Kann ein Automobil vollständig digital entwickelt werden?

Virtuelle Entwicklung am Beispiel der C-Klasse

„Vorsprung durch Berechnung“, so überschreibt Mercedes-Benz die Methoden die digitalen Entwicklungsmethoden für die aktuelle C-Klasse, die seit März verkauft wird. Doch etwas Handarbeit ist noch immer gefragt

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Von
  • ggo
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Der Traum vieler Automobilentwickler, ein Fahrzeug vollständig im Computer entwickeln zu können, ist bisher noch nicht Wirklichkeit, aber die Hersteller kommen diesem Ziel immer näher. Jüngstes Beispiel ist der Fiat Bravo, den der Hersteller „ausschließlich“ mit digitalen Methoden in 18 Monaten entwickelt haben will. Aber hoffentlich nicht erprobt – denn in Bereichen wie der Fahrwerksabstimmung sind nach wie vor Erfahrung, Gefühl und Handarbeit gefragt.

Feingefühl zählt noch immer
So gibt es auch heute noch große Unterschiede, wenn Federung/Dämpfung oder eine Lenkung in der echten Welt abgestimmt werden; eine gut funktionierende Simulation des Sitzorgans gibt es bis heute nicht. Nicht viel anders ist es mit Schwingungen: Wie Motor oder Fahrwerk die Karosserie anregen, lässt sich bereits recht gut berechnen, die Realität in Fahrers Ohren hält aber noch genügend Überraschungen bereit.

Dennoch: Je mehr ein Fahrzeug realitätsnah simuliert werden kann, desto schneller und günstiger ist es zu entwickeln und desto mehr konstruktive oder konzeptionelle Fehler können bereits entdeckt werden, bevor der erste „physische Prototyp“ gebaut wird.

Prototyp mit doppelter Bedeutung
Aus Sicht der Fahrzeugentwickler hat der Begriff Prototyp heute eine doppelte Bedeutung – der Echte, der auf den Teststrecken unterwegs ist und der „Virtuelle“, der für die Konstrukteure immer wertvoller wird. Mercedes spricht von „Digitalen Prototypen“ (DPT).

In diesem schlichten Kürzel steckt Wissen, das die Entwickler in vielen Jahren gesammelt haben. Dabei kam ihnen die rasante Entwicklung der Computertechnik zur Hilfe, denn Simulation braucht schlicht eine Menge Rechenzeit. Erfolgte bei Mercedes-Benz 1989 die Crashberechnung noch mit 26.000 Elementen, die ein Fahrzeug darstellten, so ist die C-Klasse bereits in rund 1,9 Millionen Elemente untergliedert. Dadurch ist eine weitaus präzisere Analyse von Verformungen bei einem Crash möglich. Über 1500 Prozessoren waren bei bei der Sicherheitsentwicklung im Einsatz, rund 5500 Mal wurde die Limousine virtuell „gegen die Wand gefahren“.

Die gestiegene Leistungsfähigkeit der Computer lässt sich heute für viele Entwicklungsbereiche nutzen, die früher nicht simulierbar gewesen wären. Neben der Sicherheit sind dies Bereiche wie aerodynamische Analysen, Klimasimulationen, Studien zur Festigkeit oder die Motorenentwicklung.

Komplett virtuelles Auto
In DPT, so Mercedes-Benz, hat das Unternehmen erstmals alle Simulationsmethoden gebündelt und auf diese Weise „ein komplett virtuelles Auto“ erzeugt. Natürlich kann diese Simulation echte Prototypen und Versuchswagen nicht völlig ersetzen, doch die ersten fahrbereiten Modelle haben vom Start weg einen erheblich höheren Reifegrad, der Weg zur Serienreife ist somit deutlich kürzer.

In den digitalen Prototypen fließen alle Daten des neuen Modells, vom Maßkonzept bis zur Stoßdämpfer-Kennlinie, zusammen und werden in Berechnungsmodelle übertragen. Das Ergebnis dieser Aufbereitung ist der fahrbereite virtuelle Prototyp. Auch sämtliche Modell- und Motorvarianten lassen sich in diesem Modell darstellen. Denn wenn die Basisdaten des Fahrzeugs erst einmal stehen, sind Varianten durch Eingabe neuer Daten mit relativ wenig Aufwand möglich.