Elektromobilität: Es geht voran bei der Elektrifizierung des Verkehrs in den USA

Die Vereinigten Staaten finden langsam Geschmack an der Elektromobilität, die Ladeparks sind häufig voll. Doch die Ladeinfrastruktur der USA wächst anhaltend.

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Eines der größten unabhängige Ladenetze in den USA bietet Electrify America an. Derzeit sind es über 3400 Schnelllader an knapp 800 Stationen.

(Bild: Grundhoff)

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Von
  • Stefan Grundhoff
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Über Meldungen, wonach es vor Ladesäulen amerikanischer Einkaufszentren am Wochenende zu Warteschlangen und tumultartigen Zuständen kommt, staunten viele nicht schlecht. Unser USA-Klischee ist eben noch stark von Benzin saufenden Autos geprägt. Wer jedoch durch den Großraum Los Angeles oder die San Francisco Bay Area fährt, fällt mit einem Verbrenner beinahe schon unangenehm auf. Die Zahl der Teslas ist gewaltig, es gibt noch zahlreiche BMW i3, immer mehr Audi E-Tron oder Porsche Taycan (Test) gleiten über die Straßen und Newcomer wie Kia EV6 (Test) oder VW ID.4 (Test) sind immer häufiger im Straßenverkehr zu sehen. Doch ist das wirklich ein reales Bild der USA oder laufen die Elektromobile allein im grünen Vorzeige-Bundesstaat Kalifornien prächtig?

Fraglos befindet sich Kalifornien in der Vorreiterrolle sowohl bei der Zahl der Elektroautos als auch beim Ausbau der Ladeparks. Amerikaner laden ihre Elektroautos in erster Linie in der heimischen Garage, doch vor allem in den Speckgürteln der großen Städte sieht man immer häufiger Hinweisschilder auf Ladeparks. Waren diese einst exklusiv von Tesla für Tesla-Fahrer, so holen gerade die beiden großen Betreiber "EV Go" und "Electrify America" mächtig auf. Viele Amerikaner nutzen die Ladesäulen dabei an den großen Einkaufszentren, doch auch immer mehr Banken, Coffee-Shops oder Parkhäuser bieten eine Reihe von Ladesäulen an.

"Ich lade hier in der Region immer wieder, wenn ich auf der Durchreise bin", sagt der 59-jährige Paul und nimmt einen kurzen Schluck aus seinem Kaffeebecher, "Ich komme aus San Luis Obispo und bin auf dem Weg nach Los Angeles. Hier in Santa Barbara passt es prächtig nachzuladen." Erst vor wenigen Wochen hat Paul seinen Lexus RX gegen einen Mercedes EQS SUV (Test) eingetauscht und ist mächtig angetan. Die Ladesäule, an der sein Luxus-SUV hängt, zeigt gerade eine Ladeleistung mit 153 kW an. "Ich habe mich auch für ein Tesla Model X (Test) interessiert, aber hier gab es keine Testfahrten und der Innenraum war meiner Frau eh zu billig." Jetzt macht Paul einen kurzen 15-Minuten-Zwischenstopp und gleitet weiter Richtung Los Angeles.

Elektroauto laden und fahren in USA (4 Bilder)

Laden für 49 US-ct die Kilowattstunde ist eher auf der teuren Seite in den USA ...
(Bild: Stefan Grundhoff)

In einer Stadt wie Santa Barbara gibt es nicht derart viele Schnelllader wie in San Diego weiter im Süden, der Bay Area oder eben in Los Angeles, doch ihre Zahl reicht aus und das Ladetempo stimmt. Hier kann man bei Electrify America mit bis zu 300 kW nachtanken. Da genügen 15 Minuten je nach Auto für bis zu 150 Meilen mehr Reichweite.

