Die Professionalisierung von "Navigium" – Interview mit Entwickler Niederau

Das Latein-Lernprogramm "Navigium" ist mittlerweile 30 Jahre alt. Philipp Niederau begann mit der Entwicklung bereits als Jugendlicher – trotz Widerständen.

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Philipp Niederau am Navigium-Stand auf der Didacta 2023 in Stuttgart.

(Bild: heise online/kbe)

Lesezeit: 7 Min.

Das Latein-Lernprogramm "Navigium" gibt es nun schon seit 30 Jahren. Der Entwickler Philipp Niederau hatte als Jugendlicher einfach mit der Programmierung von Navigium losgelegt, sein Vater war Lateinlehrer. Dem Programm war Niederaus Vater zunächst aber gar nicht zugetan. Nach Probeeinsätzen mit den eigenen Schülerinnen und Schülern wurde er zum Überzeugten.

Philipp Niederau kümmert sich mittlerweile ausschließlich um Navigium und konnte auch einen großen Verlag als Kooperationspartner gewinnen. heise online traf ihn am Navigium-Stand auf der Didacta 2023:

Herr Niederau, sind Sie der Gründer oder der Mitgründer von Navigium? Ihrem Programm liegt ja eine Familiengeschichte zugrunde.

Ich bin der einzige Gründer. Ich habe vor 30 Jahren damit angefangen. Mein Vater war Lateinlehrer. Er ist mittlerweile im Ruhestand, aber auch immer noch aktiv dabei. Er war ein Alt-Philologe, wie man sich das vorstellt, mit Latein und Geschichte, eigentlich Technikhasser, aber der Sohn – computerbegeistert – hat ihn um 180 Grad gedreht.

Wie genau haben Sie das hinbekommen? Haben Sie gesagt "Papa, wir könnten einen Vokabeltrainer für deine Schülerinnen und Schüler programmieren"?

Nein – ich habe einfach losgelegt und das Latein-Buch abgetippt. Da hat er sich gefragt: Was macht mein Sohn denn da. Als ich ihm das Ergebnis gezeigt habe, hat er dann doch schnell Feuer gefangen.

Wie haben Sie Navigium dann in die Welt gebracht? Waren seine Schülerinnen und Schüler die Versuchskaninchen?

Er hat es tatsächlich im Unterricht erprobt. Dadurch nahm das Ganze mehr Gestalt an. Es ging los mit Disketten für MS-DOS und CDs für Windows. Ein kostenloses Wörterbuch im Internet war der nächste Schritt und als iPhones aufkamen haben wir das Wörterbuch auch als App erstellt. Seit sechs Jahren gibt es nun eine Cloud-basierte Version. Wir arbeiten auch quasi täglich an dem Programm. Wir bekommen Feedback von Lehrkräften oder Schülern und versuchen Verbesserungen schnell einzuarbeiten.

Und das heutige Navigium ist jetzt nicht nur für Schülerinnen und Schüler gedacht, die privat Vokabeln trainieren wollen, sondern es kann auch von Lehrkräften zur Unterstützung des Unterrichts eingesetzt werden?

Genau, wir nennen es jetzt Lern- und Lehrplattform. Die Funktionen können von Schülerinnen und Schülern ganz frei genutzt werden, aber Lehrkräfte können auch Aufgaben vorgeben. Es werden dann entsprechende Links verteilt. Wurden die Aufgaben bearbeitet, erscheint ein Häkchen. Die Aufgaben können aber auch beliebig oft gemacht werden, denn was die Kinder dort machen, soll nicht immer ein Test sein. Das Wiederholen und Ausprobieren gehört ja zum Lernprozess.

Die Lehrkräfte bekommen also zurückgespiegelt, ob die Kinder etwas gemacht haben oder nicht, aber die Kinder können für sich auch eingrenzen, was die Lehrkräfte über ihr Arbeiten erfahren?

Ja, es gibt einen sogenannten Karteikasten, den die Lehrkräfte sehen können. Die Kinder können aber weitere unsichtbare anlegen. Außerdem können sie auch entscheiden, ob sie Ergebnisse speichern wollen oder nicht – und das Nicht-speichern ist die Standardeinstellung. Wenn man möchte, dass das Ergebnis geteilt und gespeichert wird, muss man bewusst den Haken setzen.

