BSI-Affäre um Schönbohm: Faesers Fehler und Böhmermanns Beitrag

Der von Jan Böhmermann ins Rollen gebrachte Fall Schönbohm war keiner, die Affäre belastet nun auch Innenministerin Faeser. Es gibt nur Verlierer.

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(Bild: Elnur/Shutterstock.com/dpa/ZDF/Bearbeitung: heise online)

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Von
  • Falk Steiner
Inhaltsverzeichnis

Ein gutes halbes Jahr nach der Absetzung Arne Schönbohms als BSI-Präsident steht fest: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ein teures Chaos in der IT-Sicherheit angerichtet. Mitten in der größten Bedrohungslage, die die Bundesrepublik im Cyberzeitalter je erlebt hat, agiert die Ministerin kopflos – nachdem eine Satiresendung selektiv "berichtet" hatte. Der angebliche Fall Schönbohm war keiner, die Affäre trägt nun Faesers Namen. Zum vorläufigen Ende gibt es nur Verlierer.

"Eine spannende Geheimdienstgeschichte" kündigte Moderator Jan Böhmermann in der Sendung des ZDF Neo Magazin Royale vom 7. Januar 2022 an. Es geht um das Unternehmen Protelion, das als Mitglied des Vereins "Cyber-Sicherheitsrat Deutschland" die Nähe zu offiziellen Stellen suchte. Protelion ist eine Tochter der russischen Infoteks, die wiederum personell und geschäftlich mit russischen Nachrichtendiensten verbandelt ist. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konnte auf Anfrage von Böhmermanns Redaktion zum damaligen Zeitpunkt nicht sagen, ob Protelion-Produkte in Bundesbehörden eingesetzt werden.

Eine Analyse von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Für Böhmermann war klar: "Es gibt offenbar ein bislang unbekanntes, riesengroßes, blubberndes Leck in der deutschen Kompetenz-Pipeline in Sachen IT." Der ZDF-Moderator verwies auf den damaligen BSI-Präsidenten Arne Schönbohm und dessen Tätigkeit als Präsident des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland bis 2015.

Schönbohms Nachfolger als Vereinspräsident, Hans-Wilhelm Dünn, hielt wenig Abstand zu Nachrichtendiensten. Böhmermann kritisierte daraufhin die Antwort des BSI auf die Frage, ob Schönbohm seinerseits ebenfalls Kontakt mit Nachrichtendiensten gehabt habe: nicht bewusst. Und garnierte das mit dem Auszug eines Interviews des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) mit Dünn von 2019, in dem der behauptete, mit chinesischen und russischen Nachrichtendienstkreisen zu sprechen.

Der Cybersicherheitsrat (CSRD) stand schon in der Kritik, als Schönbohm dessen Präsident war. Vor allem das pseudo-offizielle Auftreten mit Deutschlandfarben war dem Bundesinnenministerium (BMI) ein Dorn im Auge, aus der Zivilgesellschaft wurde der Verein als Lobby-Kuschelgruppe verspottet. Beides hinderte den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) jedoch nicht daran, Schönbohm zu berufen. Allerdings ergingen Weisungen sowohl im BMI als auch im BSI, nicht ohne vorherige Genehmigung der Hausleitungen an Veranstaltungen des CSRD teilzunehmen.

Dass Schönbohm am 9. September 2022 ein Grußwort auf einer Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des Vereins hielt, stellte Böhmermann fest – illustriert mit einem Bild aus Arne Schönbohms Twitteraccount. "Die Cybersicherheit Deutschlands ist in Gefahr, und zwar durch den Chef der Cybersicherheit in Deutschland", folgerte Böhmermann daraus in seiner Sendung. Schönbohm war mit Genehmigung eines Staatssekretärs zu der Veranstaltung gegangen – technisch korrekt. Doch davon erfuhren die ZDF-Zuschauer nichts. Sie erfuhren auch nichts davon, dass Protelion/Infoteks erst 2020 Mitglied des Vereins wurde – als Schönbohm schon längst im BSI war.

