Der Digital Services Act tritt für große Online-Anbieter in Kraft

Als Grundgesetz für das Digitalzeitalter bezeichnet die EU-Kommission den Digital Services Act, der ab Freitag Facebook, Youtube und Co. neue Regeln auferlegt.

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(Bild: kb-photodesign/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Falk Steiner
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Ab heutigem Freitag fallen die größten Plattformen und Suchmaschinen unter das neue EU-Regulierungssystem des Digital Services Act. Dienste wie Google Maps, Play Store, Apples App Store, Zalando, Wikipedia, X-Twitter, Telegram, Facebook und YouTube müssen die neuen Regeln einhalten. Zuständig für die Durchsetzung ist bei den größten Anbietern die EU-Kommission. Damit endet für die größten Anbieter auch das Zeitalter des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.

Als Grundgesetz für das Digitalzeitalter bezeichneten EU-Kommissare den Digital Services Act bei der Verabschiedung vor einem Jahr – jetzt kommt das umfangreiche Regelwerk zur Anwendung. 19 besonders große Anbieter müssen ab heute die Vorschriften des DSA befolgen.

Der Digital Services Act enthält eine Vielzahl an Vorschriften für die Anbieter von Diensten im Netz. Kern der Gesetzgebung ist dabei ein abgestufter Pflichtenkatalog, der grundsätzlich nach dem Prinzip greift: Je größer ein Angebot, desto größer auch die Auflagen für Betreiber. Die Angebote, die mehr als 45 Millionen Nutzer in der EU aufweisen, gelten dabei als "besonders groß". Das hat zur Folge, dass für sie nicht nationale Aufsichtsbehörden zuständig sind, sondern die EU-Kommission – und damit ändern sich die Regeln bereits jetzt für diese.

Eine der für Nutzer spürbarsten Änderungen betrifft die Art und Weise, wie die Anbieter mit Nutzerinhalten auf ihren Plattformen umgehen. Der DSA sieht hier europaweit einheitliche Pflichten vor, wie die Betreiber mit möglicherweise illegalen Inhalten umzugehen haben. Das Grundprinzip bleibt erhalten, dass Anbieter erst dann tätig werden müssen, wenn sie Kenntnis erlangen – sprich: wenn sie darauf hingewiesen werden. Konkrete Bearbeitungs- oder Löschfristen sieht der DSA selbst nicht vor, allerdings fordert der DSA eine Entscheidung, die "zeitnah, sorgfältig, frei von Willkür und objektiv" getroffen sein muss.

Die Nutzer müssen anschließend über die Entscheidung informiert werden, wenn ihre Inhalte oder Konten dadurch betroffen sind, inklusive einer Begründung, ob aufgrund eigener Einschätzung der Rechtslage oder aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Maßnahme ergriffen wird. Gegen diese Entscheidung müssen Nutzer auch ihrerseits wieder vorgehen können – damit will die EU möglichen Willkürentscheidungen und dem sogenannten Overblocking entgegenwirken. Auch dieses Beschwerdemanagement-System ist im DSA ausführlich geregelt. Entscheidungen der Unternehmen können aber weiterhin auch vor Gericht angefochten werden.

Mit dieser Neuregelung endet in den meisten Bereichen die Anwendbarkeit des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das bislang in Deutschland für die größten Anbieter sozialer Netzwerke galt. "Da der Digital Services Act als Verordnung auf die von der Europäischen Kommission benannten Anbieter sehr großer Online-Plattformen ab dem 25. August 2023 unmittelbar anwendbar ist, wird das Netzwerkdurchsetzungsgesetz für diese Anbieter im Anwendungsbereich des DSA verdrängt werden", erläutert eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage von heise online.

"Dies gilt nicht nur für die inhaltlichen Pflichten der Anbieter, insbesondere die Bearbeitung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte und die Erstellung von Transparenzberichten, sondern auch für die behördliche Aufsicht und die Verhängung von Bußgeldern." Für die Durchsetzung des lange umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes war das Bundesamt für Justiz in Bonn zuständig. Alte Verfahren nach dem NetzDG darf es jedoch noch weiterbetreiben, so die Auskunft der BMJ-Sprecherin.

