China will alle Kommentare auf Social Media vorab prüfen

Pekings Zensurmaschine schaltet einen Gang hoch: Neue geplante Regeln sollen die Netzplattformen noch genauer kontrollieren – und sie müssen dafür zahlen.

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Zwei beliebte chinesische soziale Netzwerke, die in ihrer Heimat allerdings anders heißen.

(Bild: Boumen Japet / shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Zeyi Yang
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Am 17. Juni hat die chinesische Internet-Behörde Cyberspace Administration of China (CAC) einen Entwurf neuer Regelungen veröffentlicht, der Wellen geschlagen hat. Darin geht es um Verantwortlichkeiten von Plattformen und Content-Ersteller für die Inhalte von Kommentaren.

Eine Zeile sticht dabei besonders hervor: Alle Online-Kommentare müssen künftig vor ihrer Veröffentlichung überprüft werden. Nutzer und Beobachter sind besorgt, dass dieser Schritt dazu genutzt werden könnte, die Meinungsfreiheit in China noch weiter einzuschränken.

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Die Änderungen betreffen die "Provisions on the Management of Internet Post Comments Services", eine Verordnung, die erstmals 2017 in Kraft getreten ist. Fünf Jahre später will die Cyberspace Administration sie "auf den neuesten Stand" bringen.

"Die vorgeschlagenen Überarbeitungen aktualisieren in erster Linie die aktuelle Version der Kommentarregeln, um sie mit der Sprache und den Richtlinien anderer Behörden in Einklang zu bringen", sagt Jeremy Daum, Senior Fellow am Paul Tsai China Center der Yale Law School. Dazu gehörten neue Gesetze zum Schutz persönlicher Informationen, zur Datensicherheit und zu allgemeinen Content-Vorschriften.

Die Bestimmungen gelten für viele Arten von Kommentaren, darunter Forenbeiträge, Antworten auf Posts, Nachrichten in öffentlichen Messageboards sowie "Bullet Chats" – eine Methode, die Videoplattformen in China nutzen, um Kommentare in Echtzeit über einem Video anzuzeigen. Alle Formate – einschließlich Text, verwendete Symbole, GIFs, Bilder, Audio und Videos – fallen unter die Verordnung.

Für die Regierung bestehe Bedarf an einer eigenständigen Regelung für Kommentare, da diese aufgrund ihrer großen Anzahl nicht so streng zensiert werden können wie andere Inhalte wie etwa Artikel oder Videos, sagt Eric Liu, der selbst als Zensor für Weibo gearbeitet hat und jetzt bei "China Digital Times" über die chinesische Zensur forscht. "Jeder in der chinesischen Zensurbranche weiß, dass sich bislang niemand um die Antworten und Bullet Chats kümmert. Sie werden achtlos und mit minimalem Aufwand moderiert."

In letzter Zeit gab es jedoch mehrere für Peking unangenehme Fälle, in denen Kommentare auf Weibo-Konten der Regierung Abtrünniges verlautbarten, auf Lügen der Regierung hinwiesen oder die offizielle Darstellung ablehnten. Dies könnte der Grund für die von der Internet-Behörde vorgeschlagene Aktualisierung sein.

Chinesische soziale Plattformen stehen derzeit an vorderster Front der Zensurarbeit und entfernen oft aktiv Beiträge, bevor die Regierung und andere Nutzer sie überhaupt sehen können. TikTok-Mutter ByteDance ist dafür bekannt, dass es Tausende von Inhalteprüfern beschäftigt, die die meisten Mitarbeiter des Unternehmens ausmachen. Andere Firmen lagern diese Aufgabe an Zensurfirmen aus, darunter eine Firma, die Chinas Parteisprachrohr "People's Daily" gehört. Die Plattformen werden bestraft, wenn sie etwas durchgehen lassen.

Peking feilt ständig an seiner Kontrolle der sozialen Medien, stopft Schlupflöcher und führt neue Beschränkungen ein. Doch die Unbestimmtheit der jüngsten Änderungen lässt befürchten, dass die Regierung praktische Herausforderungen ignoriert. Wenn beispielsweise die neue Vorschrift, die eine Überprüfung vor der Veröffentlichung vorschreibt, strikt durchgesetzt werden soll – was das Lesen von Milliarden öffentlicher Nachrichten erfordert, die von chinesischen Nutzern jeden Tag gepostet werden –, dürften die Plattformen gezwungen sein, die Zahl der Mitarbeiter, die sie für die Zensur einsetzen, drastisch zu erhöhen. Die heikle Frage ist, dass bislang niemand weiß, ob die Regierung die Absicht hat, dies wirklich sofort durchzusetzen.

