4W

Was war. Was wird.

Das Jahr der Technik steht bevor. Pisa-Schäden sind generationsübergreifend anzutreffen. Und manchmal bleibt statt der Götterfunken ein bedenkliches Warngesumm übrig. Hal Faber hat seine Ohren weit aufgestellt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 82 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zeit für mehr -- ist es nicht das, was wir alle haben wollen? Zeit für mehr Heisetickermeldungen, Zeit für mehr Code-Qualitätstests? Mehrzeit für die Mahlzeit und sei es nur für den kleinen Joint, den Programmierer nach Meinung von Tatort-Drehbuchschreibern brauchen, um guten Code zu schreiben. Aber es ist ja noch Zeit bis anhin zum Fernsehkrimi, eben Zeit für mehr.

*** Nun ist Zeit für mehr eine Werbekampagne für Ganztagsschulen, die den Schülern Zeit für weniger gibt, dafür aber "Erfolgserlebnisse jetzt auch am Nachmittag" verspricht. Ja, Zeit für mehr Erlebnisse muss da sein, keine Frage, da haben die Werber recht. So also wird der Ausweg aus dem selbstverschuldeten Pisa-Elend aussehen, dass Kinder mehr Zeit mit ausgeleierten und verkalkten Lehrern verbringen dürfen, die sie nach Lust und Laune beschimpfen und vice versa. Zarte Naturen werden sich in die heile Welt der Powerpoint-Präsentationen wegklicken, andere gucken nur aus dem Fenster. Vorbild der Ganztagsschule im Zeichen von Pisa ist wie immer Nokialand, in dem junge Handybesitzer schon so lange "Zeit für mehr" haben, dass man nun das Schulsystem umbaut. Passenderweise gönnen sich die Finnen ein neues Gesetz zum Schutz der Privatsphäre, das Kinder unter 15 Jahren von den Segnungen des Gesetzes ausschließt. Wer unter 15 Jahren Zeit für weniger Schule hat, muss mit seinem GPS-gestützten Anorak von Reima lokalisierbar sein.

*** Wer hätte ES gedacht, dass man nach dem Verschwinden der Bobos noch so von den Segnungen des Internet schwärmen kann, weil es Spiegel online und der Trendfrosch Peter Wippermann vormachen. Alles ist schön, gut und Dotcom in der heilen geilen AlwaysOn-Welt mit ihren eigenständig bestellenden Kühlschränken und intelligenten Kochplatten. Wer braucht schon Zeit für mehr und Erfolgserlebnisse am Nachmittag: "Die Rechnerkapazität und der Grad der Professionalisierung im Umgang mit Computern und Druckern steigt, vor allem in den Kinderzimmern." Professionalisierung und Kinderzimmer in einem Satz deuten darauf hin, dass Pisa-Schäden generationsübergreifend anzutreffen sind. Ganzheitlich dumm schwärmt sich es bestens von den Netzwerkkindern im schlimmsten Deutsch, das eigentlich nur Heiratsagenturen beherrschen. Netzwerkkinder "suchen einen Ausgleich zwischen individuellem Erfolgsstreben und der Geborgenheit in harmonischen Partnerschaften". Mein lieber Frosch. Verstand für mehr!

*** Bekanntlich steht uns das Jahr der Technik ins Haus, die neue Website steht jedenfalls schon. In der Technik ist Deutschland einfach Spitze, man schaue nur auf die Leistungen der LKW-Maut: 17.000 Seiten Verträge und Unterlagen für 12.000 Autobahnkilometer verdienen Respekt. Gezielte Fehlinformationen sind bei dieser Relation nicht verwunderlich, ein Kollateral-LKW-Schaden gewissermaßen. Wenn man an dieser Stelle trauern muss, dann nicht über die endlos zitierten Millionen-Einnahmen, die dem Staate verloren gehen, sondern über Erwin K. Scheuch, den großen Korruptionsforscher. Die meisten Details, die rund um die LKW-Maut peu à peu ans Licht kommen, sind in seinen Büchern wie "Manager im Größenwahn" beschrieben. Es ist kein Zufall, dass der alte Kommunistenfresser Scheuch der taz über die Jahre ans Herz gewachsen ist. Auch die Feindes-taz hat System.

O Freunde, nicht diese Töne!
Sondern lasst uns angenehmere
anstimmen. Und freudenvollere!

