Kein Ende im Ringen um das Brandenburger Chipwerk

Kanzlerbesuch hin, umstrittene Finanzierung her: Ganz Brandenburg hofft auf das "Wunder an der Oder" durch den Bau der Chipfabrik in Frankfurt (Oder).

vorlesen Druckansicht 56 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sophia-Caroline Kosel
  • dpa

Ganz Brandenburg hofft auf das "Wunder an der Oder". Im äußersten Osten Deutschlands, vor den Toren von Frankfurt (Oder), soll schon in einem Jahr ein milliardenschweres hochmodernes Chipwerk stehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) legt am Mittwoch -- ein Jahr später als geplant -- den Grundstein. Das offizielle Signal lautet: Die Chipfabrik kann nichts mehr stoppen. Doch das seit Monaten dauernde Ringen um eines der größten Industrievorhaben in Ostdeutschland ist damit noch lange nicht vorbei: Die Finanzierung ist nur teilweise gesichert. Würde das Hightech-Projekt noch platzen, wäre das ein Desaster für Brandenburg, wo -- von CargoLifter bis Lausitzring -- ein Vorzeigeunternehmen nach dem anderen die Pleite meldet.

In der strukturschwachen Region im Osten Brandenburgs ist fast jeder Fünfte arbeitslos. Das Chipwerk soll einmal 1.500 Stellen bieten; noch einmal so viele könnten nach Schätzungen in seinem Umfeld entstehen. Nach Berechnungen des Chipfabrik-Betreibers Communicant würde die Arbeitslosigkeit in der Region damit um rund vier Prozentpunkte sinken. Sollte die Produktion wie geplant im Sommer 2003 starten, wäre Frankfurt wieder, was es schon zu DDR-Zeiten war: Hochburg der Mikroelektronik. 1959 fing die goldene Zeit für die Oderstadt an, als auf der grünen Wiese das Halbleiterwerk zum größten Mikroelektronik-Produzenten der DDR heranwuchs. Mehr als 8.000 Mitarbeiter verdienten 1989 dort ihr Geld.

Die Marktwirtschaft überlebte der Betrieb nicht. Ein Teil der Experten kam im Institut für Halbleiterphysik (IHP) unter, ein Vorzeigeprojekt der Region. Mit dem Patent für einen kleinen, schnellen und preiswerten Chip hat das Team die Grundlage für die neue Fabrik gelegt. Das IHP ist neben dem weltgrößten Chiphersteller Intel, dem Emirat Dubai und der Jenoptik AG an dem Projekt beteiligt. Während sich schon potenzielle Mitarbeiter der "Traumfabrik" in Spezialkursen auf den neuen Job vorbereiten, gerät jedoch die Finanzierung zur unendlichen Geschichte. Sie sollte eigentlich bis Ende 2001 stehen. Bislang ist aber nur das Eigenkapital in trockenen Tüchern. Immer wieder melden sich im Lande Skeptiker zu Wort. Sie sehen bei der Milliardeninvestition eine enorme Förderlast auf das Land zurollen. Landeshilfen für Großprojekte der Vergangenheit schlagen schon jetzt mit Millionen-Risiken zu Buche. Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) meldete deshalb beizeiten ihr Veto an und wollte laut Medienberichten bereits die Unterschriften zu dem Projekt stoppen.

Als Mitte 2001 Verluste der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft LEG von rund 250 Millionen Euro bekannt wurden, schwanden die Chancen für eine öffentliche Beteiligung an der Chipfabrik. Neben der stets vermuteten Kostensteigerung tauchten im Februar plötzlich Berichte über ein geringeres Investitionsvolumen auf. So sollten sich plötzlich die Maschinen zur Chipherstellung infolge der Terroranschläge vom 11. September stark verbilligt haben. Nun werden offiziell nur noch 1,2 Milliarden Euro benötigt. Brandenburgs große Koalition hat sich nach langem Hin und Her zu einer Beteiligung von 38 Millionen Euro durchringen können. Derzeit laufen die Verhandlungen über eine Bund-Länder-Bürgschaft für das Fremdkapital. Einzelheiten dazu sind den Beteiligten nicht zu entlocken -- sie berufen sich auf vereinbarte Vertraulichkeit in Finanzfragen.

Die Betreiber des Prestige-Objektes klagten jüngst in der ARD über bürokratische Hürden. Eine davon steht in Brüssel. Die EU-Wettbewerbskommission muss noch die staatlichen Hilfen genehmigen. Im Finanzierungskonzept für das Chipwerk sind rund 357 Millionen Euro aus staatlichen Fördertöpfen eingeplant. In Brüssel steht zudem die Umweltverträglichkeit des Projektes auf dem Prüfstand. Nach Auffassung der EU-Kommission verstößt der Bau des Werkes gegen europäisches Umweltrecht. Produziert werden sollen in dem Werk vor allem Chips für die Kommunikationsindustrie im SiGe:C-Verfahren (Silizium-Germanium-Kohlenstoff), das Motorola in Zusammenarbeit mit dem IHP entwickelt hat.

Zur Bedeutung des Chipwerks und zu seiner Finanzierung siehe auch:

(Sophia-Caroline Kosel, dpa) / (jk)