Kommentar: Warum autonome Autos für Verkehrsteilnehmer erkennbar sein sollten

Fährt vor mir ein Mensch oder ein Computer? Bislang ist das noch recht einfach zu unterscheiden. Künftig könnte das zum Problem werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 92 Kommentare lesen
Weißes Aito mit LIDAR-Aufbau in einer Kreuzung in San Francisco

Ein Cruise-Fahrzeug bei einer Testfahrt in San Francisco 2018

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jack Stilgoe
Inhaltsverzeichnis

Im April ging ein Video im Internet viral, das zeigte, wie ein Polizeibeamter aus San Francisco nachts ein Auto anhielt, das keine Scheinwerfer eingeschaltet hatte. Wie sich schnell herausstellte, war das kein gewöhnliches Auto: Als der Polizist sich dem Fahrzeug näherte, rief plötzlich jemand aus dem Off: "Da ist niemand drin!"

Denn das Auto, das von Cruise, einer Tochtergesellschaft von General Motors, betrieben wurde, war völlig leer. Und es wurde noch wilder: Gerade als sich der Polizist seinem Kollegen zuwendete, fuhr das Robotertaxi plötzlich ungefragt wieder los und überquerte eine Kreuzung, bevor es anhielt. Zwei Minuten lang zeigt das Video dann, wie die Polizeibeamten um das Auto herumgehen und herauszufinden versuchen, was sie nun bitteschön tun sollen.


Jack Stilgoe ist Professor für Wissenschafts- und Technikpolitik am University College London.


Die Verwirrung rund um das autonome Fahren und das autonome Auto, das scheinbar seinen ganz eigenen Willen hat, ist sicherlich amüsant – eine scheinbar alltägliche Begegnung mit etwas, das noch vor einem Jahrzehnt quasi magisch erschienen wäre. Doch mit der zunehmenden Verbreitung solcher Fahrzeuge dürfte die Frage, ob solche Fahrzeuge gekennzeichnet sein müssen oder nicht, dringlicher werden.

Denn schon bald wird es für selbstfahrende Autos ein Leichtes sein, sich in der Öffentlichkeit quasi zu verstecken. Die LIDAR-Sensoren auf den Dächern, mit denen viele von ihnen derzeit noch herumfahren und sich so verraten, werden wahrscheinlich kleiner werden. Mercedes-Fahrzeuge mit dem neuen, teilautomatisierten Drive-Pilot-System, hat die Sensorik hinter dem Kühlergrill. Sie sind schon jetzt mit bloßem Auge nicht mehr von normalen, von Menschen gesteuerten Fahrzeugen zu unterscheiden.

Doch ist das eine gute Sache? Im Rahmen unseres Projekts Driverless Futures am University College London haben meine Kollegen und ich kürzlich die größte und umfassendste Umfrage über die Einstellung normaler Menschen zu selbstfahrenden Fahrzeugen und den davon tangierten Verkehrsregeln durchgeführt. Eine der Fragen, die sich nach mehr als 50 ausführlichen Interviews mit Experten ergab, war die, ob autonome Fahrzeuge klar als solche erkennbar sein sollten. Der Konsens unserer Stichprobe unter 4.800 britischen Bürgern war eindeutig: 87 Prozent stimmten der Aussage zu, dass es für andere Verkehrsteilnehmer klar sein muss, wenn ein Fahrzeug selbst fährt (nur 4 Prozent stimmten dem nicht zu, der Rest war sich nicht sicher).

Wir haben die gleiche Umfrage an eine kleinere Gruppe von Experten geschickt. Sie waren erstaunlicherweise weniger überzeugt: 44 Prozent stimmten zu und 28 Prozent lehnten es ab, dass der Status eines Fahrzeugs deutlich sichtbar gemacht werden sollte. Natürlich ist die Frage nicht ganz einfach zu beantworten – für beide Seiten gibt es stichhaltige Argumente.

Man könnte argumentieren, dass Menschen grundsätzlich wissen sollten, wann sie mit Robotern interagieren. Das war das Argument, das 2017 in einem vom britischen Engineering and Physical Sciences Research Council in Auftrag gegebenen Bericht angeführt wurde. "Roboter sind Artefakte, die der Mensch herstellt", hieß es darin. "Sie sollten nicht in einer Weise konstruiert werden, die trügerisch ist und die Menschen quasi ausnutzt; stattdessen sollte ihre maschinelle Natur transparent sein."

Wenn selbstfahrende Autos auf öffentlichen Straßen real getestet werden, dann könnten andere Verkehrsteilnehmer als Versuchskaninchen betrachtet werden – und sollten so etwas wie ihre informierte Zustimmung geben können. Ein weiteres, praktisches Argument für die Kennzeichnung ist, dass es – wie bei einem Auto, das von einem Fahrschüler gesteuert wird – sicherer sein kann, einen großen Bogen um es zu machen, weil es eventuell anders fährt als ein von geübten Menschen gesteuertes Fahrzeug.

Genau in diesem Umstand liegt auch das Argument gegen eine Kennzeichnung versteckt. Man könnte es als Abkehr von der Verantwortung der tatsächlichen Erfinder interpretieren, da impliziert wird, dass Menschen ein selbstfahrendes Fahrzeug anders behandeln als normale. Es könnte argumentiert werden, dass eine Kennzeichnung ohne ein klares Verständnis für die Grenzen der Technik nur noch mehr Verwirrung auf den Straßen stiften würde, auf denen es ohnehin schon so viele Ablenkungen gibt.

