Nio, der neue Global Player: Rote Zahlen, gute Autos

Nio gilt als Chinas Tesla, nicht zuletzt, weil die Marke lange Jahre lang nur rote Zahlen schreibt. Doch viele Investoren wetten viel Geld auf die Zukunft.

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Nio ES8

Wann Kunden den ES8 in Deutschland kaufen können – und wie er dann heißen wird – ist noch offen.

(Bild: Nio)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Folge zwei einer zehnteiligen Serie, mit der heise/Autos auf den chinesischen Automarkt blickt. Dort laufen sich – teils kräftig unterstützt von der sogenannten Kommunistischen Partei – gerade chinesische Elektroautoproduzenten warm, um demnächst mit viel Schwung und einem bunten Strauß modernster Autos den heimischen und die internationalen Märkte aufzurollen. Das dürfte nicht ohne Folgen für die deutschen Autoproduzenten bleiben, deren größter weltweiter Einzelmarkt seit einigen Jahren China ist.

Das wird einerseits absehbar das Bild auf deutschen und europäischen Straßen verändern, aber auch Auswirkungen für die deutschen Produzenten und ihren Absatz in China, dem weltweit größten Einzelmarkt, haben.

Wenn in China von Elektroautomarken gesprochen wird, sind damit meistens Nio, Xpeng oder Li Auto gemeint. Die drei liefern sich ein Duell, das am besten mit dem ewigen Premium-Match zwischen Audi, BMW und Mercedes vergleichbar ist. Ein Wettkampf ohne Verlierer, die Beteiligten sehen sich als Goldstandard in ihrem Segment an und es schwingt sehr viel Nationalstolz mit. Experten und Investoren räumen langfristig gesehen Nio die größten Chancen ein, zu einem globalen Wettbewerber zu werden.

Gründer und CEO der Marke ist William Li. Er wird 1974 als Sohn eines Milchbauern geboren. Eher weniger am Familienbetrieb interessiert, gründet er im Jahr 2000 die Plattform Bitauto. Auf der Seite können Firmen und Selbstständige der aufstrebenden chinesischen Automobilindustrie ihre Dienstleistungen präsentieren. Dazu kommen Marktnews sowie Daten und Informationen aller Art. 2010 geht das Portal an die Börse, 2013 verkauft William Li das Unternehmen. Jetzt liefert die Seite Daten zu Neu- und Gebrauchtwagen und ist mit etwa einer Milliarde Dollar bewertet.

Das Geld und investiert Li in insgesamt vierzig Unternehmen, schafft sich ein riesiges und wohlhabendes Netzwerk. Darüber sammelt er 2014 insgesamt 2,8 Milliarden Dollar ein und gründet Nio. Zwei Jahre später präsentiert er den Sportwagen EP9, der vor allem dazu dient, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Jeder Investor darf sich für 1,5 Millionen Dollar ein Exemplar sichern.

Gewinn hat das Unternehmen seitdem nicht erwirtschaftet. Wie Tesla in weiten Teilen seiner Firmengeschichte steckt auch Nio tief in den roten Zahlen fest. 2020 kann der Konkurs nur durch einen staatlichen Kredit der Stadt Hefei im Südosten der Volksrepublik gesichert werden. Im Gegenzug verpflichtete sich Nio, dort eine Fabrik samt Forschungszentrum zu errichten.

Allein im dritten Quartal 2022 musste das Unternehmen einen operativen Verlust von rund 500 Millionen Dollar ausweisen (oder 0,36 Cent pro Aktie). Analysten glauben dennoch an die Marke. Denn der Umsatz stieg im Vergleich zum dritten Quartal 2021 um 32,6 Prozent. Dank insgesamt 31.607 ausgelieferten Autos. Im vierten Quartal 2022 sollen es zwischen 43.000 und 48.000 Stück werden.

Der Glaube an die Marke basiert zum einen auf den prominenten Geldgebern hinter der Marke. Mit Tencent, Baidu und Lenovo sind drei der größten IT- und Hightech-Firmen des Landes beteiligt. Zum anderen ist es die Technik. In der Volksrepublik betreibt Nio einige hundert Akkutausch-Stationen. Die Fahrzeuge bewegen sich automatisiert auf eine Hebebühne, der leere Akku wird herausgezogen, ein voller hineingesteckt. Das alles innerhalb von drei Minuten. Zwar ist das Unternehmen Better Place mit genauso einer Technik in Israel grandios gescheitert, doch in China erfreut sich das System größter Beliebtheit.

Wie beinahe alles, was Nio anbietet. So zum Beispiel eine eigene Social-Media-Plattform. Sie dient der Kundenbindung. Sind die User hier aktiv, sammeln sie Treuepunkte. Beispielsweise durch den Besuch bestimmter Events, die Nio sponsert, das Teilen eines Fotos oder den Kauf von Produkten. Auf der Nio-Plattform kann von Lebensmitteln über Fernseher bis Kleidung fast alles gekauft werden. Einen Teil des Kaufpreises bekommt der Autohersteller ab. Dazu kommen Entertainment-Angebote für das Auto.

Der Nio ET7 ist bereits in Deutschland zu haben.

(Bild: Nio)

Die schlechten Quartalszahlen hindern Nio auch nicht daran, die Globalisierung voranzutreiben. Inmitten des Silicon Valley, in San Jose, unterhält die Marke ein Forschungs- und Entwicklungszentrum, in München sitzt das weltweite Designzentrum und im britischen Oxford das Zentrum für "advanced engineering". Dabei geht es um die Weiterentwicklung neuer Technologien, die noch im Frühstadium sind. Dazu kommt das Tochterunternehmen XPT, das Akkus und Elektromotoren entwickelt – allerdings nicht Nio-exklusiv, sondern auch für externe Kunden.

Seit Oktober 2022 sind die ersten Nio-Modelle auch in Deutschland zu haben. Die Chinesen lassen keine Zweifel daran, welchen Marken sie Kunden abwerben wollen: Audi, BMW, Mercedes. Die Qualität dazu haben die Modelle. Das macht die Konkurrenz nervös. Nio hat zwei SUV im Angebot – ES6 und ES8. Weil Audi mit dem S6 und dem S8 zwei ähnlich klingende Fahrzeuge im Angebot hat, verklagten das Unternehmen den neuen Konkurrenten, um seine Markenrechte zu schützen. Der Streitwert beläuft sich auf 150.000 Euro. Viel wichtiger aber dürfte sein, dass Nio sich vielleicht einen neuen Namen wird ausdenken müssen. Audis Vorgehen kommt nicht überall in der Branche gut an. Zumal die Gefahr einer Verwechslung der Fahrzeuge schlicht nicht gegeben ist.

(fpi)