*** Statt Shakespeare ist heute Schiller dran. Und Beethoven natürlich. Schließlich haben Apple und Pepsi einen ganz wundervollen Deal geschlossen, Musik an die Freunde zu verteilen. Pepsi-Mann John Sculley dürfte immer noch lachen. Dennoch geht es hier um die SCO Group. Schließlich ist diese Firma nicht nur um 50 Millionen reicher geworden, sondern auch eine der von Microsoft benannten Kronzeugen in der Auseinandersetzung um die Monopolpraktiken. Die SCO-Group ist einer der "Lizenznehmer" von Microsofts Shop for Music Online, das von der US-Justiz kritisiert wird. So fügt es sich bestens, wenn Microsoft seinem Lizenznehmer im Kampf um die Aufteilung der Welt in Windows und Unix Stütze überweist. Achja: wer sich über die Geheimverträge bei der LKW-Maut nicht aufregt, wird sich über andere Geheimverträge nicht wundern. Etwa den Geheimvertrag, den die zur Canopy Group gehörende Firma Lineo nach einer Meldung der New York Times mit einer Firma namens Monte Vista abgeschlossen haben soll, als herauskam, dass Lineo unter der GPL veröffentlichte Software Monte Vista als eigenen Code herausgab. Der Fall ist rätselhaft, die Firma ebenso. Selbst die von SCO angegriffene Montavista weiß nichts von dieser doch so ähnlich klingenden Firma. Bleibt statt der Götterfunken ein bedenkliches Warngesumm übrig, das auf BayStar Capital angestimmt werden kann. Der neue prominente Geldgeber der SCO Group besorgte seinerzeit den Zusammenbruch von World Online, nachdem die Chefin zuvor insgeheim alle Aktien an BayStar verkauft hatte.

*** Wir leben im Zeitalter der Unsicherheit, und leben doch weiter. Seit voriger Woche ist die Vortex-Theorie veröffentlicht, die das Wissen in einer Milliarde Büchern für ungültig erklärt, die Quantenmechanik abschafft und unser Universum zurechtrückt. Seit einer Woche ist die kopernikanische Wende geschafft und was passiert? Die nächste Woche bricht an.

Was Wird.

Am Montag startet das süddeutsche Messespektakel Systems, diesmal ohne Zwangsregistrierung. Freuen wir uns mit den Besuchern der Messe, dass die Firma Retarus Network Services Spam zum Erlebnis machen will. Unter dem Motto "Spam gehört in die Dose, nicht in die Mail" lädt die Firma zur Verköstigung von original amerikanischen Spam ein. Schmalzfleisch statt Viagra auf pflanzlicher Basis, das passt zum Bundesland by. Nicht auszudenken, wenn Monty Python statt des Spam-Songs ein Lied über Leberkäs oder Güggeli produzierte hätte.

Während auf der Systems in München die Dosen ausgelöffelt werden, wird in Darmstadt die Suppe eingebrockt. Auf dem CAST-Forum erkunden die Experten, was biometrische Bürgerkarten können sollen und wie die biometrisch abgesicherten Flugtickets uns davor schützen können, dass Vielflieger nicht auf herumliegende Teppichmesser treten. Nur die Hacker fehlen, die dem Unterpunkt "Post Issuing Personalization" eine andere Perspektive abgewinnen. Was im Nachhinein beschreibbar ist, ist im Nachhinein beschreibbar.

Vornherein möchte ich erklären, dass es Bielefeld gibt. Schon der nunmehr greise Udo Lindenberg besang die Stadt, von der es heißt, "nirgendwo auf der Welt ist es geiler als in ..." Eben. Bielefeld ist eine nicht sonderlich hübsche Stadt, die sich an die äußerste Ecke von Westfalen quetscht. Der Bielefelder ist ein duales Wesen, in seinem Herzen streiten fortlaufend der Systemiker und der Backtörtchendenker miteinander. Oetker ist der, der das IP seiner Frau klaute. In diesem deutsch brodelnden Umfeld, ein grauenvolles Hermannsdenkmal steht in der Nähe, leistet der Big Brother Award seinen Beitrag zur Aufklärung darüber, was Jahr für Jahr mit der Privatsphäre der Bundesbürger passiert. Die Woche endet mit der diesjährigen Preisverleihung, die wie das Hermannsdenkmal in die Teile der Welt strahlen möge, in denen unverzagt große Datenbanken installiert werden. Derweil installiert man, dual gesinnt, in Bielefeld eine der größten Videoüberwachungsanlagen der Republik. Gibt es eigentlich Finnland? (Hal Faber) / (anw)