Eine spezifische Änderung in Bezug auf eine Zensurpraxis, die einige chinesische Social-Media-Plattformen anwenden, um Inhalte zu überprüfen, bevor sie überhaupt veröffentlicht werden, hat die Aufmerksamkeit der Menschen besonders auf sich gezogen. Auf Weibo, dem beliebten Twitter-ähnlichen Dienst, werden solche strengeren Kontrollmaßnahmen derzeit nur auf Konten angewandt, die schon einmal gegen die Zensurregeln verstoßen haben – oder wenn es eine hitzige Diskussion über ein sensibles Thema gibt. Die Version der Regelung von 2017 beschränkte solche Maßnahmen auf "Kommentare unter Nachrichteninformationen", so dass sie nicht universell angewendet werden mussten. Das "Update" hebt diese Einschränkung jedoch auf.

In den sozialen Medien sind einige chinesische Nutzer nun besorgt, dass dies bedeutet, dass die Praxis auf jeden einzelnen Online-Kommentar ausgeweitet werden kann. Unter einem Weibo-Beitrag über die Änderung lautet der beliebteste Kommentar: "Ist diese Einschränkung notwendig? Wenn es nur eine Garantie gäbe, dass sie nicht missbraucht wird."

Das wäre eine extreme Auslegung der vorgeschlagenen Änderung, sagt Liu, denn die Zensur jedes Kommentars würde den Social-Media-Plattformen astronomische Kosten verursachen. Es ist unwahrscheinlich, dass Peking so weit gehen wird, eine pauschale Zensur vor der Veröffentlichung durchzusetzen. Aber Ex-Zensor Liu sagt, dass die Überarbeitungen eher darauf abzielen, die Plattformen zu zwingen, mehr Verantwortung bei der Moderation des Kommentarbereichs zu übernehmen, der traditionell ignoriert wurde.

Wenn ein Zensursystem vor der Veröffentlichung besteht, kann das darüber entscheiden, wo soziale Online-Proteste ausbrechen. Im April ging ein Video über die Abriegelung der Stadt Shanghai auf den WeChat-Kanälen viral, nicht aber auf Douyin, der chinesischen Version von TikTok – zum Teil deshalb, weil die letztgenannte Plattform jedes Video vor der Veröffentlichung prüft, während dies bei Douyin damals nicht der Fall war.

Die Regulierungsbehörde bittet nun bis zum 1. Juli 2022 um öffentliche Stellungnahmen zu den vorgeschlagenen Änderungen, die möglicherweise erst in einigen Monaten in Kraft treten werden. Im Moment sind die Diskussionen darüber, wie streng sie durchgesetzt werden, nur spekulativ. Aber es ist klar, dass China die Schlupflöcher in der "Großen Firewall" sieht und seine Vorschriften aktualisiert, um sie zu schließen. Die jüngsten Änderungen sind "unverkennbar Teil von Chinas kontinuierlicher Ausweitung der Inhaltsvorschriften über die Mainstream-Medien hinaus, um nun auch Nutzerinhalte zu erfassen, die durch Kommentare und andere interaktive Funktionen generiert werden", so Yale-Forscher Daum.

Mit den Änderungen wird auch der Kreis derer erweitert, die Online-Kommentare zensieren können. Die CAC fordert nun, dass die Plattformen die Befugnis zur Zensur von Kommentaren mit den Urhebern von Inhalten teilen – im chinesischen Internetjargon "Betreiber öffentlicher Konten". Gegenwärtig sind regierungsnahe Konten auf Websites wie Weibo bereits dazu ermächtigt. Wenn diese Änderung zum Gesetz wird, werden auch die Ersteller von Inhalten und nicht nur die Plattformen Teil der Zensurmaschine und sind dafür verantwortlich, "illegale oder negative" Inhalte zu identifizieren und zu melden.

"Obwohl Chinas Internet eines der am stärksten zensierten der Welt ist, gibt es immer noch einen gewissen Spielraum für die Diskussion sensibler Themen. Die Menschen können ein geschicktes Katz-und-Maus-Spiel mit den Zensoren spielen und kreative Anpassungen vornehmen, sobald Beiträge zensiert werden", sagt William Nee, Koordinator für Forschung und Advocacy bei den Chinese Human Rights Defenders.

"Das neue System könnte dies jedoch nahezu unmöglich machen und den ohnehin schon begrenzten Raum für die freie Meinungsäußerung zu sensiblen Themen noch weiter einengen." Ob es wirklich zur Eskalation kommt, werden die nächsten Monate zeigen.

(jle)