Wirtschaftsministerium will Telekommunikationsüberwachung ausweiten

Verbände laufen gegen die geplante Novelle des Telekommunikationsgesetzes Sturm, da sie eine Kostenlawine sowie das Aus für kleine Netzdienstleister und anonyme Internet-Angebote befürchten.

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Die Wirtschaft ist empört über einen neuen Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Novelle des seit Jahren umstrittenen Telekommunikationsgesetzes (TKG). Stein des Anstoßes ist vor allem die überarbeitete Fassung der berühmt-berüchtigten Überwachungsparagraphen 88 und 90, die von der Industrie und von Medienpolitikern seit langem kritisiert werden. Die neue Version, die heise online vorliegt, soll deutlich ausgeweitete Verpflichtungen bringen und bürdet Telekommunikationsanbietern pauschal die Übernahme aller Kosten für staatliche Überwachungsmaßnahmen auf.

Diese von der Wirtschaft heftig bekämpfte Klausel war in einem früheren Entwurfspapier zunächst gestrichen worden, taucht nun aber in alter Frische wieder in der aktuellen Textvorlage auf. Für Unternehmensvertretungen wie den Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) oder den Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) ist das Papier damit "nicht hinnehmbar". Es sei "nicht zu akzeptieren", heißt es in einer heise online vorliegenden Stellungnahme des VATM, "dass die Verpflichteten weiterhin annähernd entschädigungslos mit den hohen Kosten für die Sicherstellung von Überwachungsmaßnahmen belastet werden." Stattdessen fordert der Verbund der Telekom-Konkurrenz eine angemessene Erstattung "nach Aufwand".

Auch eco verlangt "endlich" eine Entschärfung des Wanzengesetzes. Dies erscheine insbesondere im Hinblick auf eine weitere Steigerung der Überwachungstätigkeit geboten, die durch die Pläne einiger Länder zur Schaffung neuer Rechtsgrundlagen für Lauschmöglichkeiten in ihren Polizeigesetzen zu erwarten sei. Die gegenwärtige Gesetzeslage und der neue TKG-Vorstoß mit seinen "auf der grünen Wiese" geplanten Pauschalverpflichtungen begünstige den Aufbau eines überdimensionierten und aufgeblähten Überwachungsapparates, der am Bedarf von Polizei und Geheimdiensten gerade im Internet-Bereich völlig vorbei schieße. "Eine an den tatsächlichen Kosten orientierte Entschädigung" der Wirtschaft würde dagegen die "verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Telekommunikationsüberwachung auf ein tatsächlich notwendiges Maß nachhaltig fördern", schreibt der Provider-Verband in seiner Stellungnahme. Datenschützer kritisieren immer wieder, dass die Jahr für Jahr drastisch ansteigenden Lauschmaßnahmen längst am Geist des Grundgesetzes rütteln.

Für einen gefährlichen Missgriff hält eco ferner die deutliche Ausweitung des Kreises der Unternehmen, die zum Vorhalten der teuren Überwachungstechnik verpflichtet werden sollen. War in Paragraph 88 bisher "nur" von Betreibern von "Telekommunikationsanlagen" die Rede, so werden nun alle "Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen" darunter gefasst. Von dieser Ausdehnung würden "auch Reseller und Access-Provider, die keine Carrier-Dienste auf Basis einer eigenen Infrastruktur anbieten, erfasst -- und zwar sowohl für die organisatorische als auch die technische Umsetzung", beklagt eco. Vor allem kleine Netzanbieter und die von ihnen häufig angebotenen Call-by-Call-Angebote könnten damit vor dem Aus stehen. Aber auch auf Netzgrößen wie AOL Deutschland käme eine Kostenlawine zu. Der im Rahmen der langen und heißen Diskussion um die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) von der Wirtschaft zähneknirschend angenommene Kompromiss zum Lauschangriff auf die Surfer würde mit der Neufassung wieder ad acta gelegt.

Auf heftigen Protest stößt schließlich die mit Paragraph 90 drohende Klausel, nach der Telekommunikationsanbieter vor der Erbringung einer Dienstleistung "Rufnummern, den Namen und die Anschrift des Rufnummerninhabers, bei einer natürlichen Person auch deren Geburtsdatum sowie den Vertragsbeginn, bei Festnetzanschlüssen außerdem den Ort des Anschlusses zu erheben und zu speichern" haben. Diese Pflicht zur Führung umfangreicher Kundendateien könnte gravierende Konsequenzen haben: Anonyme Dienste, etwa beim Internet-by-Call oder beim Online-Shopping, wären damit -- im Widerspruch zu einer anders lautenden Bestimmung im Teledienstedatenschutzgesetz -- nicht mehr möglich, fürchtet eco. Auch der Betrieb von Internet-Cafés oder von WLANs zur öffentlichen Nutzung über Hot-Spots in Flughäfen, Bahnhöfen oder Hotels sei gefährdet.

Der VATM warnt in Zusammenhang mit Paragraph 90 ferner vor der Einführung einer Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung. Die geplante Änderung verstoße damit gegen eine Reihe der im "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten datenschutzrechtlichen Grundsätze. (Stefan Krempl) / (jk)