Osterweiterung: Chinesische Motorräder auf der Eicma 2022

Immer mehr Motorradhersteller aus China drängen nach Europa. Sie wollen sich nicht mehr mit kleinen Hubraumklassen begnügen. Die Qualität ihrer Produkte wächst.

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Benelli TRK 702 X

Benelli TRK 702 X: Ihr Reihenzweizylindermotor erinnert sehr an den 650er-Twin von Kawasaki, hat jedoch 698 cm3 und leistet 76 PS.

(Bild: Benelli)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Auf der Eicma 2022 glänzten einige europäische Hersteller durch Abwesenheit, während auffallend viele chinesische Marken ihre Neuheiten und Prototypen präsentierten. China ist der weltgrößte Motorradmarkt mit etwa 200 lokalen Herstellern. In den letzten zwei Jahrzehnten kam es ständig zu Neugründungen und Insolvenzen von Marken, doch inzwischen sind einige Produzenten selbst zu Global Playern geworden.

2020 exportierte China Krafträder und -roller im Wert von 6,86 Milliarden Euro und ist mit 25,9 Prozent der größte Motorradexporteur der Welt. In Europa sind die meisten chinesischen Marken bislang allerdings noch weitestgehend unbekannt. Das soll sich nach dem Willen der Chinesen nun ändern, in Mailand präsentierten sich unter anderem CF Moto, Voge, Qianjiang, Shineray, Zhongneng und – ganz neu – Kove.

Die chinesischen Unternehmen wissen, dass ihre Namen für Europäer teilweise schwierig auszusprechen sind und auch, dass so mancher im Abendland Vorurteile gegen chinesische Marken hegt. Noch vor zehn Jahren galten Motorräder aus China bei uns – zurecht – als qualitativ minderwertig bis schlicht gefährlich. Das hat sich grundlegend geändert, die chinesischen Entwickler haben schnell gelernt, teilweise durch Kopieren japanischer und europäischer Motorräder, teilweise haben sie das Know-how eingekauft oder sind Joint-Ventures mit etablierten Marken eingegangen. Heute bieten viele chinesische Modelle Qualität auf international konkurrenzfähigem Niveau.

Als kluger Schachzug erwies sich, Namen insolventer europäischer Hersteller zu kaufen. So verstecken sich einige chinesische Unternehmen hinter einem italienischen Gewand: Moto Morini gehört zu Zhongneng, Benelli zu Qianjiang und SWM zu Shineray. Natürlich greift der Europäer oder Amerikaner lieber zu einer legendären Marke, selbst wenn er weiß, dass sie inzwischen in chinesischem Besitz ist.

Chinesische Marken kommen nach Europa (8 Bilder)

Die Kove 800 X Super Adventure aus China nimmt Anleihen bei der Honda Africa Twin und Yamaha Ténéré, soll aber angeblich nur 183 kg mit vollem Tank wiegen.

Die neuen Eigentümer sind clever genug, ihre Modelle dem europäischen Geschmack anzupassen. So blieben die Design-Center von Benelli in Pesaro und Moto Morini in Trivolzio, denn wenn die Italiener eines können, dann ist es Design. Die Benellis werden aber komplett in China produziert, während Moto Morinis teilweise in Italien gefertigt werden mit angelieferten Teilen aus Fernost. Ähnlich verhält es sich mit SWM in Varese, die ihre Motoren und diverse andere Komponenten aus China beziehen.

Bislang tummelten sich chinesische Motorräder bei uns nur in den kleinen Hubraumklassen, allein schon, weil in Asien Krafträder mit 250 cm3 bereits zu den Big Bikes zählen. Doch die ständig wachsende Mittelschicht in China verlangt nach größeren Motorrädern und so wachsen dort auch die Hubräume. Davon profitiert zum Beispiel Kove: Die erst 2017 gegründete Marke ist heute nach eigener Angabe in den Klassen über 300 cm3 bereits Marktführer. Auf der Eicma trat die junge Firma mit einer überraschend großen Modellpalette an.

Gründer und CEO Zang Xue ist gelernter Mechaniker und fuhr früher selber Motocross-Rennen. Er hat damals mit dem Kredit von rund 600.000 Euro eines Investors angefangen, Motorräder zu entwickeln. Dieses Jahr peilt Kove an, zwischen 30.000 und 35.000 Motorräder zu verkaufen. Ihre Modellvielfalt ist bemerkenswert, so ist vom Naked Bike über ein vollverkleidetes Sportmotorrad, Reiseenduro, Motocrosser, Supermoto bis Retro-Bike alles vorhanden. Allerdings ist Kove noch weit von den größten Herstellern in China entfernt: Marktführer Haojue baute 2019 rund 1,9 Millionen Motorräder. Yadea kam sogar auf 6,1 Millionen, allerdings ausschließlich Elektroroller.

Zang Xue gibt offen zu, dass sich Kove "Inspirationen" von anderen Marken geholt habe, man "muss von den Besten lernen", wie er es ausdrückte. Das größte Motorrad, das Kove frisch zur Eicma präsentiert, ist die 800 X Super Adventure deren Frontmaske sehr der Honda Africa Twin ähnelt, während der Rest deutliche Anleihen bei der Yamaha 700 Ténéré (Test) nimmt. Der Reihenzweizylindermotor ist, laut Kove, eine Eigenentwicklung mit 799 cm3 Hubraum und soll 100 PS sowie 80 Nm Drehmoment leisten – und sieht sehr nach dem LC8c-Motor aus der KTM 790 Duke (Test) aus. Ein Tank von 22 Litern Volumen sichert Fahrern der 800 X Super Adventure eine große Reichweite. Federwege von 240 mm vorne und 210 hinten sowie vorn ein 21-Zoll-Vorderrad und ein 18-Zöller hinten sind Eckdaten für eine gute Geländetauglichkeit. Dabei fällt die Sitzhöhe mit 830 mm eher moderat aus.

Den erstaunlichsten Wert nennt Kove aber beim Leergewicht: angeblich nur 183 kg, dank vieler Leichtmetall-Komponenten. Wir sind sehr gespannt, ob die Waage das nächstes Jahr bestätigen wird, denn Kove will 2023 auf den deutschen Markt kommen, steht allerdings noch in Verhandlungen mit möglichen Importeuren. In Spanien, Portugal, Schweiz, Tschechien und Griechenland werden schon Motorräder von Kove verkauft, wenn auch teilweise unter anderen Markennamen. Kove will noch hoch hinaus, so möchte die Marke mit der 40 PS starken 321 RR an der SSP 300-Weltmeisterschaft teilnehmen, die im Rahmen der Superbike-WM stattfindet. Außerdem hat Zang Xue als Ex-Motocrosser einen Faible für den Rallyesport und will seine neue 450er-Rallymaschine so bald wie möglich auf der Rallye Dakar sehen.