Was die Zuschauer des ZDF Magazin Royale auch nicht erfuhren: Der für Cybersicherheit zuständige Abteilungsleiter im BMI, Andreas Könen, hatte selbst im April 2019 an einer Veranstaltung mit Hans-Wilhelm Dünn teilgenommen. Das Verhältnis zwischen Könen und Schönbohm galt über Jahre als gestört. Könen, einst selbst BSI-Vize und davor beim Bundesnachrichtendienst, ist in der Bundesordnung als höhergestellter und zuständiger Beamter der De-facto-Vorgesetzte des BSI. Doch der Abteilungsleiter war für das ZDF Magazin Royale kein Thema, obwohl der deutlich relevantere Akteur.

Das ZDF will auf Fragen zu Böhmermanns Cyberclown-Sendung nicht konkret eingehen. Auf die Frage, ob die Sendung ihren journalistischen Sorgfaltspflichten nachgekommen sei, erkärt eine Sprecherin lapidar: "Das ZDF Magazin Royale ist eine gesellschaftskritische Satiresendung, die relevante Inhalte auf unterhaltsame Art und Weise präsentiert, stets auf der Grundlage ausführlicher und fundierter Recherchen." Nicht Böhmermann, sondern das ZDF seien am Ende für die Inhalte verantwortlich: "Die Verantwortung für die Sendung liegt in der zuständigen ZDF-Redaktion. Das heißt, die Sendungen werden gemeinsam erarbeitet und unterliegen einer redaktionellen Abnahme." Die Sendung selbst steht weiterhin ohne jede Änderung oder Ergänzung im Netz – die halten Böhmermann und das ZDF offenkundig nicht für angebracht.

Nur wenige Wochen vor Böhmermanns Sendung hatte sich Innenministerin Nancy Faeser noch bestens mit Schönbohm verstanden, berichten Teilnehmer eines gemeinsamen Termins. Heute will die Führungsspitze des BMI das anders verstanden wissen: Die Böhmermann-Sendung habe nur bestehende Zweifel an Schönbohm weiter verstärkt. Offiziell erklärt ihr Sprecher am Montag: "Gerade in diesen Zeiten geht es ja darum, dass man das BSI bestmöglich aufstellt, auch die größtmögliche Expertise an der Spitze hat, und genau deshalb hat die Bundesinnenministerin diesen Wechsel vollzogen."

Allerdings wirkt auch diese Begründung nicht überzeugend. Denn die Demission Schönbohms wurde vollkommen planlos vollzogen. Erst kamen die Presseäußerungen, dann musste die Hausspitze lernen, dass Schönbohm kein politischer Beamter ist, den man nach Belieben in den einstweiligen Ruhestand versetzen kann. Rein rechtlich darf die Bundesinnenministerin als Dienstherrin jederzeit Beamte in ihrem Geschäftsbereich umsetzen. Doch normalerweise findet das erst dann statt, wenn ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin auch klar ist.

Gute eine Woche nach der Böhmermann-Sendung wurde Schönbohm die Ausübung der Dienstgeschäfte verboten – üblicherweise ein Schritt, der unternommen wird, wenn ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Doch konkrete Vorwürfe wurden Schönbohm nicht gemacht. Stattdessen wurden Hilfsargumente bemüht, die mit der Böhmermann-Sendung nichts zu tun hatten. Dass das kaum Aussicht auf Erfolg hatte, war auch im BMI jederzeit bekannt. Schönbohm reichte Klage ein gegen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, bat zur Klärung der Vorwürfe um ein Disziplinarverfahren – doch das Innenressort leitete bis heute kein Verfahren ein.

Stattdessen wurde hektisch gesucht, welche angemessenen Posten gefunden oder geschaffen werden können. Für Posten, die nicht angemessen waren, wurden Ausgleichszahlungen geprüft – und verworfen, da Schönbohm dagegen leichter hätte vorgehen können. Denn ein Beamter muss grundsätzlich seiner Soldstufe entsprechend verwendet werden. Eine stille Entsorgung, wie von Faeser und ihren Mitstreitern geplant, war also nicht möglich.

