Tuberkulose-Abwehr könnte auch gegen COVID-19 schützen​

Eine Begegnung mit dem Tuberkulose-Keim scheint das Immunsystem von Mäusen auch gegen Sars-CoV-2 zu schützen. Ähnlich könnten Tuberkulose-Impfungen wirken.​

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(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Husten, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Fieber – was klingt wie eine Auflistung von häufig auftretenden Symptomen von COVID-19, trifft aber auch auf eine andere Infektionskrankheit zu: Tuberkulose. Tuberkulose-Bakterien befallen häufig die Lunge, aber auch andere Organe und können schwere Erkrankungen auslösen. Oft bricht die Krankheit jedoch nicht aus. Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte für das Jahr 2020 in Deutschland 4.127 Tuberkulosen (eine Inzidenz von 5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner).

Weltweit sieht es dagegen anders aus: 7,1 Millionen diagnostizierte Tuberkulosen verzeichnet der Global Tuberculosis Report der WHO für das Jahr 2019. Etwa 1,2 Millionen davon verstarben daran. Am häufigsten von Tuberkulose betroffen sind Menschen in Indien, Indonesien, China, Philippinen, Bangladesch, Nigeria, Pakistan und Südafrika. Doch gerade diese potenziell fatale Krankheit scheint einen skurrilen Nebeneffekt zu haben, wie Forschende nun herausfanden.

Mäuse, die eine Tuberkulose-Infektion bekämpfen, scheinen gegen COVID-19 geschützt zu sein. Das schreibt Richard Robinson von der Ohio State University zusammen mit Kolleginnen und Kollegen im Fachjournal PLOS Pathogens. Das Team hatte die Nager erst mit Tuberkulose infiziert und vier Wochen später der Alpha-Variante von Sars-CoV-2 ausgesetzt. "Wir hatten erwartet, dass es den Tieren mit der zweiten Infektion schlechter geht, aber das war nicht der Fall", sagt Robinson. Mehr noch, sie schienen resistent gegen COVID-19 geworden zu sein.

Dieser Effekt zeigte sich sowohl bei Wildtyp-Mäusen als auch bei gentechnisch veränderten Artgenossen, die den menschlichen ACE-2-Rezeptor – die Andockstelle für Sars-CoV-2 – bilden können. Bei Letzteren konnte man also eine erhöhte Anfälligkeit für COVID-19 erwarten. Es scheint allerdings, als bietet die Immunantwort auf Tuberkulose auch Schutz gegen das Festsetzen des Coronavirus.

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Die Forscher fanden erhöhte Mengen an B- und T-Zellen im Blut der Versuchstiere, die für die Antikörperproduktion sowie weitere Abwehrfunktionen wie das zerstören infizierter Zellen zuständig sind. Wie der Erreger-übergreifende Schutz genau funktioniert, wollen die Forscher in weiteren Versuchen herausfinden. Um herauszufinden, welche Immunzellen dabei eine Rolle spielen, wollen sie in weiteren Mäuseversuchen prüfen, was passiert, wenn sie einzelne Immunzellgruppen nacheinander unterdrücken. Funktioniert der Schutz plötzlich nicht mehr, spielt die aus dem Rennen genommene Zellart eine maßgebliche Rolle.

Robinson weist auf einige Einschränkungen der Ergebnisse hin, vor allem da es – wie sehr oft – Unterschiede zwischen der Physiologie der Versuchstiere und der Menschen gibt. So zeigen Mäuse nicht das volle Spektrum an Tuberkulose-Krankheitssymptomen und entwickeln die Krankheit seltener als die zehn Prozent von infizierten Menschen. "Allerdings eignen sich Mäuse gut für die Klärung der Frage, welche Immunantwort die Erreger unter Kontrolle bringt", sagt Robinson.

Nicht zuletzt will Robinsons Team deshalb auch herausfinden, ob sich der Effekt auch bei Menschen zeigt und die bisher zusammengetragenen, ähnlichen Hinweise bestätigen kann. Denn es gibt bereits erste Indizien aus Studien, welche die Auswirkung der Tuberkulose-Impfung – also nicht nur der durchgemachten Erkrankung selbst – untersucht haben. So haben etwa Forschende um Martha Berg von der University of Michigan im Mai 2020 Ergebnisse aus mehr als 100 Ländern vorgestellt, wonach sich Covid-19 in jenen Ländern langsamer ausbreitete und dort langsamer wachsende Todesfallzahlen zu beobachten waren, wo es eine Impfpflicht gegen Tuberkulose gab.

Zudem wurde schon viel früher beobachtet, dass die Tuberkulose-Impfung mit dem sogenannten Bacillus-Calmette-Guérin (BCG) nicht nur einen allgemeinen, breit angelegten Schutz mit einer schnelleren Abwehrreaktion gegen verschiedene Infektionen zu bieten scheint. Dazu gehören vor allem Atemwegserkrankungen, aber auch andere Infektionen wie Gelbfieber. Der Schutz beruht wohl auf einem ungewöhnlichen Mechanismus.

Normalerweise hält in vielen Fällen die angeborene Immunabwehr das Tor sauber und fängt Erreger weg, bevor sie eine Infektion auslösen können. Dieser Abwehrarm erinnert sich allerdings nicht an seine Feinde, und kann deshalb überrumpelt werden. Dann liegt es an der erworbenen Abwehr, die eingedrungenen Keime zu zerlegen und mithilfe der Bruchstücke die Bildung passender Antikörper anzuregen – um bei der nächsten Begegnung schneller reagieren zu können.

Der BCG-Impfstoff scheint nun aber auch die zuerst anspringende angeborene Abwehr mit einer Art Immungedächtnis auszustatten. Das den Impfstoff bildende abgeschwächte Bakterium löst in den Zellen der angeborenen Abwehr entsprechende epigenetische Veränderungen aus, also solche, die nicht die DNA selbst verändern, sondern das Muster der auf ihr sitzenden Molekülkappen. Diese Kappen bestimmen etwa, welche Gene abgelesen werden und welche nicht. Das veränderte epigenetische Muster scheint dafür zu sorgen, dass als Reaktion auf Erreger mehr Zytokine ausgeschüttet werden, die entzündungsfördernden Botenstoffe der Immunabwehr.

Zwei große, im Jahr 2020 gestarteten Phase-3-Studien sollten prüfen, wie gut der neue BCG-Impfstoff VPM1002 gegen COVID-19 wirkt. Das Vakzin wurde am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie entwickelt und ist eine gentechnische Weiterentwicklung des ursprünglichen BCG-Impfstoffs. Erste Ergebnisse sollen im Mai vorliegen. Die große Frage lautet dabei, ob der Impfstoff allein einen guten Schutz gegen COVID-19 bietet. Selbst wenn nicht, so hofft Robinson, dass BCG-Impfstoffe die Wirkung der bisherigen COVID-Impfstoffe zumindest verstärken könnten. Das würde er mit seinen Tiermodellen auch gerne überprüfen.

(vsz)