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Was war, das war's

Nach 1227 Folgen WWWW fällt der letzte Vorhang, aber vorher verrät Hal Faber noch ein Geheimnis und blickt zurück. Und überreicht dem Forum einen Fisch.

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Kehraus fürs WWWW: Nach 1227 Folgen und fast genau 23 Jahren endet die sonntägliche Wochenschau.

(Bild: nattaphol phromdecha/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber (Spoiler: dahinter verbirgt sich Detlef Borchers) den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau war Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie war Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Dies ist meine 1227. Wochenschau und die letzte. Nein, ChatGPT ist nicht daran schuld. Auch wenn es mittlerweile die Reden von Politikern schreibt, reicht es nicht für eine Wochenschau. Die Erste erschien vor 23 Jahren, am 6. Februar 2000. Man kann das WWWW mit den ersten Informationsbröckchen hier nachlesen. Seinerzeit wurde ich von Jürgen Kuri gebeten, mir ein Kolumnen-Format auszudenken, das an den nachrichtenarmen Sonntagen unterhaltsam die IT-Leere füllte. Das im Januar entwickelte Konzept gefiel uns beiden und so konnte die Kolumne erscheinen. Es gab nur ein klitzekleines Problem: Damals schrieb ich zwei weitere Kolumnen. Eine hieß "Online" und erschien als Nachfolgerin meiner aller-allerersten Kolumne "Bulkware" (benannt nach unserem Bauernhof Bulkhof) in der ZEIT. Die andere hieß "Bytegeist" und erschien bei Ziff-Davis Deutschland, also der damaligen Konkurrenz. Ein Pseudonym musste her, so wie es früher in der Branche üblich war, als man eigentlich nicht für den Heise-Verlag (c't) UND den Franzis-Verlag (mc) arbeiten durfte. Die Redakteure lösten das damals in beiden Verlagen, indem sie die Namen bekannter Mörder vergaben.

Noch'n Fisch: selbstgebastelte Hommingberger Gepardenforelle (von Marita Wagner)

*** Im Fall von WWWW war es aber nicht gewollt, die Sonntagsruhe zu stören. So wurde Hal Faber geboren. Der Vorname Hal kam vom Computer HAL 9000 aus dem Film "2001 – Odyssee im Weltraum", der Nachname vom Ingenieur Walter Faber kam aus dem Roman "Homo Faber" von Max Frisch. Walter Faber ist in dem Roman ein durch und durch rational denkender Mensch, der auf einem Schiff bei einer Atlantikquerung die junge Sabeth kennenlernt, nicht ahnend, dass sie seine Tochter ist. "Sabeth wusste nichts von Kybernetik, und wie immer, wenn man mit Laien darüber redet, galt es, allerlei kindische Vorstellungen vom Roboter zu widerlegen, das menschliche Ressentiment gegen die Maschine, das mich ärgert, weil es borniert ist, ihr abgedroschenes Argument: Der Mensch sei keine Maschine. Ich erklärte, was die heutige Kybernetik als Information bezeichnet: unsere Handlungen als Antworten auf sogenannte Informationen, beziehungsweise Impulse, und zwar sind es automatische Antworten, größtenteils unserem Willen entzogen, Reflexe, die eine Maschine ebenso gut erledigen kann wie ein Mensch, wenn nicht sogar besser. Sabeth rümpfte ihre Brauen (wie stets bei Späßen, die ihr eigentlich missfallen) und lachte." Mister Faber verliebt sich in Sabeth und muss erleben, wie sein akkurates Weltbild zerbricht. Die simple Reflex-Maschine kommt ins Stottern.

*** Das Pseudonym war auch deswegen angedacht, damit alle anderen Heise-Arbeiter und die Freien ihre Informationsbröckchen anliefern konnten, doch daraus wurde nichts. Recht früh wurde mir klar, dass ich ein Subbotnik werden musste, wenngleich ein nach Zeilen bezahlter. Die erste richtige Bewährungsprobe für das Kommentar-Format kam nach dem 11. September 2001, als ich nicht einfach lästern konnte. Das Entsetzen war groß. Bringt, was Hund ist, zum Schweigen. Kein Ton. Fünf Jahre nach dem Start gab es ein erstes Innehalten, mit großem Dank an die Heise-Foristen von damals, von denen ich einige bis heute kenne. Gleich danach stand die kleine Wochenschau aus der Norddeutschen Tiefebene dennoch auf der Klippe vor dem Abgrund, weil ich in einem WWWW auf ein Foto verlinkt hatte, dass Günter Freiherr von Gravenreuth in Krieger-Uniform bei einem Paintball-Schießen zeigte. Das Bild des bekennenden Waffennarren war ein Eingriff in seine Privatsphäre, befand das Gericht. Der Prozess ging also verloren und sorgte für Unmut, doch Heise zahlte.

*** Der Heise-Verlag zahlte auch das Zeilenhonorar für die 500. Ausgabe der Wochenschau, doch das Geld ging an Reporter ohne Grenzen, weil die komplette Jubiläumsausgabe, mit Ausnahme der Einleitung und dem Schluss mit Heinrich Heine, wie angekündigt von befreundeten Journalisten und Foristen geschrieben wurde. Das war ein schönes Geschenk, das sich Jürgen Kuri und Peter Glaser da ausgedacht hatten.

