Missing Link: ISDN in den USA als Einstiegstechnik für die Daten-Superautobahn

EFF-Gründer Kapor warnte bereits früh vor der übermäßigen Kommerzialisierung des Netzes. Der Staat könne allenfalls die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen.

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(Bild: TPROduction/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
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Vor 30 Jahren verlegten die Aktivisten der US-amerikanischen Electronic Frontier Foundation (EFF) ihr Hauptquartier von Cambridge, Massachusetts in die Hauptstadt Washington DC. Gleichzeitig starteten sie mit einer Kampagne namens "The Open Platform" die Lobbyarbeit für eine nationale Telekommunikations-Infrastruktur. Das nahmen ihr viele Menschen übel, die die EFF als Organisation für Meinungsfreiheit und elektronische Bürgerrechte unterstützten. Die industriefreundliche Lobbyarbeit wurde im Wesentlichen von EFF-Gründer Mitch Kapor propagiert.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Auf der von Stewart Alsop II organisierten Computerkonferenz "Demo" in Indian Wells stellte er kurz vor dem Superbowl die Gründe vor, dass sich die EFF für ISDN als nächstbestes Medium einer neuen Kommunikationskultur einsetzt. "Wenn wir keinen Rückkanal haben und die Leute nur Fernsehen, Kabel-TV und Videos konsumieren, werden sie passive Sofakartoffeln. So bekommen wir nie eine aktive, demokratische, offene Kommunikation, die niemanden zurücklässt und benachteiligt. Wenn sie einen Rückkanal haben, nehmen sie vielleicht ihren Camcorder und drehen ihr Ding oder kommunizieren miteinander."

Titelseite der EFF-Broschüre

(Bild: Detlef Borchers)

Die Neuorientierung, mit der die 1990 nach einer Polizeiaktion gegründete EFF in den Speckgürtel der Lobbyorganisationen einzog, beruhte auf dem Papier The Open Platform mit dem Untertitel "A Proposal by the Electronic Frontier Foundation for a National Telecommunications Infrastructure". Es wurde von Jerry Berman und Mitch Kapor verfasst und beruhte auf der Annahme, dass langfristig ein schneller breitbandiger "Informations-Highway" entsteht, kurzfristig aber mit ISDN den Menschen ein etwas langsameres, billiges Kommunikationssystem mit einem praktikablen Rückkanal errichtet werden muss.

Das EFF-Paper zitierte in einer Fußnote ausführlich Ed Markey, den Vorsitzenden des Unterausschusses für Telekommunikation. Der hatte 1989 gefordert, dass "Informationsdienste schnellstmöglich für alle Amerikaner zu Kosten geschaffen werden müssen, die die Gesellschaft nicht in Informationsbesitzer und Informationslose teilt und unsere bewährten Prinzipien der Diversität, des Wettbewerbs und der gemeinsamen Netzbetreiber beeinträchtigt."

In seiner Präsentation auf der "Demo" sprach Kapor über veraltete analoge Netze, die Modemhölle mit 14,4 KB und erklärte, dass die Zukunft den digitalen Netzen gehört, den Glasfaser-Anschlüssen und auch den künftigen drahtlosen Netzwerken. Er kritisierte die gängige Rhetorik von den Information Superhighways und verwies auf das Potenzial von ISDN, das in den USA nur als Telefonie-System für Firmen und Banken wahrgenommen wurde. Es sollte genutzt werden, bis sich die Settop-Boxen der Zukunft durchsetzen. Für E-Mail, Telnet, FTP und für den Gang durch das Usenet als wichtigste Aktivitäten sei das ausreichend.

Über ISDN sollten sich Amerikaner bei kommerziellen Internet-Providern einwählen oder "Public Access Unix Systems" nutzen, von denen es bald Tausende von Angeboten geben würde. Seinen Zuhörern stellte er WAIS, Eudora und Gopher als zentrale Anwendungen vor. Große Hoffnungen setzte er auf die PC-Industrie, die nutzerfreundliche Anwendungen zur Navigation im Netz entwickeln werde. Im Interview mit Rolling Stones, das aus diesem Anlass entstand, erklärte Kapor, dass der Staat bei der Entwicklung außen vor bleiben soll und allenfalls die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen könne.