Virtuelle Entwicklung am Beispiel der C-Klasse

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Virtueller Wind
Die Aerodynamik optimierten die Ingenieure mit 1:4-Modellen der C-Klasse, die auf Basis des digitalen Prototypen entstanden. Diese Arbeit im Windkanal wurde ergänzt durch Strömungssimulationen. Computational Fluid Dynamics (CFD) nennt sich das Verfahren, um Strömungsvorgänge per Simulation zu untersuchen. So lassen sich frühzeitig die aerodynamischen Verhältnisse unter der Motorhaube, am Unterboden oder an einzelnen Karosseriebereichen berechnen.

Was soll Aerodynamik unter der Motorhaube, mag man sich fragen, doch der Motorraum ist heute ein Ort schwieriger Zielkonflikte geworden: Einerseits muss der enge Bauraum möglichst gut genutzt werden, andererseits müssen die Luftströme eine ausreichende Kühlung der Komponenten unter der Motorhaube gewährleisten. Dies beeinflusst wiederum die Art und Größe der Öffnungen an der Fahrzeugfront und so die Aerodynamik des gesamten Fahrzeugs.

Jede dieser Berechnungen erfordert einen mehrstündigen Rechenprozess. Um die Strömung in Detailbereichen wie der Kühlermaske oder Bugschürze zu simulieren, war der Computer im Falle der C-Klasse 36 Stunden beschäftigt, um ein Strömungsdarstellung auszugeben, die schließlich farbig am Bildschirm sichtbar wird.

Good Vibrations
Auch beim Geräusch-, Schwingungs- und Abrollkomfort (NVH) hilft der digitale Prototyp. Mit seiner Hilfe können die Entwickler zum Beispiel gezielt Versteifungen in die Karosserie einbringen, die zu einer Verringerung der Schallabstrahlung in den Innenraum beitragen. Man stelle sich vor, man würde erst beim physischen Prototypen bemerken, dass die Karosserie verändert werden muss.

Im NVH-Modell ist das gesamte Fahrzeug mit Rohbau, Türen, Antriebsstrang und Achsen abgebildet. Der Rechner simuliert Alltagssituationen wie Motorleerlauf, Fahrten über unebenen Straße, Reifenunwucht oder starkes Beschleunigen. All dies erzeugt Schwingungen, die in die Karosserie eingeleitet werden und als Rappeln, Vibrieren oder Dröhnen im Innenraum des Fahrzeugs hörbar werden.

Auch hier ist ein komplexes mathematisches Modell notwendig, das Schwingungsquellen wie Motor, Antrieb und Achsen sowie die Blechstrukturen berücksichtigt – aber die auch die Luft in der Fahrerkabine, denn was sich zunächst als „Körperschall“ in den Fahrzeugstrukturen fortbewegt, kommt schließlich als „Luftschall“ beim Insassen an.

Das Delta ist kleiner geworden
Der Traum, ein Auto am Computer vollständig virtuell zu entwerfen und ohne die Erprobung realer Prototypen bauen zu können, ist sicher noch keine Realität – besonders bei Erprobung und Versuch spielt das Feingefühl der Techniker noch immer eine große Rolle.

Aber machen die Fortschritte das Auto wenigstens preisgünstiger? Die Antwort ist etwas ernüchternd: Für die Automobilhersteller geht es bei der virtuellen Entwicklung vor allem darum, in der Entwicklungsphase Fehler auszuschließen, die man nach althergebrachten Methoden viel später bemerken würde. Oder wie es ein Mercedes-Vertreter formuliert: Das Delta zwischen Voraussage und Ergebnis ist deutlich kleiner geworden.

Was er nicht sagt: Ein „Vorsprung durch Berechnung“ könnte im gnadenlosen Verdrängungswettbewerb zwischen den Automobilherstellern ein entscheidendes Element sein. (ggo)