Der Stromschnellste

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Hamburg, 10. Dezember 2013 – Reißen Sie sich bitte zusammen, falls Sie ein Tesla Model S zwischen die Finger kriegen! Bei Vollstrom machen sich 306 kW (416 PS) mit ansatzloser Gewalt über die Hinterräder her und katapultieren den Zweitonner nach vorne. Den Mitfahrern, die das zum ersten Mal erleben, bleibt kurz die Luft weg, bevor ihnen ein „Boah“ oder ein „Was ist das denn?“ entfährt.

Die Werksangabe von 4,4 Sekunden für den Standardsprint gibt die Realität nur unvollkommen wieder: Bei jeder Geschwindigkeit ist die volle Leistung des Elektromotors sofort vorhanden. „Instant torque“ nennen es die Briten, wenn nicht auf das Atemholen eines Turboladers, das Runterschalten eines Getriebes oder das Hochdrehen einer Verbrennungsmaschine gewartet werden muss. Das Tesla Model S begeistert durch die spontane pure Kraft, es springt nach vorne und zoomt sich durch den Verkehr. Elon Musk, der Gründer von Tesla Motors, hat mit seinem Team einen Gamechanger geschaffen – ein Fahrzeug, das selbst die härtesten Skeptiker der Elektromobilität begeistert.

Aber was kann das batterieelektrische Auto aus Kalifornien außer sehr schnell sein? Wie praxistauglich ist es im Alltag eines Dezembers in Deutschland? Und wie groß ist die Reichweite denn nun im Realbetrieb?

Um diese Fragen, die eigentlich einen Dauertest erfordern, wenigstens im Ansatz zu klären, machten wir uns zu einer zweitägigen Testfahrt auf. Die Strecke führte vom Startpunkt in Hamburg-Langenhorn quer durch die Hansestadt über die Autobahnen A255 und A39 bis Lüneburg und weiter über die Bundesstraße B4 nach Braunschweig. Am nächsten Morgen ging es weiter in die Hannoveraner Innenstadt, um dort mit maximal geladener Batterie über die Autobahn A7 zurück zum Ausgangspunkt zu fahren. Dabei wurden insgesamt 591 Kilometer zurückgelegt, auf denen 153,2 Kilowattstunden Strom verbraucht wurden. Den niedrigen Außentemperaturen von null bis sieben Grad zum Trotz lag der Durchschnitt mit 25,9 Kilowattstunden pro 100 Kilometer exakt gleichauf mit einem im Mai in milderer Luft ermittelten Wert.

Einfachheit der Bedienung und Mühelosigkeit des Fahrens

Bei der ersten Annäherung an das Tesla Model S fällt auf, wie gut Designer Franz von Holzhausen es geschafft hat, die üppige Größe von 4,97 Meter Länge und 2,19 Meter Breite inklusive Spiegel zu kaschieren. Geduckt und elegant steht das Auto da, und die Formensprache liegt näher an einem Aston Martin Rapide als an einem Audi S7. Wenn die Distanz zwischen Fahrer und Fahrzeug klein genug ist, fahren die Türgriffe automatisch aus. Ein schlüsselloser Zugang ist heute keine Besonderheit mehr, sehr wohl aber das Startprozedere: es gibt keinen Knopf mehr dafür. Den Fuß auf die Bremse stellen genügt, um das Auto fahrbereit zu machen, jetzt den Wahlhebel auf D legen, und los geht es. Dass kein anderer Hersteller auf diese Vereinfachung gekommen ist, bleibt rätselhaft. Auch das Fahrtende ist simpler als üblich. Wenn der Wahlhebel auf P steht und der Türöffner gezogen wird, schaltet das Model S sich aus. Und nachdem man sich ein paar Meter entfernt hat, verriegelt sich das Auto.

Dieser Vorgang steht beispielhaft für die Einfachheit der Bedienung und die Mühelosigkeit des Fahrens im Tesla Model S. Vieles davon gibt es auch in anderen Elektrofahrzeugen wie etwa dem BMW i3. So bremst der Neuling aus Kalifornien über die in zwei Stufen verstellbare Rekuperation mit bis zu 60 Kilowatt so kräftig ab, dass die Scheiben nur selten bemüht werden müssen. Dieser Einpedalbetrieb geht sofort ins Blut über, die Eingewöhnungszeit ist extrem kurz, und das ist ein Komfortgewinn.

Angenehm und zum souveränen Charakter dieses Autos passend sind die großzügigen Platzverhältnisse. Da ragt kein Kardantunnel in den Innenraum, und zum hinteren Kofferraum mit 745 Litern (1645 bei umgelegten Sitzen) addieren sich 150 Liter unter der vorderen Haube. Die faltbare Kindersitzbank (2400 Euro) im Heckabteil macht das Tesla Model S zum 5- plus 2-Sitzer. Eng wird es allein für lange Erwachsene auf der Rückbank; hier schränkt die abfallende Dachlinie die Kopffreiheit ein.

Das Fahren ist ein Genuss. Leise und vibrationsfrei gleitet man über die Straßen. Klar, bei den spätherbstlichen Bedingungen mit Nachtfrost ringen die Antriebsräder immer wieder um Halt. Die Traktionskontrolle unterbindet aber jede Gefahr – sie ist gekonnt ausgelegt und erlaubt leichte Drifts, sodass über das Strompedal mitgelenkt werden kann. Das luftgefederte Fahrwerk ist wunderbar tailhappy definiert, sportlich aktiv und im Alltag komfortabel.

