery Quick Check nicht weit über diesen Kurs hinausgehen können.

Vereinfacht gesagt erstellt Twaice für den Battery Quick Check von jedem neuen Elektroauto-Typ ein Referenzmodell. Das heißt, dass die perfekte Batterie eines Neufahrzeugs vermessen wird. Wie zum Beispiel ist der Spannungsverlauf bei Ruhe und unter Last? Es werden viele Parameter erhoben und gespeichert. Der Vergleich eines Prüfungsfahrzeugs mit diesem Referenzmodell reicht aus, um den SOH bei einem batterieelektrischen Gebrauchtwagen verlässlich festzustellen.

Ist der SOH bei 93, 84 oder 69 Prozent? Das ist entscheidend für den Wiederverkaufswert. Mit dem Battery Quick Check des TÜV Rheinland und Twaice aus München gibt es ab Herbst endlich ein unabhängiges und vergleichbares Verfahren, um den SOH festzustellen.

(Bild: Clemens Gleich)

Hierzu muss das Elektroauto, bei dem der SOH zertifiziert werden soll, lediglich etwa eine Stunde lang in einer Fachwerkstatt aufgeladen werden. Die Messdaten werden in die Cloud von Twaice hochgeladen und abgeglichen. Fertig ist das Zertifikat. Mit der Zeit entsteht so nebenbei auch ein immer genaueres Bild von einem Fahrzeugtyp und den Auswirkungen unterschiedlicher Nutzung.

Eine Alternative zum Battery Quick Check kommt vom österreichischen Unternehmen Aviloo. Das bietet seinen Service über die Gesellschaft für technische Überwachung (GTÜ) auch in Deutschland und bis 31. März für 49 oder 79 Euro an; danach wird es mit 99 oder 129 Euro deutlich teurer. Bei Aviloo ist der Halter selbst gefordert: Er muss das Elektroauto komplett vollladen und anschließend bis auf 10 Prozent Ladestand herunterfahren. Währenddessen liest ein von GTÜ eingesteckter OBD-Adapter die Daten im Auto aus und sendet sie über eine App zur Auswertung an Aviloo. Nach Abschluss der Testfahrt gibt es ein Zertifikat. Bisher gibt es mit Berlin und Stuttgart allerdings nur zwei Standorte, an denen das angeboten wird.

So viel ist schon jetzt klar: Neben der Fertigungsqualität ist die Behandlung der Traktionsbatterie wichtig für die Lebensdauer. So macht es zum Beispiel für die kalendarische Alterung einen deutlichen Unterschied, ob das Elektroauto bei angenehmen Temperaturen und mittlerem Ladestand in der Garage steht. Oder ob es, und das hat Auswirkungen auf den zyklischen Verschleiß, häufig bei kaltem Wetter schnell geladen und insgesamt hart gefordert wird. Das verdeutlicht, wie unterschiedlich die Abnutzung je nach Anforderungsprofil nach beispielsweise fünf Jahren und 75.000 km sein kann.

Toyota verspricht bei regelmäßiger Wartung eine längere Garantie: Statt den üblichen acht Jahren bis zu einem SOH von 70 Prozent könnten es zehn sein. Vermutlich regelt das Batteriemanagementsystem alle Parameter besonders vorsichtig. Toyota hat durch die Hybridmodelle umfangreiche Erfahrung darin, Batterien dauerhaft haltbar zu steuern.

(Bild: Toyota)

Leider stellen nicht alle Hersteller über die Schnittstelle der Onboard-Diagnose (OBD II) alle Daten zur Verfügung. Man gibt sich beim TÜV Rheinland und Twaice aber zuversichtlich, für sämtliche Elektroautos eine Lösung anbieten zu können. Die ist, anders als die Verfahren der Hersteller selbst, standardisiert und unabhängig. Bisher hatte es kaum vergleichbare Methoden zur Feststellung des SOH gegeben. Bei einigen Elektroautos kann ein Wert über die OBD ausgelesen werden. Der ist aber nicht verbindlich, und er kann sich durch Updates der Software verändern. Auch die SOH-Balken, die zum Beispiel der Nissan Leaf bereitstellt, sind nur eine ungefähre Aussage über den Allgemeinzustand.

Der Bedarf nach einer rechtsverbindlichen Aussage – zum Beispiel für Halter von Elektroautos, die gegenüber dem Hersteller nachweisen wollen, dass die Batterie ein Garantiefall ist – wurde immerhin vom Gesetzgeber erkannt. Es soll eine Ergänzung der UNECE WP29 geben. Faktisch aber ist die derzeitige Regelung eine Grauzone, obwohl die Zahl der gebrauchten Elektroautos stetig wächst und es sowohl für die Verkäufer als auch für die Käufer ein Schutz wäre, wenn es einen exakten, verbindlichen SOH-Wert geben würde. Hinzu kommen jene Einzelfälle der Fahrer von relativ neuen Elektroautos, die offensichtlich nicht die versprochene Kapazität abrufen können, etwa weil die Fertigungsqualität bestimmter Module im Batteriesystem schlecht ist. Diese Halter haben zurzeit große Schwierigkeiten, einen Defekt nachzuweisen und die Garantie durchzusetzen.

Bei der vergleichbaren und (rechts-)verbindlichen Feststellung des SOH der Traktionsbatterie eines Elektroautos steht der Automarkt erst am Anfang. Der Nachholbedarf ist groß. Mit Verfahren wie dem Battery Quick Check oder Aviloo kommt Bewegung in die Sache. Zwar pflegt eine Batterie sich über das Managementsystem eigentlich selbst. Äußere Bedingungen wie Temperaturschwankungen im Stillstand und das individuelle Nutzungsverhalten führen aber zu unterschiedlichem Verschleiß. Für Halter, Verkäufer und Gebrauchtwagenkäufer ist es darum elementar, den SOH exakt ermitteln zu können. Im Zweifelsfall muss das Ergebnis vor Gericht Bestand haben.

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(mfz)