Überwachung: SPD blockiert Ampel-Kurs gegen Chatkontrolle

Mitglieder der SPD-Fraktion verhindern aktuell eine gemeinsame Stellungnahme der Ampel gegen die Überwachung auch verschlüsselter Online-Kommunikation.

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(Bild: Leonidas Santana/Shutterstock.com)

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Innerhalb des Ampel-Regierungsbündnisses weitet sich der Streit über eine gemeinsame Position zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission für den Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und damit verknüpften Instrumenten wie der Chatkontrolle aus: Der Innenausschuss konnte sich am Mittwoch nicht auf einen Antrag der Regierungsfraktionen einigen, womit diese die Bundesregierung aufgefordert hätten, die mit dem Entwurf verknüpfte massive Überwachung nebst Angriff auf sichere Verschlüsselung klar auf EU-Ebene abzulehnen.

"Leider folgen die Innenpolitiker der SPD an dieser Stelle nicht ihren eigenen Digitalpolitikern und blockieren zur Zeit eine gemeinsame Stellungnahme", beklagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, mit Blick auf die Ausschusssitzung. "Ich gehe davon aus, dass die SPD sich an den im Koalitionsvertrag vereinbarten gemeinsamen Weg hält und Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation klar ablehnt." Eine allgemeine Chatkontrolle würde laut dem Liberalen "den größten Dammbruch für die Vertraulichkeit der Kommunikation seit der Erfindung des Internets" bedeuten.

Die Ampel-Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag gegen flächendeckende Kinderporno-Scans und für das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets ausgesprochen. Sie wollen zudem durchgehende Verschlüsselung stärken.

Auch Konstantin von Notz, Vize-Fraktionsvorsitzender der Grünen, positioniert sich dazu entschieden: "Wir lehnen die sogenannte Chatkontrolle weiterhin sehr klar ab. Der Satz im Koalitionsvertrag, der explizit mit Blick auf die anstehende EU-Regulierung verhandelt und gemeinsam geeint wurde, könnte deutlicher nicht sein." Hinweise, dass das Bundesinnenministerium auf EU-Ebene anders verhandele, "nehmen wir sehr ernst". Der Ansatz der SPD, eine gemeinsame, die Bundesregierung noch einmal bindende Stellungnahme zu verhindern, "widerspricht hier leider klar dem gemeinsam vorgelegten Koalitionsvertrag".

Ohne Aussprache lehnten die Innenpolitiker einen Antrag der Linksfraktion ab, obwohl dieser prinzipiell dem Geist der Koalitionsvereinbarung in dieser Frage nahe kommt. Der Bundestag sollte demnach an die Regierung appellieren, sich in den entscheidenden EU-Gremien "klar und unmissverständlich gegen die geplante EU-Verordnung" einzusetzen. Die Bekämpfung sexueller Gewalt an Kindern sollte demnach mit Maßnahmen erfolgen, die effektiv sind und keinen Verstoß gegen EU-Grundrechtecharta darstellen. Dies schließe "Methoden der Chatkontrolle, Netzsperre, Upload-Filter und Altersverifizierung bei Messengern aus".

Die Exekutive soll sich laut dem Antrag der Linken auch für "ein klares Verbot aller Varianten von Client-Side-Scanning" (CSS) starkmachen, also das Durchsuchen und Ausleiten von Kommunikation auf Endgeräten der Nutzer. Es sei auch zu prüfen, "inwiefern die Sicherheit von Ende-zu-Ende verschlüsselter Kommunikation dadurch gefährdet wird, dass Optionen" für CSS von Nachrichteninhalten eingerichtet werden.

Dass ein Antrag der Opposition keine Mehrheit der Koalitionsfraktionen erhält, gilt als ausgemacht. Grüne und FDP wollten Teile der Initiative der Linken aber mit einem eigenen Antrag aufgreifen und noch mit einigen Forderungen ergänzen beziehungsweise Passagen korrigieren. Die SPD-Innenpolitiker tragen dieses Ansinnen aber bislang nicht mit.

Die SPD-Berichterstatterin Carmen Wegge versicherte trotzdem gegenüber heise online: "Der Koalitionsvertrag ist für uns die Maßgabe für die anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene." Grundsätzlich halte sie ein europäisches Vorgehen im Kampf gegen ein globales Verbrechen wie Gewalt an Kindern für notwendig. Trotzdem müsse auch hier die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gewährleistet sein.

"Beim aktuellen Vorschlag der EU-Kommission ist das aus meiner Sicht nicht der Fall", hob Wegge hervor. Mit der Verordnung bestehe die Gefahr einer Architektur, die in den Messengern aktiv Schwachstellen einbaut und eine anlasslose Überwachung von privater Kommunikation an- und ausschaltbar werden lässt. "Das kann von uns nicht mitgetragen werden", betonte die Innenpolitikerin. "Als SPD-Fraktion setzen wir uns deshalb dafür ein, dass der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation und die IT-Sicherheit gewahrt bleiben."

Mit dem Entwurf der Kommission sollen auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple, Signal und Threema über behördliche Anordnungen dazu verpflichtet werden, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen und die private Kommunikation flächendeckend zu scannen.

Bereits am Dienstag schlug der SPD-nahe digitalpolitische Verein D64 Alarm: Die von Netzpolitik.org mittlerweile veröffentlichte Position des Bundesinnenministeriums laufe "weiterhin auf das Ende der Privatheit von Kommunikation hinaus". E-Mails, Messenger-Dienste und weitere Kommunikationsplattformen sollten damit "anlasslos und massenhaft überwacht werden". Konkret könnte Verschlüsselung durch CSS unterlaufen werden.

Die Bundesregierung will bis Ende des Jahres ihre Position festzurren. Auf eine Eingabe der Ampel-Fraktionen jenseits der Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag muss sie bei der Konsenssuche nun wohl verzichten: Die nächste Sitzung des Innenausschusses ist erst im Januar. Zumindest die FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz stellten bereits rote Linien gegen die Chatkontrolle auf. Sie wollen etwa verhindern, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern unterwandert wird. Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen geht das Werkzeug ebenfalls zu weit.

(mho)