*** Unter den Informationsbröckchen der aktuellen Woche gehört die Nachricht, dass die Justizposse um Ola Bini ein Ende hat und er freigesprochen wurde. Schon seine Verhaftung in Ecuador, nur einen Tag nach der Verhaftung von Assange in der Botschaft von Ecuador, erfolgte aus zweifelhaften Gründen. Er sollte zu "Assanges Team" gehören, hieß es damals, was offenbar als Vergehen gewertet wurde. Der später nachgeschobene Grund der Computerspionage konnte nicht erhärtet werden. Wer nach wie vor im Gefängnis in einem britischen Gefängnis sitzt und auf eine Gerichtsentscheidung wartet, ist Julian Assange, der nach einem neuen Bericht physisch und psychisch schwer angeschlagen ist. Der Fall ist einzigartig und doch wieder nicht: Nur wenige Wochen nach dem 500. WWWW schrieb ich über die große Härte, mit der US-Präsident Barack Obama gegen Whistleblower vorging. Damals erwischte es Thomas A. Drake, den Kritiker des NSA-Programmes Trailblazer. Er hatte als streng geheim klassifizierte Papiere aus diesem Projekt mit nach Hause genommen und galt deshalb bereits als Spion, ein Vorwurf von großer Schlichtheit, den man jetzt auch Biden oder Pence machen könnte.

*** Zu den Geschichten, die murmeltierartig immer wiederkehren und als Dauervorlage funktionieren, gehört die Nachricht, dass das Bundesverfassungsgericht den anlasslosen Lauschangriff und die Wohnraumüberwachung im Polizeigesetz von Meckpomm für verfassungswidrig erklärt hat. In diesem Stil könnte es weitergehen, denn es stehen noch weitere Klagen gegen die Verschärfung von Landespolizeigesetzen an. In allen werden Polizeirechte bis auf den Weg in den Überwachungsstaat ausgedehnt, ein Thema, das älter als 23 Jahre ist. Zusätzlich gibt es ja noch das Innenministerium mit einer Ministerin Nancy Faeser, die gleichzeitig die Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl ist. Wie profiliert man sich da? Mit einem harten Nancy-Katalog (nach Vorbild des Parteikollegen Otto Schily), der sich gewaschen hat. Der Letzte, der übrigens das Kunststück wagte, als amtierender Minister in eine Landeswahl zu gehen, war Norbert Röttgen, den Angela Merkel nach der Niederlage aus dem Kabinett schmiss.

*** Ja, so wiederholen sich die Themen und Nachrichten und Ermüdung macht sich breit. Auch das Alter spielt eine Rolle. Mit bald 70 Jahren kann man schwerlich eine Kolumne schreiben, die junge Leser und Leserinnen erreicht, sie anstachelt und anstichelt. Sollen andere vor den AfD-Anhängern im Bundesnachrichtendienst warnen, die von dieser Republik die Nase voll haben und darum Putins Regime mit Informationen beliefern oder in russischen Talkshows auftreten. Zur Not reicht es, wenn dieser Platz mit Ciceros Schrift "Über das höchste Gut und das größte Übel" gefüllt wird, besser bekannt als Lorem Ipsum: "Neque porro quisquam est, qui dolorem ipsum, quia dolor sit, amet, consectetur, adipisci velit, sed quia non numquam eius modi tempora incidunt, ut labore et dolore magnam aliquam quaerat voluptatem." ("Ferner gibt es niemanden, der den Schmerz selbst liebt, verfolgt und erreichen will, weil es Schmerz ist, sondern weil manchmal derartige Umstände eintreten, dass man durch Mühe und Schmerz irgendein großes Vergnügen erreicht.")

Mit Sabeths "Mister Faber" begann die Wochenschau, mit HAL 9000 soll sie enden. Als Arthur C. Clarke 1966 die erste Fassung dieser wunderbaren Odyssee im Weltraum schrieb, hieß Hal 9000 noch "Sokrates" und war als Roboter konzipiert, der im Schiff herumläuft und die Mahlzeiten aufwärmt und serviert. Es war die geniale Idee des Regisseurs Stanley Kubrick, das gesamte Raumschiff zum Computer zu machen und Rotauge HAL 9000 mit der sanften Stimme des kanadischen Schauspielers Douglas Rain sprechen zu lassen. Sie sollte man sich zu dieser später aus dem Drehbuch gestrichenen Szene denken:

Das war's, und danke für den Fisch – von Hal Faber nach uralter Forentradition überreicht.

"Bruno", fragte der Roboter, "was ist Leben?"
Dr. Bruno Forster, Direktor der Abteilung für Mobile Adaptive Maschinen, nahm im Interesse einer besseren Verständigung bedächtig die Pfeife aus dem Mund. Sokrates verstand noch immer rund zwei Prozent gesprochener Worte falsch; mit der Pfeife wurden es fünf.
"Unterprogramm drei drei null", sagte er mit deutlicher Betonung. "Was ist der Sinn des Universums? Zerbrich dir nicht dein Köpfchen über solche Probleme. Ende drei drei null."
Eines Tages würde es, das stand für ihn fest, Roboter geben, die solche Fragen stellen würden – spontan, ohne Anstoß. Und ein wenig später würde man Roboter haben, die sie auch beantworten konnten.

(aus Arthur C. Clarke, The Lost Worlds of 2001, deutsch: 2001 – Aufbruch zu verlorenen Welten

(tiw)