Der DSA geht allerdings weit über das hinaus, was im NetzDG geregelt wurde: Zum einen war dort nur eine Positiv-Liste von Paragrafen des deutschen Strafgesetzbuches hinterlegt – etwa Urheberrechtsstreitigkeiten wurden ausdrücklich nicht umfasst. Mit dem DSA müssen die Anbieter hingegen künftig in allen Fällen tätig werden, in denen ein Rechtsverstoß vorliegen könnte. Zum anderen beschränkt der DSA die Pflichten nicht nur auf soziale Netzwerke – grundsätzlich betrifft er auch Nutzerrezensionen etwa auf Angeboten wie Google Maps oder Amazon.

Wer gerne Onlinemarktplätze nutzt, wird womöglich weitere Veränderungen bemerken: Mit dem DSA kommt ein unmittelbares Verbot von Verhaltenssteuerung durch sogenannte Dark Patterns. Auch die zulässigen Personalisierungsmöglichkeiten werden qua Gesetz beschränkt und bei Empfehlungssystemen mehr Transparenz vorgeschrieben. Zudem müssen sich Marktplatzbetreiber bestimmten Pflichten unterwerfen, um sicherzustellen, dass Anbieter auf ihren Plattformen auch tatsächlich existieren. Die Vorgaben sollen dem besseren Verbraucherschutz dienen.

Viele der Anforderungen betreffen die größten Anbieter allerdings nur als erste. Die meisten Pflichten treffen später auch die Anbieter unter 45 Millionen EU-Nutzern. Sie fallen nur nicht unter die direkte EU-Kommissions-Kontrolle, sondern sollen von den nationalen Aufsichtsbehörden beaufsichtigt werden. Hier fehlt es allerdings zumindest in Deutschland noch am entsprechenden Umsetzungsgesetz, das bislang noch nicht den Weg ins Bundeskabinett gefunden hat.

Auch jenseits der Nutzerinhalte werden sich die großen Anbieter an weitere Regeln halten müssen. Die großen Anbieter wie Meta und Google betonen bereits, wie gern und umfangreich sie den neuen Vorgaben Folge leisten wollen. So verkauft etwa Meta die mit dem DSA kommende Pflicht, auch eine nicht-algorithmische Inhaltedarstellung anzubieten als Feature: "Wir bieten unseren europäischen Nutzern nun die Option Reels, Stories, Suche und andere Teile von Facebook und Instagram ohne Ranking durch Meta anzuzeigen", lässt etwa Meta in einem Blogpost wissen.

Dabei handelt es sich dabei um eines der Features, das von großen Anbietern im Vorhinein als kaum zu implementieren und die Nutzbarkeit der Angebote zerstörende Anforderung kritisiert wurde. Auch die beiden betroffenen Suchmaschinen Google Search und Microsofts Bing müssen eine empfehlungssystemfreie Option anbieten.

Für die Großanbieter kommen allerdings noch weitere Pflichten hinzu. Sie müssen etwa ein Archiv der auf ihren Angeboten geschalteten Anzeigen vorhalten, weitere Transparenzpflichten erfüllen und auch Zugang für Forscher gewährleisten. Noch unklar ist hingegen, welche Folgen ein ebenfalls nur für die größten Angebote einschlägiger anderer Artikel im DSA haben wird: Die Anbieter müssen regelmäßig Risikoeinschätzungen vornehmen, inwiefern durch sie beziehungsweise einzelne Funktionen etwa eine verstärkte Verbreitung rechtswidriger Inhalte, nachteilige Auswirkungen auf öffentliche Sicherheit oder Wahlprozesse, den Schutz der Menschenwürde, den Gesundheitsschutz oder geschlechtsspezifische Gewalt ausgehen. Sind solche "systemischen Risiken" identifiziert, sollen die Anbieter dann aktiv gegen diese vorgehen, etwa durch Anpassung von Algorithmen oder der Inhaltemoderation.

(axk)