Aus wissenschaftlicher Sicht hat die Kennzeichnung auch Auswirkungen auf die Datenerfassung. Wenn ein selbstfahrendes Auto das Fahren lernt und andere dies wissen und sich anders verhalten als sonst, könnte dies die gesammelten Daten verfälschen. So etwas schien eine Führungskraft von Volvo im Kopf zu haben, die 2016 einem Reporter sagte, dass das Unternehmen für seinen geplanten Selbstfahrversuch auf britischen Straßen "sicherheitshalber" nicht gekennzeichnete Fahrzeuge einsetzen werde. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass andere Verkehrsteilnehmer die Roboterautos vielleicht "herausfordern" könnten, etwa stark bremsen oder sich ihnen in den Weg stellen.

Alles in allem sind die Argumente für eine Kennzeichnung – zumindest derzeit – dennoch überzeugender. Bei dieser Debatte geht es um mehr als nur um selbstfahrende Autos. Sie berührt den Kern der Frage, wie neuartige Technologien reguliert werden sollten. Die Entwickler neuartiger Verfahren, die diese anfangs oft als bahnbrechend und weltverändernd darstellen, neigen dazu, sie als lediglich inkrementell und unproblematisch darzustellen, sobald die Regulierungsbehörden anklopfen. Doch neuartige Verfahren fügen sich nicht einfach in die Welt ein, wie sie ist. Sie formen die Welt neu. Wenn wir ihre Vorteile nutzen und gute Entscheidungen in Bezug auf ihre Risiken treffen wollen, müssen wir ehrlich sein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Um den Einsatz autonomer Autos besser zu verstehen und zu handhaben, müssen wir mit dem Mythos aufräumen, dass Computer genauso wie Menschen fahren – nur eben besser. Der Management-Professor Ajay Agrawal hat zum Beispiel argumentiert, dass selbstfahrende Autos im Grunde nur das tun, was Fahrerinnen und Fahrer tun, nur effizienter: "Bei Menschen kommen die Daten über die Sensoren – die Kameras in unserem Gesicht und die Mikrofone an den Seiten unseres Kopfes – herein, wir verarbeiten die Daten mit unseren Affengehirnen und führen dann passende Aktionen durch, und diese sind sehr begrenzt. Wir können links abbiegen, wir können rechts abbiegen, wir können bremsen, wir können beschleunigen."

Doch so bewegen sich Menschen nicht auf der Straße, und so funktionieren auch selbstfahrende Autos nicht. Der Mensch fährt in Kommunikation mit anderen. Wenn wir Auto fahren, wissen wir, dass die anderen Verkehrsteilnehmer keine passiven Objekte sind, denen man ausweichen muss, sondern aktive Akteurinnen und Akteure, mit denen wir interagieren und von denen wir hoffen, dass sie unser Verständnis der Straßenverkehrsregeln teilen.

Selbstfahrende Autos hingegen bewältigen die Straße auf eine völlig andere Art und Weise und sind in den meisten Fällen auf eine Kombination aus hochauflösenden digitalen Karten, GPS und Lidar-Sensoren angewiesen. Flugzeuge und Vögel können beide fliegen, aber es wäre eine schlechte Idee, ein Flugzeug so zu konstruieren, als wäre es nur ein besserer Vogel.

Die Ingenieure könnten argumentieren, dass es darauf ankommt, was ein Fahrzeug auf der Straße tut. Aber andere werden wissen wollen, wer oder was hier die Kontrolle hat. Dies ist besonders wichtig in Situationen wie Fußgängerüberwegen, die oft auf wechselseitige Kommunikation angewiesen sind. Ein Fußgänger kann Blickkontakt mit dem Fahrer aufnehmen, um sich zu vergewissern, dass er gesehen wurde. Ein Autofahrer kann einen Fußgänger beruhigen, indem er ihn herüberwinkt. Wenn es keine solchen Signale gibt, müssen solche Interaktionen möglicherweise umgestaltet werden. Ampeln könnten beispielsweise die Unsicherheit verringern – oder einem selbstfahrenden Auto muss genau mitgeteilt werden, wie lange es warten muss, bevor es weiterfährt. Und die Fußgänger müssen wissen, was diese neuen Regeln sind.

Bislang war es weitgehend den Autoherstellern überlassen, wie und ob sie zeigen wollen, dass sie autonom unterwegs sind oder nicht. Dieser Mangel an Standardisierung wird künftig weiter Verwirrung stiften und das öffentliche Vertrauen in die Technik gefährden.

Wenn wir über eine Straße gehen oder mit anderen Autofahrern durch eine enge Straße fahren, müssen wir wissen, womit wir es zu tun haben. Diese Interaktionen funktionieren, weil wir ein gemeinsames Verständnis von Erwartungen und gegenseitigen Verantwortlichkeiten haben. Klare, standardisierte Kennzeichnungen wären ein erster Schritt, um anzuerkennen, dass wir es auf der Straße mit etwas Neuem zu tun haben. Auch wenn die Technik noch in den Kinderschuhen steckt, sind Klarheit und Transparenz längst überfällig.

(bsc)