Fahrbericht BMW S 1000 RR

Inhaltsverzeichnis

Trotzdem strapaziert die BMW ihren Reiter auf der Landstraße nicht über Gebühr. Selbst pockennarbige Nebensträßchen der Kategorie C sind erträglich und dabei ist es egal, ob man auf der Standard oder M-Variante sitzt. Bei letztgenannter sollte man aber das Einstellrädchen am linken Lenkerende und das mit 6,5 Zoll riesige TFT-Display bemühen und den Fahrmodus „Road“ wählen, um das elektronische Fahrwerk auf eine landstraßentaugliche Härte zu justieren. Richtig interessant werden Elektronik und Einstellungsmöglichkeiten aber tatsächlich erst, wenn die Regeln der StVO keine Rolle mehr spielen.

Brutal unspektakulär

So überraschend gut die neue S 1000 RR auf der Landstraße funktioniert, ihr wahres Potential offenbart sie erst auf der Rennstrecke. Das trifft auf alle Komponenten des Gesamtpakets zu. Lässt sich die Ergonomie für die Feierabenderunde als durchaus brauchbar bezeichnen, vermittelte sie auf dem Rundkurs ab dem ersten Meter extrem viel Vertrauen. Draufsetzen, Wohlfühlen und Gas geben sind angesagt. Besonders bemerkenswert ist aber, dass man trotz der immensen Leistung von 207 PS als Pilot zu jedem Zeitpunkt das Gefühl hat, Herr der Lage zu sein. Dabei geht die BMW auf unspektakuläre Weise brutal zur Sache. Unspektakulär deshalb, weil die Kraftentfaltung so sanft und gleichmäßig von statten geht, dass man sich zu keinem Zeitpunkt von der Motorleistung überfordert fühlt.

Das ist besonders bei der M-Variante auffällig, bei der die Elektronik im Race-Modus nicht nur die Leistungsabgabe par excellence kontrolliert, sondern das Ganze auch noch durch das semi-aktive Fahrwerk unterstützt wird. Alles funktioniert hier so gut, dass man die S 1000 RR fast als Fahrschulmoped für Rennstrecken-Neulinge empfehlen will. Das Paket ist aber auch für erfahrene Tester beruhigend, vor allem dann, wenn, wie in diesem Fall, die Session auf unbekanntem Geläuf stattfindet und nur wenig Fahrzeit zur Verfügung steht.

Fading und Risse

Brutal ist die BMW deshalb, weil am Bremspunkt immer eine deutlich höhere Geschwindigkeit auf dem TFT-Display steht, als man es nach der „entspannten“ Beschleunigungsphase für möglich gehalten hätte. Zweihundertsieben PS katapultieren Mensch und Maschine eben doch vehement nach vorne, auch wenn elektronische Helferlein und eine sehr gelungene Aerodynamik subjektiv einen anderen Eindruck vermitteln.

Spätestens am Bremspunkt schießt einem also Adrenalin ins Blut und der Puls nach oben. Zum Glück ist die Brems- der Motorleistung mindestens ebenbürtig. Die BMW Stopper packen brutal zu und das im Race-Mode noch aktive, aber abschaltbare ABS regelt so spät, dass es auch Anbremsdrifts und ein Abheben des Hinterrades zulässt. Einzig die Standfestigkeit ist hier bei beiden Modellen – die M-Variante besitzt um einen Millimeter dickere Bremsscheiben – ein wenig zu bemängeln. Fordert man die Bremse konsequent, fällt sie mit leichtem Fading auf und der Druckpunkt wandert in Richtung Lenker.

Dafür zeigt sich die BMW am Einlenkpunkt wieder von der allerbesten Seite. Vor allem die M-Variante winkelt dank der ultraleichten Carbonfelgen so spielerisch ab, dass man anfangs regelmäßig ungewollt auf, statt an den Curbs unterwegs ist. Hat man sich daran gewöhnt erlaubt die BMW so schnelle und enge Linien, wie man sie von einem Superbike mit Straßenzulassung nicht gewohnt ist. Wie gut das Paket tatsächlich ist, zeigte IDM Pilot Julian Puffe, der während des Tests ebenfalls mit einer neuen Doppel-RR auf der Strecke war. Lediglich mit normalen Slicks bereift fuhr er mit der straßenzugelassenen M-Variante bis auf 3,5 Sekunden an seine Qualifikationszeit aus der IDM heran.

Leider offenbarte die Straßenvariante beim Einsatz auf der Rennstrecke aber auch schnell eine Schwäche, die im einfachen Landstraßenbetrieb vermutlich erst nach einigen tausend Kilometern auffallen wird: der Kunststoffsteg für die Kiemen der rechten Seitenverkleidung ist so schwach dimensioniert, dass er am Testmotorrad während des Einsatzes auf der Rennstrecke durch die Vibration durchriss. Ein Phänomen, dass bei allen Motorrädern zu beobachten war, die bei Renntrainings zum Einsatz kamen. Hier muss BMW dringend nacharbeiten.

Ein Angstgegner – für die Konkurrenz

Die BMW S 1000 RR ist ein Angstgegner geworden, allerdings nur für die Konkurrenz. Aktuell gibt es für Motorradfahrer wohl kein zugänglicheres und fahrbareres Superbike mit so viel Potential. Motor und Elektronik, Ergonomie und Handling – alle Bestandteile des Gesamtpaketes erlauben einen entspannten und stressfreien Einsatz auf der Landstraße und sind zugleich Garant für enormen Fahrspaß und schnelle Rundzeiten. Dabei glänzt die BMW nicht nur mit Features wie einem Kurven- UND rennstreckentauglichen ABS oder dem riesigen und hervorragend ablesbaren TFT-Display, sondern vor allem mit ihrer Benutzerfreundlichkeit. (fpi)