EU-Netzbetreiber fordern Netzgebühren ab 5% Traffic

Wenn Kunden Dienste eines Anbieter so gerne nutzen, dass das 5% des Datenvolumens ausmacht, soll der Anbieter zahlen, meinen GSMA und ETNO.

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Zwei Männer in orange Overalls führen Glasfaser von einer hölzernen Kabelrolle in einen Schacht; im Hintergrund Einfamilienhäuser und Bäume

Das Symbolbild zeigt Glasfaserverlegungsarbeiten in der kanadischen Stadt Lethbridge

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Die großen Telecom-Konzerne wünschen sich Strafgebühren für besonders attraktive Internetangebote Dritter. Schon lange. Jetzt nennen die Lobbyverbände GSMA und ETNO (European Telecommunications Network Operators) eine konkrete Schwelle, aber der die sogenannten Netzgebühren fällig werden sollen: Zahlen sollen Unternehmen, von denen User so viel Daten abrufen, dass das im Jahresdurchschnitt fünf Prozent des Datenverkehrs während der intensivsten Stunde eines jeden Tages ausmacht.

Das geht aus einer (noch?) nicht öffentlichen Stellungnahme hervor, die GSMA und ETNO in der laufenden EU-Konsultation zu Netzgebühren eingereicht haben, wie Reuters berichtet. Die Konsultation endet am Freitag. GSMA und ETNO sprechen für etwa 160 Netzbetreiber in Europa, darunter die Deutsche Telekom, Orange, Telefonica, A1 Telekom Austria, British Telecom, KPN und Swisscom. Kleine Netzbetreiber hinterfragen hingegen die angestrebte Big-Tech-Kostenbeteiligung.

Gemessen werden soll der Traffic an jedem "individuellen Netz". "Large traffic generators would only be those companies that account for more than 5% of an operator's yearly average busy hour traffic measured at the individual network level", zitiert Reuters aus dem Dokument. Wie hoch die Netzbetreiber die Strafgebühr dann ansetzen wollen, ist nicht bekannt. Die Rechnungen gingen zunächst wohl an Amazon, Apple, Google (samt Youtube), Meta, Netflix und TikTok, die das auf ihre EU-Preise umlegen würden. Das wäre nicht zuletzt ein Wettbewerbsvorteil für die hauseigenen Video- und Clouddienste der Netzbetreiber.

Mit den Netzgebühren würden EU-Verbraucher am Ende doppelt zahlen, warnt Meta. Das digitale Ökosystem sei gerade durch die Inhalteanbieter so erfolgreich; die EU sollte die Idee der Netzgebühren fallen lassen. Am Dienstag hat auch Google seine Stellungnahme im Konsultationsverfahren veröffentlicht. "Europas Selbstverpflichtung zu Netzneutralität ist Grundlage für seinen Erfolg in diesem Gebiet", fasst Googles EMEA-Chef Matt Brittin zusammen – und Netzgebühren würden die Netzneutralität gefährden. "Qui dotat, vocat", reimt der Lateiner: Wer zahlt, schafft an.

Netzgebühren seien eine Lösung auf der Suche nach einem Problem, meint Google, und verweist auf die rapide steigenden Investitionen in europäische Netze. Sie funktionierten gut und hätten jede Menge Kapazität. Außerdem würden Inhalteanbieter bereits jetzt mit Netzbetreibern zusammenarbeiten, um die Effizienz der Netze zu steigern, man denke an die zahllosen Content Delivery Server, die große Dienste wie Youtube in Usernähe installieren.

Es gäbe keine Hinweise darauf, dass Netzgebühren die Offenheit des Internet fördern würden, aber viele Hinweise, dass sie schaden würden. Bislang habe nur Südkorea Netzgebühren, und dort zeige sich eine Verschlechterung der Netzqualität durch höhere Latenzen und gleichzeitig abnehmende Auswahl an Inhalten.

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Auch in Europa würden Netzgebühren voraussichtlich zu weniger Auswahl, schlechterer Qualität und höheren Preisen führen. Anbieter würden die Gebühren einfach weiterverrechnen oder sich aus dem EU-Markt zurückziehen. Das schade nicht nur Verbrauchern, sondern auch Unternehmen: Denn ein signifikanter Anteil des Datenverkehrs, den die Netzbetreiber Google zurechnen, stamme tatsächlich aus Googles Cloud – und damit eigentlich von viele unterschiedlichen Unternehmen quer durch Europa. Diese müssten die Netzgebühren natürlich übernehmen. "Das könnte den Einzug in die Cloud durch kleine und mittlere Unternehmen beeinträchtigen, was ein Wettbewerbsnachteil gegenüber weltweiten Mitbewerbern wäre", womit die EU die selbst gesteckten Ziele der Digitalen Dekade untergraben würde.

Sogar Europas Kreative, die ihre Werke online verfügbar machen möchten, würden schlussendlich zur Kasse gebeten. Zudem gäbe es keine Garantien dafür, dass Internet Service Provider (ISP) die von ihnen eingenommenen Netzgebühren für das Allgemeinwohl ausgeben würden. "ISP könnten die Einnahmen für andere Zwecke verwenden, wie Übernahmen, Sportrechte oder Dividenden", schreibt Google der EU-Kommission, "Jede willkürlich garantierte Zahlung würde den wettbewerblichen Anreiz für Netzbetreiber, in Infrastruktur zu investieren, langfristig senken; und diese Gebühr als "Absender zahlt" einzuführen, würde das frühere Problem der Zusammenschaltungsmonopole wiederbeleben – wie GEREK bereits gewarnt hat."

GEREK (Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation, Englisch BEREC) ist der Dachverband der nationalen Telecom-Regulierungsbehörden in der EU. Die Regulierer haben bereits im Oktober vor Netzgebühren gewarnt, weil sie "dem Internet-Ökosystem erheblichen Schaden zufügen" könnten. Es sei zu befürchten, dass die Zugangsanbieter zum Internet ihr Zustellungsmonopol in ähnlicher Weise ausnutzen könnten wie die frühere Alleinherrschaft im Bereich traditioneller Telefonie. Die Fähigkeit des Internets, sich selbst anzupassen, "war und ist entscheidend für seinen Erfolg und seine Innovationsfähigkeit".

(ds)