High Tech, High Risk

Toyota stoppt in den USA den Verkauf und die Produktion von acht Modellen, um seinen angekratzten Ruf als Qualitätshersteller zu retten. Ein anderes japanisches Beispiel zeigt, dass sich die Strategie auszahlen kann.

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Von
  • Martin Kölling

Der Stachel sitzt tief bei Japans größtem Autobauer Toyota. Über Jahrzehnte hat der Konzern das Image des Qualitätsführers gepflegt. Durch Prinzipien wie Kaizen ("kontinuierliche Verbesserung") und Genchi Genbutsu ("vor Ort nach der Lösung suchen") dachte der Konzern, Güte unwiderruflich in den Produktionsprozess eingebaut zu haben. Stolz hatten die Japaner der Welt verkündet, dass jeder Arbeiter bei einem Problem das Band stoppen könne.

Doch nach dem Start des rasanten Expansionsprogramms Mitte der Neunziger, das Toyota bis 2008 zum größten Autobauer der Welt katapultiert hatte, häuften sich plötzlich die Rückrufe von Modellen auf etwa zwei Millionen Autos pro Jahr, was den damaligen Vize und heutigen Chef Akio Toyoda bereits zu tiefen Verbeugungen nötigte. Letztes Jahr folgte dann ein erster richtiger GAU. Toyota rief in den USA 4,3 Millionen Autos zurück, weil sich Fußmatten unter dem Gaspedal verkeilten und Autos ungewollt beschleunigten. Mehrere Menschen sollen den Tod gefunden haben.

Als der Konzern letzte Woche in Amerika weitere zwei Millionen Autos wegen einem anderen Problem am Gaspedal zurückrufen musste, folgte Firmenchef Toyoda endlich seiner eigenen Firmenphilosophie, zog die Reißleine und stoppte radikal den Verkauf und die Produktion von acht Modellen in den USA, bis das Problem gelöst ist.

Der Konzern folgt damit dem Lehrbuch der Krisen-PR: Zeige durch eine schmerzhafte und radikale Aktion, dass dir die Sicherheit der Kunden wichtiger ist als Gewinn. Löse das Problem. Dann hat ein Unternehmen sogar die Chance, das Vertrauen der Kunden zu steigern.

Nun, finanziell wird die Aktion Toyota wahrscheinlich kräftig schmerzen. Die vom Verkaufsstopp betroffenen Modelle, darunter der Corolla, machen 56 Prozent von Toyotas Absatz in den USA aus. Nur ist das noch am leichtesten zu verkraften, schließlich steckt Toyota schon so weit in den Miesen, dass zahlreiche zusätzliche Milliarden Yen Verlust den Kohl auch nicht mehr fett machen. Der Konzern erwartet wegen der Krise bereits einen Reinverlust von 200 Mrd. Yen (rund 1,6 Mrd. Euro) für das Ende März auslaufende Bilanzjahr. Das neue Problem, bei dem das Gaspedal hängen bleibt oder sich nur langsam wieder zurückbewegt, mag die Ingenieure schon vor höhere Herausforderungen stellen.

Am schwierigsten dürfte dem Konzern allerdings fallen, das Grundübel anzupacken: eine radikale Gleichteilestrategie. Baugleiche Komponenten in möglichst vielen Modellen einzubauen, mag zwar erst einmal Produktionskosten senken. Aber wenn etwas passiert, drohen hohe Rückrufenkosten. Finanziell hält sich der Schaden dabei meist in Grenzen. Aber ein Megarückruf, der mit Sicherheit weltweit Schlagzeilen macht, schädigt die Reputation mehr, als mehrere kleine, die unterhalb des Radarschirms der Medien bleiben. Wenn sich das Drama wiederholt, um so schlimmer. Nur ist es leider nicht einfach die Balance zu finden, denn Konzerne arbeiten unter extremen Kostendruck.

In dieser Situation Stopp zu schreien, dazu gehört Mut. Dass der sich positiv auszahlen kann, hat der Elektronikkonzern Panasonic in Japan demonstriert. Im Jahr 2005 kam heraus, dass zwei Menschen durch defekte, zwischen 1985 und 1992 produzierte Ölöfen des Konzerns an Kohlenmonoxidvergiftung gestorben waren. Die Medien forderten den Kopf des Konzernchefs Kunio Nakamura; die Analysten unkten, dass der Fall Panasonics Sanierung gefährden könne. Da trat Nakamura die Flucht nach vorne an. Er gelobte, dass die Firma nicht eher ruhen würde, bis alle jemals verkauften Geräte gefunden worden wären (obwohl das nicht möglich ist, denn viele Geräte sind schon lange entsorgt).

Sämtliche Panasonic-Reklame in Japan wurde über Wochen durch Rückrufe ersetzt. Alle Mitarbeiter mussten Flugblätter mit Rückrufen verteilen. Bis heute spürt das Unternehmen den Geräten nach. Und wer auf die offizielle Konzern-Homepage klickt, wird noch heute von einer Rückrufaufforderung begrüßt, mehr als vier Jahre nach Bekanntwerden.

Dem Ruf Panasonics hat der Schritt gut getan. Die Menschen glauben jetzt, dass der Konzern sich ernsthaft um Qualität und ihre Sorgen bemüht. Und nach dem just veröffentlichten jährlichen Ranking von Nikkei Human Resources wählten Japans Ingenieure den Konzern zu ihrem Traumarbeitgeber, gefolgt von Honda und Sony. Toyota folgt erst auf Platz vier. Übrigens: Für die Bewerbung seiner Produkte hat Panasonic nach einiger Zeit eine weitere Homepage online gestellt, auf der kein Rückruf prangt. (bsc)