Im November liefen gerade die finalen Haushaltsverhandlungen im Bundestag für 2023. Dort wurde auf SPD-Wunsch eine Rochade ermöglicht: Schönbohm wurde an die Spitze der Winz-Behörde Bundesakademie der öffentlichen Verwaltung (BaköV) umgesetzt. Dafür musste die BaköV-Präsidentenstelle von der Besoldungsstufe B6 auf B8 angehoben werden. Die Haushälter der Ampelkoalition trugen das mit – allerdings müssen die Mehrkosten im BMI dafür an anderer Stelle eingespart werden. Haushalterisch sind das etwa 25.000 Euro pro Jahr. Derzeit kein echtes Problem für das BMI, denn dort sind viele Stellen derzeit unbesetzt.

Der bisherige Baköv-Präsident Alexander Eisvogel musste für die Rochade ebenfalls versetzt werden – unter Ausgleich der Kosten, auch für spätere Pensionsansprüche. "Die zusätzlichen Kosten für den neuen Präsidenten des Beschaffungsamtes des BMI, der von einer B6-Stelle auf eine B4-Stelle versetzt wird, belaufen sich nach den Personalkostensätzen des BMF auf rund 21.500 Euro jährlich", antwortet eine Sprecherin des Bundesministeriums des Innern auf Nachfrage. Gezahlt wird das von der Allgemeinheit.

Und auch die Nachfolgesuche für die BSI-Spitze blieb keineswegs leicht. Möglichst eine Frau mit IT-Fachkenntnissen sollte kommen, so der Wunsch. Obwohl das BMI nach dem Böhmermann-Bericht schnell mit der Suche anfing, dauerte es eine Weile. Als mit Claudia Plattner im Januar endlich eine potenzielle Nachfolgerin gefunden wurde, musste das BMI erst einmal das Gespräch mit der Europäischen Zentralbank suchen, Plattners bisherigem Arbeitgeber.

Gerne hätte man im BMI gesehen, dass Plattner schneller nach Bonn wechselt – doch die EZB stellte sich quer. Plattner, die sich mit dem BSI bereits in Ansätzen vertraut gemacht hat und sich den Mitarbeitern per Brief vorstellte, übernimmt die BSI-Präsidenten-Rolle Anfang Juli in unruhigen Zeiten. Sie wird so wie Schönbohm nicht als politische Beamtin eingesetzt, sondern auf derselben Besoldungsstufe B8, wäre also ebenfalls nicht einfach so aus dem Amt zu entfernen.

Dass Arne Schönbohm sich eine öffentliche Entschuldigung der Ministerin für die ihm vorgeworfenen Punkte wünscht, ist bekannt. Doch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die im Herbst für die SPD Ministerpräsidentin in Hessen werden möchte, ist derzeit kein Schritt in diese Richtung bekannt. Im Bundesinnenministerium wird weiterhin wild spekuliert, wer eigentlich die treibende Kraft hinter der Demission Schönbohms war.

Denn im BMI hatten sich viele Mitarbeiter nach den eigenwilligen Zeiten mit Horst Seehofer (CSU) von der neuen Hausführung Nancy Faeser (SPD) zumindest eine menschlich korrekte Führung der Amtsgeschäfte erwartet. Denn Faeser spricht gerne von Führungskultur, die so wichtig sei, ob beim THW, bei der Polizei oder im hessischen Innenministerium.

Statt der von Böhmermann angekündigten, spannenden Geheimdienstgeschichte mit Russland-Connection steht am Ende eine mit Makel versehene SPD-Bundesinnenministerin, ein mit fadenscheiniger Begründung abgesägter BSI-Präsident, ein BSI, das in den vergangenen Monaten nicht gestärkt und nicht unabhängiger wurde – und eine Allgemeinheit, die nur staunen kann, wie Spitzenpolitik und Verwaltung in Deutschland funktionieren.

(vza)