Außerhalb von Kalifornien sieht das Ganze oftmals schwieriger aus. Am einfachsten kann man noch in den Küstenregionen wie New York, Boston, Miami, Fort Lauderdale nachladen und auch in den Bundesstaaten wie Texas, Nevada, Georgia oder Michigan wird das Schnellladenetz mit Hochdruck ausgebaut. Am besten ist das Ladenetz auf den Fernstrecken an Interstates und Highways noch bei Tesla, wo die einzelnen Modelle 3, S, Y oder X an hell erleuchteten Superchargern Kraft für die nächsten hunderte Meilen bekommen.

Eines der größten unabhängigen Ladenetze in den USA bietet "Electrify America" an. Derzeit bieten sie in den USA über 3400 Schnelllader an knapp 800 Stationen an. Dabei sind die Konditionen oft günstiger als in Europa und besonders in Deutschland. Besonders in den Morgenstunden lassen sich Elektrofahrzeuge an vielen 150-kW- oder 300-kW-Hyperchargern mit einem günstigen Preis von rund 0,30 Dollar pro kWh nachtanken.

Selbst tagsüber berechnen viele Hypercharger gerade einmal 0,35, 0,39 oder 0,43 Dollar pro Kilowattstunde Strom, während in Europa eine ähnliche Strommenge 0,60 bis 0,80 Euro kostet. Gezahlt werden kann wie bei uns per App oder Ladekarte. Dann wird es bisweilen sogar noch günstiger, denn einige Hersteller verkaufen ihre Elektroautos gleich inklusive Ladestrom für ein bis zwei Jahre. An der Schnellladesäule wird über Apple Pay, Google Pay oder einfach Kreditkarte gezahlt.

Dabei richten sich die Preise an den einzelnen Ladestationen nicht nur nach der Tageszeit oder ob ein Vertrag existiert oder nicht, denn auch einzelne Bundesstaaten haben untereinander bisweilen mächtige Unterschiede. Kostet eine Kilowattstunde in Staaten wie New York, Florida oder Kalifornien ohne Vertrag bei Electrify America beispielsweise tagsüber 0,43 Dollar, wird in einzelnen Staaten allein pro Minute abgerechnet. Bis zu einer Geschwindigkeit von 90 kW sind es 0,16 Dollar pro Minute – bis 350 kW dann 0,32 Dollar pro kleinster Zeiteinheit. Für die Spartarife ist lediglich eine Grundgebühr von vier Dollar pro Monat zu entrichten, die sich mit zweimal nachladen auszahlt.

Der Anbieter "EV Go" verkündet stolz, dass rund 140 Millionen Amerikaner in einer Reichweite von zehn Meilen zu einem EV-Go-Lader wohnen. Insgesamt bietet "EV Go" 850 Schnellladestationen in 60 Metropolregionen. Die Preise pro Kilowattstunde liegen mit 0,22 bis 0,34 Dollar ebenfalls deutlich unter den europäischen Konditionen. Besonders praktisch: einzelne Ladestationen lassen sich online reservieren, sodass diese nicht von anderen Elektroautonutzern belegt sind, wenn man eintrifft.

In den Flächenstaaten, gerade im mittleren Westen, sieht es dagegen deutlich schwieriger aus. Wer beispielsweise auf der Route 66 unterwegs ist oder die USA auf dem Lincoln Highway von San Francisco nach New York mit einer Strecke von mehr als 5000 Kilometern per E-Fahrzeug durchqueren will, der sollte sich vorher Gedanken über seine Zwischenstopps machen. Selbst auf den klassischen Touristenrouten ist es mit einem Elektroauto mitunter schwierig. Das liegt nicht nur an der überschaubaren Anzahl von Ladern an sich, sondern speziell an den fehlenden Schnellladern, denn wenn eine Ladesäule in der Nähe von Bankgebäude oder Café zum Verweilen einlädt, dann ist das Tempo mit sieben oder maximal 22 kW oft überschaubar. Dann wird es ein längerer Shopping-Stopp oder man übernachtet gleich vor Ort.

(fpi)