Entwickler Philipp Niederau

(Bild: 

Philipp Niederau

)

Philipp Niederau, IT-Architekt und Gründer der Latein-Lernplattform Navigium. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Software-Entwicklung. Hierzu gehören mittlerweile auch Cloud-Lösungen.

Das Programm begleitet die Kinder dann bis zum großen Latinum?

Ja – oder auch darüber hinaus. Auch im Studium wird es eingesetzt, auch für diejenigen, die im Studium erst mit Latein anfangen, weil es Voraussetzung für ihr Fach ist. Professor Kuhlmann in Göttingen ist zum Beispiel ganz begeistert – in den Hochschulen findet es also auch Anklang. Neben dem reinen Üben von Vokabeln und der Grammatik, gibt es auch andere Textarbeiten. Das Programm arbeitet auch mit Hörbeispielen und Illustrationen.

Im Rahmen der Schulen werden also Schullizenen erworben.

Ja, wir sind aber von den Preisen her ganz human geblieben. Ich find's teilweise abenteuerlich, was da von anderen Anbietern aufgerufen wird. Bei uns geht's los mit 2,50 Euro pro Schüler pro Jahr. Also ungefähr so viel wie ein Radiergummi oder Geodreieck.

Ist das für Hochschulen anders?

Nein, da sind die Preise die gleichen.

Seit einiger Zeit arbeiten Sie nun auch mit dem Verlagshaus Klett zusammen. Wie kam es dazu?

Wir arbeiten seit drei Jahren mit Klett zusammen. Klett kam auf der letzten Didacta vor den Lockdowns auf uns zu, und fragte eine Kooperation an, weil Klett viele Anfragen zu Latein-Lernprogrammen erhalten und sich gleichzeitig herumgesprochen hatte, dass Navigium beliebt ist.

Die Pandemie hat der Nachfrage auch noch einmal einen zusätzlichen Schub verschafft. Mit den Lockdowns wurde händeringend nach guten digitalen Lösungen gesucht und Latein ist natürlich eine sehr spezielle Nische. Die Lateiner waren dann aber auch ganz stolz, dass sie mit unserem Angebot direkt schon etwas Gutes nutzen konnten. In anderen Fächern sieht das ja teilweise noch ganz anders aus.

Mit der Digitalisierung der Schulen sind auch digitale Tafeln viel normaler geworden – nicht mehr die Ausnahme, sondern werden mehr zu Regel. Auch das trägt dazu bei, dass Navigium eingesetzt wird. Und wir sehen bei unseren Schulbesuchen, dass es zwar noch riesige Unterschiede bei den Schulausstattungen gibt, es aber tendenziell immer besser wird.

Und die Kinder haben spätestens ab der Sekundarstufe I ohnehin eigene Endgeräte dabei.

Ja, das stimmt. Nutzbar ist Navigium über Smartphones, Tablets oder Notebooks und Desktops. Haben die Kinder ein Smartphone auch in der Schule dabei, kann das für die letzten fünf Minuten im Unterricht dann auch mal heißen, dass sie über die App beim Vokabel-Duell in der Arena gegeneinander antreten.

Es gibt auch jedes Jahr im Januar – kurz vor den Halbjahreszeugnissen – eine Vokabel-Challenge. Zuletzt haben 160 Klassen aus ganz Deutschland teilgenommen und gegeneinander gekämpft. Die haben über 4 Millionen Vokabeln in zehn Tagen bearbeitet.

Kümmern Sie sich denn jetzt ausschließlich um Navigium oder ist das ein Nebenerwerb geblieben?

Mittlerweile kümmere ich mich nur noch um Navigium, ich habe aber fast 20 Jahre bei Banken und Versicherungen in der IT als IT-Architekt gearbeitet. Das war immer eine schöne Kombination. Ich konnte mir immer das neuste Wissen aneignen – auch bei heise – das dann für mich bei Navigium ausprobieren und anschließend zum Arbeitgeber mitnehmen. Da habe ich dann auch gelernt, wie ich etwas skalieren muss, damit so viele Klassen auch an so einer Challenge teilnehmen können.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

Die Didacta 2023 findet vom 7.3. bis zum 11.3. in Stuttgart statt.

(kbe)