Höchste Reichweite aller batterieelektrischen Autos

Fahrwerksabstimmung und Motorkraft verführen immer wieder dazu, sittliche Reife und Disziplin zu Gunsten von Zwischenspurts zu opfern. Die Reichweite knickt trotzdem nicht ein. Theoretisch reicht die Batterie mit ihren 85 Kilowattstunden Kapazität beim Testverbrauch von 25,9 Kilowattstunden pro 100 Kilometer für 328 Kilometer. Für ein batterieelektrisches Auto bleibt das ein Bestwert. Aus der langsam wachsenden Erfahrung mit diesen Fahrzeugen zeigt sich darüber hinaus immer deutlicher, dass nicht die Heizung oder das Radio oder ein Gas-, sorry, Stromstoß, sondern die Höhe der Geschwindigkeit ausschlaggebend ist. Sobald der Luftwiderstand die entscheidende physikalische Größe ist, steigt der Verbrauch deutlich an, was im Zentraldisplay gut ablesbar ist.

Wie hoch genau, sollte in der ursprünglichen Testplanung der Streckenabschnitt über die Autobahn A7 von Hannover Richtung Norden nach Hamburg ergeben. Hier gibt es eine typische Mischung: Baustellen mit Tempolimit, einen zweispurigen Teilbereich, in dem nur 120 km/h gefahren werden darf, und komplett unbeschränkte Abschnitte. In Letzteren wurde der Tempomat auf 130 km/h gestellt, abgelöst von kleinen Rennen. Eine Testkolonne von Mercedes mit zwei Prototypen des AMG SLS-Nachfolgers C190 „GT“ war ein gefundenes Fressen: Bis zum Tachostand von 213 km/h hielt das Tesla Model S locker mit, dann zogen die Autos mit Verbrennungsmotoren unaufhaltsam davon. Die Verbrauchsanzeige quittierte das mit über 50 Kilowattstunden auf 100 Kilometer.

Weil aber Sturm Xaver mit gefährlichen Böen von der Seite blies und es stark regnete, war danach selbst die Richtgeschwindigkeit oft zu viel. So blieb der Verbrauch zwischen den beiden Städten mit nur 24,4 Kilowattstunden niedrig. Als Ergebnis dieser ersten Stichprobe lässt sich sagen, dass das Tesla Model S zwar autobahntauglich ist. Eine genauere Aussage, ob es auch zur Fernreise reicht, zum Beispiel für einen Skiurlaub, lässt sich erst nächstes Jahr treffen, wenn das Netzwerk der 135 kW-Gleichstrom-Supercharger aufgebaut ist. Von der Flexibilität eines modernen Diesels, der viele hundert Kilometer durchhält, bevor er drei Minuten nachtanken muss, wird der Stromer mutmaßlich ein weites Stück entfernt sein.

Mobile Schnellladebox gegen Infrastrukturmängel

Überhaupt, das Laden: Es muss gut organisiert sein. Dringend empfehlenswert sind die 1450 Euro Aufpreis für den Doppellader, der die Ladeleistung bei Wechselstrom von den serienmäßigen 11 auf dann 22 kW erhöht und damit die Tankzeit auf unter vier Stunden reduziert. Das geben die meisten öffentlichen Ladesäulen her. Ungelöst bleibt das Problem der zugestellten Parkplätze sowie das Fehlen eines einheitlichen Bezahlsystems. Es ist absurd, dass bei einer so selbstverständlichen Sache wie Strom keine bundesweite Einigung erzielt werden kann. Als Joker erwies sich im Test darum die mobile Schnellladebox der Schweizer Firma crOhm: sie kann an jede Drehstromdose angeschlossen werden und den unterschiedlichen Ladeerfordernissen angepasst werden. Geht doch!

Zurück zum Auto: Sicher gibt es Details, die noch verbessert werden können. Erstaunlich am Tesla Model S ist jedoch nicht, dass es nicht in jedem Kriterium wie den Windgeräuschen die Spitze seiner Klasse markiert. Erstaunlich ist, dass es einer Firma aus dem Stand gelungen ist, ein dermaßen gutes und qualitativ hochwertiges Fahrzeug zu bauen, dass eben auch nirgends wirklich zurückfällt.

Und es stimmt zuversichtlich, dass dieses Erstlingswerk erst der Anfang ist. Von hier aus werden sich alle kritischen Parameter wie Batteriekosten, Dauerhaltbarkeit und Speicherkapazität Stück für Stück verbessern. Es bleibt zu hoffen, dass Tesla Motors betriebswirtschaftlich erfolgreich bleibt und 2015 der so genannte 3rd Generation Tesla auf den Markt kommt, der mit 3er BMW und Audi A4 konkurrieren und in Massen gebaut werden soll. Die Chancen für den Aufstieg einer neuen Marke stehen gut. Ein Model S ist ab 68.000 Euro mit 60 kWh Batteriekapazität zu kaufen. Die getestete P85 Performance-Version kostet mindestens 91.200 Euro.