Depressionen: Studie soll grundlegende Theorie zur Gehirnchemie widerlegen

Eine Forschergruppe am University College London glaubt, dass eine grundlegende Theorie zur Gehirnchemie von Depressionen falsch ist. Das sorgt für Debatten.

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(Bild: Tinnakorn jorruang / Shutterstock.com)

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Depressive Erkrankungen unterschiedlicher Art werden seit Jahren mit sogenannten Serotoninwiederaufnahmehemmern behandelt. Diese auch als SRIs bekannten Wirkstoffe sollen als Antidepressiva im Gehirn wirken und einen zu schnellen Abtransport des Neurotransmitters Serotonin blockieren – oder zumindest reduzieren. Dessen Niveau gilt bei Betroffenen als gestört. Denn eine höhere Konzentration von Serotonin kann die Stimmung aufhellen, so die Vorstellung – oder umgekehrt: zu wenig Serotonin erzeugt Depressionen.

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Allerdings ist die Serotonin-These bislang nie abschließend chemisch belegt worden. Man weiß nur, dass SRIs bei depressiven Menschen anzuschlagen scheinen – und gibt sie in Verbindung mit einer Psychotherapie regulär. Eine Studie, die im Sommer in Molecular Psychiatry erschienen ist, bricht nun eine Lanze dafür, dass wir offenbar deutlich weniger wissen, als bislang angenommen – und ein zu geringes Serotonin-Niveau im Gehirn eben nicht unbedingt Depressionen auslöst. Das Umbrella-Review – es deckt sowohl Meta- als auch systemische Analysen ab – der Gruppe am University College London (UCL) kommt gar zu dem Schluss, dass es "keinen Beleg" für die Serotonin-These gibt.

Es sei zwar "immer schwer, ein Negativum zu belegen", so die leitende Autorin Joanna Moncrieff, Professorin für Psychiatrie. "Doch wir glauben nach Blick auf die zahlreichen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte mit Sicherheit sagen zu können, dass es keine überzeugenden Beweise dafür gibt, dass Depressionen durch Auffälligkeiten im Bereich des Serotonins ausgelöst werden." Vielen Menschen würden Antidepressiva verschrieben, weil man ihnen sage, dass es sich bei Depressionen um einen biochemischen Auslöser handele. Dafür fehlten aber tatsächlich die Belege, so Moncrieff. So sei noch immer nicht nachgewiesen, dass es Unterscheide im Serotonin-Niveau von Gesunden und Depressiven gebe, wenn man die Metabolite in Blut oder Gehirnflüssigkeit misst.

Auch die Forschung an den für den Neurotransmitter zuständigen Rezeptoren und an den Proteinen, die für den Serotonin-Transport verantwortlich sind, hat laut Moncrieff & Co. bislang nur "schwache und inkonsistente" Belege gefunden, dass es zu besonderen Serotonin-Aktivitäten bei depressiven Menschen kommt. Schlimmer noch: Werden solche Zusammenhänge entdeckt, könnten diese wiederum durch Gabe von Antidepressiva selbst begründet sein.

Dann gibt es da noch Studien, bei denen versucht wurde, das Serotonin-Niveau gesunder Menschen zu reduzieren, indem ihnen die für die Serotonin-Erzeugung notwendige Aminosäure aus der Nahrung gestrichen wurde. Ein neuerlicher Blick auf diese Studien durch Moncrieff und ihr Team ergab, dass es nicht zu depressiven Störungen "bei Hunderten von Probanden" kam. Es existiere nur ein sehr schwacher Zusammenhang in einer Subgruppe von Menschen, bei denen Depressionen in der Familie häufiger vorkommen. Die Studie hatte 75 Teilnehmer, neuere Untersuchungen sind sich hingegen unschlüssig.

(bsc)