"Aufräumen in der Atmosphäre": Es geht nicht ohne CO2-Entfernung – laut Studie

Ohne die aktive Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre wird es wohl nicht gehen. Forscher der Bestandsaufnahme fordern Anreize und Rechtsrahmen für die Methoden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 87 Kommentare lesen

(Bild: nicostock/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Wenig überraschend: Die derzeitigen Anstrengungen, den CO₂-Ausstoß zu verringern, reichen bei weitem nicht aus, um das Pariser Klimaziel von unter 1,5 Grad Celsius Erderwärmung zu halten. Das zeigt auch der Climate Action Tracker in seiner Bilanz für 2022. Dabei ist schon das Erreichen der 1,5-Grad-Grenze gefährlich, weil dann gleich mehrere Klima-Kipppunkte ausgelöst werden, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im September 2022 warnte. Bei den rund 40 Milliarden Tonnen CO₂, die die Menschheit 2022 emittiert hat, wird es nur noch acht Jahre dauern, bis die 1,5 Grad erreicht sein könnten, berechnete das Global Carbon Projekt.

Sollte selbst das Unwahrscheinliche passieren, dass die Grenze durch massive Emissionsreduktionen nicht überschritten wird, dann bleiben immer noch die nur schwer vermeidbaren Freisetzungen aus Landwirtschaft, Schwerindustrie und Schiffsverkehr, die weiterhin über Jahrzehnte hinweg aus der Luft zurückgeholt werden müssen.

Der jüngst veröffentlichte Bericht mit dem Titel "The State of Carbon Dioxide Removal (CDR)" gibt nun einen genauen Einblick in die Potenziale von Ansätzen, der Atmosphäre die Mengen an CO₂ zu entziehen und dauerhaft zu speichern. Methoden zur Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas (CCS) bleiben darin unberücksichtigt, weil sie nicht zu einer Abnahme beitragen, sondern nur den CO₂-Anstieg verhindern.

Die umfangreiche Analyse zeigt eine große Lücke zwischen dem, was Staaten planen, um CO₂ aus der Atmosphäre zu holen, und dem, was erforderlich ist, um das Ziel des Pariser Klimavertrages zu erreichen.

Über 2050 hinaus gehen die Pläne der Staaten sowieso nicht. Einer der Autoren, Jan Christoph Minks vom Mercator Forschungsinstitut zu globalen Gemeinschaftsgütern und Klimawandel (MCC), gibt zu bedenken: "Längerfristig müssen wir uns vielleicht auch heute schon über das Aufräumen der Atmosphäre Gedanken machen, weil die Klimaschäden ja heute schon wirklich beträchtlich sind. Aber dafür müssen wir tatsächlich dann netto der Atmosphäre CO₂ entziehen."

Dabei stehen natürlich jetzt, in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts, nach wie vor Vermeidung und Senkung von Treibhausgasen im Vordergrund. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts sollten dann die aktiven CO₂-Entnahmen den Klimaschutz dominieren. "Da müssen wir natürlich heute drüber nachdenken: Was müssen wir tun, damit das dann auch wirklich möglich wird", so Minks.

Derzeit werden rund zwei Gigatonnen CO₂ der jährlich 40 menschengemachten Gigatonnen wieder aus der Atmosphäre entfernt, in erster Linie durch Aufforstungen und das Management bestehender Wälder. Die neueren Methoden tragen dazu gerade einmal zwei Millionen Tonnen bei, 0,1 Prozent. Zu diesen neueren Methoden zählen die Wissenschaftler beispielsweise Bioenergie mit CO₂ Abscheidung (BECCS), Pflanzenkohle, oder die direkte Abscheidung von CO₂ aus der Luft (DAC) mit chemischen Luftfiltern.

Wie groß die Lücke zwischen den derzeitigen Bemühungen und den notwendigen Reduktionen ist, zeigt der Bericht anhand dreier Szenarien auf.

Liegt der Schwerpunkt der Klimapolitik auf der Energieerzeugung durch Erneuerbare Energien, so müssen dennoch im Jahr 2030 5,4 Gigatonnen, im Jahr 2050 bereits 7,6 Gigatonnen CO₂ zusätzlich entfernt werden. Setzt man auf die derzeit üblichen natürlichen Beseitigungsmethoden (wie Wälder und Moore), so bleiben 2030 immer noch 3,9 Gigatonnen, die anderweitig eliminiert werden müssen. Weil sich beispielsweise Wälder nicht beliebig ausweiten lassen, läge die Lücke im Jahr 2050 bei 9,8 Gigatonnen. Würde die Welt ihren Fokus jedoch darauf konzentrieren, ihren Konsum und die Nachfrage nach Gütern zu reduzieren, wären im Jahr 2030 nur 3,5 Gigatonnen zu eliminieren, aber 2050 immer noch 4,7 Gigatonnen CO₂.

Noch befinden sich die neuartigen CDR-Verfahren, wie die direkte Abscheidung aus der Luft, die verbesserte Verwitterung und neue kohlenstoffreiche Materialien noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Sie benötigen daher eines erheblichen Anstoßes, heißt es in dem Bericht. Für die Ausweitung der bekannten konventionellen CDR-Methoden an Land und die Einführung neuer Techniken in großem Maßstab seien ein CO₂-Preisanreiz und ein angemessener Rechtsrahmen erforderlich. Der ist auch wichtig, damit Unternehmen und Gesellschaft die Anstrengungen um eine weitere Reduktion und Vermeidung von Treibhausgasen nicht auf die lange Bank schieben.

Aber es gibt auch Hoffnung. "Die Innovation im Bereich CDR hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen", stellen die Autoren fest. Belege dafür seien die über vier Milliarden US-Dollar für öffentlich finanzierte Forschung, dazu ein Anstieg der Patente, aber auch mehr Investitionen in neue CDR-Kapazitäten in Höhe von rund 200 Millionen US-Dollar zwischen 2020 und 2022.

Mehr rund um den Klimawandel

Dabei ist China weltweit führend: Es registrierte 36 Prozent aller Patente für diese neuen Methoden, vor allem bei der direkten Absonderung des Klimagases aus der Luft. Auch in der Forschung führt das Land, wie die Autoren des Berichts anhand der Anzahl wissenschaftlicher und begutachteter Publikationen zeigen können.

Weit fortgeschritten ist China auch in der Praxis und wendet flächendeckend Pflanzenkohle zur CO₂-Entfernung an, wie Mitautor Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik berichtet: "In der Provinz Nanjing darf kein Reisstroh mehr verbrannt werden. Deshalb machen die da Pflanzenkohle draus, die sie entweder in Baustoffe einbringen oder schlichtweg damit düngen."

Der Statusbericht zur Kohlenstoffdioxid-Entfernung aus der Atmosphäre soll ab jetzt jährlich neu erscheinen. Denn die CO₂-Konzentrationen ändern sich, der Wissensstand über die CO₂-Beseitigungsmethoden wird größer, und auch der Zugang zu Datenquellen wird besser.

(jle)