Omikron-Mutationen schon Monate vor ihrer Dominanz aufspürbar​

Bei Alpha-Durchbruchsinfektionen fanden sich Virensequenzen vieler späterer SARS-CoV2-Varianten. Lassen sich trotz Impfung Erkrankte als Frühwarnsystem nutzen?​

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(Bild: totojang1977/Shutterstock.com)

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Durchbruchsinfektionen könnten frühe Hinweise auf Mutationen von später dominanten Varianten liefern. Das berichten Wissenschaftler vom Spanischen Nationalen Forschungsrat (CSIC) und der Fundación Jiménez Díaz in einem noch nicht von Gutachtern gegengelesenen Vorabdruck des "Journal of Clinical Investigation".

Die Forscherinnen und Forscher um Brenda Martínez-Gonzáles und Celia Perales entnahmen in einer Pilotstudie fünf symptomatischen Infizierten einen Nasen-Rachen-Abstrich, die während der dritten Pandemie-Welle zweimal mit dem BioNTech/Pfizer-Vakzin geimpft worden waren und sich trotzdem im April 2021 in der vierten Welle mit der Alpha-Variante ansteckten. Parallel dazu untersuchten sie auch fünf Kontrollpatienten, die ungeimpft an COVID-19 erkrankt waren.

In den für das Spike-Protein relevanten Erbgut-Sequenzen fanden die Forschenden eine Reihe von Mutationen, die später auch in den Delta-Plus-, Iota- und Omikron-Varianten vorhanden waren. Alle diese Varianten hatten vorherige dominante Virenversionen verdrängt und wurden dann selbst von Gesundheitsbehörden zu "beachtenswerten Varianten" (VOI, variants of interest) oder "besorgniserregenden Varianten" (VOC, variants of concern) erklärt: Iota im März 2021, Delta-Plus im Mai 2021 und Omikron im November 2021.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Mutationen und eine RNA-Replikationsmaschinerie, die keine – bei DNA-Doppelsträngen übliche – Fehlerkorrektur besitzt, sorgen im Erbgut von SARS-CoV-2 dafür, dass plötzlich eine andere Aminosäure kodiert wird oder bestimmte Aminosäuren gar gänzlich entfernt werden. All das kann Auswirkungen auf die dreidimensionale Struktur des Proteins haben und zum Beispiel dafür sorgen, dass das Spike-Protein besser an den ACE-2-Rezeptor auf Körperzellen bindet.

Normalerweise haben Viren nicht viel Zeit, im Körper von Patienten zu mutieren, bevor das Immunsystem die Keime zerstört. Braucht das Immunsystem aber viel länger, weil es die Viren nicht vollständig loszuwerden vermag, dann erhalten diese mehr Zeit für hilfreiche Mutationen, die sich in der Folge durchsetzen, wenn sie den Viren einen Vorteil verschaffen. Wissenschaftler vermuten bei vielen der dominanten Coronavirus-Varianten, dass sie sich in immunschwachen Patienten entwickelt haben.

Weil der Körper von Patienten dabei ein breites Spektrum an unterschiedlich mutierten Virusvarianten enthält, die teilweise in sehr geringer Häufigkeit von wenigen Prozent oder geringer als ein Prozent vorliegen, setzte das spanische Forscher-Team eine leistungsstarke, sogenannte ultratiefe Sequenziermethode ein, die seltene Genvarianten besser aufspürt.

Die Omikron-Mutation fand sich dabei nur bei einem geimpften Probanden, machte aber bereits 12,64 Prozent von dessen untersuchtem Virenmaterial aus. Die übrigen Mutationen fanden sich in niedrigeren, meist vergleichbaren Häufigkeiten sowohl bei den geimpften als auch den ungeimpften Patienten. Die Forscher schließen daraus, dass die Impfung nicht zum Selektionsdruck des Virus beigetragen hat. Ihre Ergebnisse zeigten auch, dass die mit griechischen Namen hervorgehobenen VOI und VOC keine nacheinander auftretenden und klar trennbaren Varianten seien.

"Diese Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, Viruspopulationen mit hoher Auflösung und in der Tiefe zu analysieren, um einen Überblick über die vielen Mutanten zu erhalten, die in jedem infizierten Individuum koexistieren", sagt Esteban Domingo, Forscher am Severo Ochoa Zentrum für Molekularbiologie (CBMSO-CSIC-UAM). "Diese Analysen könnten es uns ermöglichen, potenziell relevante Mutationen oder Mutationssätze aufzuspüren, bevor sie Teil gefährlicher Varianten werden." Besonders problematisch im Hinblick auf die Entwicklung an neue Varianten angepasster COVID-19-Impstoffe sind sogenannte Escape-Mutationen. Diese helfen dem Erreger dabei, einer gezielten Immunreaktion zu entkommen.

Ob und wie sich vorhersagen lässt, welche Mutation sich durchsetzen und für die Dominanz einer Variante sorgen, muss sich noch zeigen. Gelingt das, wäre es denkbar, frühzeitig angepasste Impfstoffe zu entwickeln, besonders mit der relativ schnell anpassbaren mRNA-Technik. Dafür sind allerdings zuerst breitere Studien zur Mutationsfrühaufspürung mit weit mehr Probanden notwendig.

Für Domingo und Co-Autorin Celia Perales stand schon in einem früheren Fachartikel fest, wann der beste Impfzeitraum wäre: "Die Komposition und Dynamik der viralen Mutationsspektren zeigt uns, dass Impfkampagnen gegen die COVID-19-Krankheit zu einem Zeitpunkt gestartet werden sollten, zu dem die Krankheitsinzidenz gering ist, um die Selektion von Escape-Mutanten zu vermeiden", schrieben sie im März letzten Jahres im "Journal of Virology".

(vsz)